
Seelsorge auf dem Deichbrand-Festival: Hilfe in Not - auch aus dem Kreis Cuxhaven
Ein "Pflaster für die Seele": Das bietet die Notfallseelsorge den Besuchern des Deichbrand-Festivals. Jasmin Radünz aus Lüdingworth gehört seit drei Jahren zum ehrenamtlichen Helferteam. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit auf dem Festival.
Frau Radünz, wie wird man Festival-Notfallseelsorgerin?
Ich habe schon vor einigen Jahren eine Ausbildung zur Notfallseelsorgerin gemacht und war viel in der Kirchengemeinde unterwegs. Irgendwann hat mich mein Hausarzt auf Manfred Lea aufmerksam gemacht, der das 15-köpfige Team aus haupt- und ehrenamtlichen Notfallseelsorgern auf dem Deichbrand-Festival koordiniert. Und da ich für eine solche Erfahrung sehr offen war, habe ich mich bei Lea gemeldet.
Jemand, der Festival-Seelsorgerin ist, war doch in seiner Jugendzeit bestimmt auf vielen Konzerten und Festivals unterwegs. Wie war das bei Ihnen?
Ja, wer findet Festivals nicht toll? Ich bin zwar nicht der Mensch, der vier Tage am Stück in einem Zelt schlafen muss, aber die Bands und die ganze Festival-Atmosphäre - das hat mich schon immer fasziniert.
Wie kommen Sie denn mit den Festivalbesuchern ins Gespräch? Kommen die Leute zu Ihnen oder gehen Sie selbst auf die Leute zu?
Beides. Ich bin sehr kommunikativer Mensch und mit unseren lilafarbenen Jacken sind wir sehr auffällig, da wird man natürlich sofort angesprochen.
Was sind die häufigsten Anliegen oder Sorgen, die Festivalbesucher zu Ihnen bringen?
In der Regel gibt es einen konkreten Vorfall, zu dem wir gerufen werden. Das kann ein Streit mit dem Freund sein, eine sexuelle Belästigung oder eine versuchte Vergewaltigung. Wir arbeiten eng mit dem Awareness-Team des Festivals zusammen, das bei emotionalen Fällen zum Einsatz kommt.

Ist Ihnen ein Fall oder ein Gespräch aus den vergangenen Jahren besonders in Erinnerung geblieben?
Wir hatten einen Fall, da ging es um sexuelle Belästigung und versuchte Vergewaltigung. Das Ding dabei war halt, dass sich die junge Frau sehr, sehr schwergetan hat, sich zu öffnen. Sie wollte den Fall nicht zur Anzeige bringen oder weitere Schritte einleiten, die vielleicht einzuleiten wären. Das war so ein Erlebnis, bei dem ich gedacht habe: Mensch, Mädchen, warum nimmst du die Hilfe nicht an?
Spielen bei den Gesprächen auch Glaubens- oder Kirchenthemen eine Rolle?
Das spielt eher eine untergeordnete Rolle.
Muss man sich auch dumme Sprüche anhören?
Na klar. Von einigen Festivalbesuchern, die schon das eine oder andere Bier getrunken haben, gibt es schon mal einen frechen Spruch, zum Beispiel, ob wir nicht eine Verbindung nach oben herstellen können. Oder Anmach-Sprüche: "Ich brauche auch dringend mal Notfallseelsorge." Die Leute sind da sehr einfallsreich.
Ist Festivalseelsorge auch Drogen- und Gewaltprävention?
Prävention würde ich es nicht nennen. Aber wenn man über das Festival-Gelände läuft und sieht, wie der Alkoholgenuss überhandnimmt, dann geht man schon mal hin und sagt: "Vielleicht solltest du mal ein bisschen zurückfahren."
Wie schaffen Sie es, in der oft lauten und bunten Festival-Atmosphäre einen Moment der Ruhe und Besinnung zu bieten?
Wir haben tatsächlich Bereiche, in die wir gehen können, wenn es einen Vorfall gab oder irgendjemand gern in Ruhe mit uns sprechen möchte. Diese Orte sind etwas weg von dem ganz großen Trubel.
Wie sehr sind Sie auf dem Festival "ausgelastet"? Gibt es auch Ruhephasen?
Natürlich gibt es auch ruhigere Phasen. Es ist ja nicht so, dass laufend etwas passiert, denn dieses Festival ist insgesamt sehr friedlich. Wir haben jeden Tag, morgens und abends, eine Besprechung mit den Einsatzkräften. Dort wird besprochen, was aktuell anliegt. Im vergangenen Jahr gab es am Ende ein sehr positives Feedback, was die Vorfälle angeht.
Das heißt: Das Deichbrand-Festival 2024 war besonders friedlich?
Ja, das war es wirklich.
Es gibt aber auch Jahre mit tragischen Vorfällen. 2019 wurde eine Festival-Besucherin tot in ihrem Zelt gefunden. Wie bereitet man sich auf einen solchen Extremfall vor?
Man lernt in den Seelsorge-Schulungen, zunächst einmal Ruhe zu bewahren. Das ist das A und O. Ich bin jemand, der sich die Situation zunächst einmal genau anschaut. Man schaut, was die Menschen brauchen und versucht sie bestmöglich bis zu einem Zeitpunkt X zu unterstützen und zu begleiten. Ich glaube, ich bekomme das ziemlich gut hin, mich auf eine Gruppe oder einzelne Personen einzustellen, um zu schauen, wo ich jetzt gerade am besten Beistand leisten kann.
Sind Sie eigentlich auch wegen der Musik auf dem Festival? Was für Musik hören Sie privat?
Ja, ich höre die Bands, die auf dem Festival auftreten, auch privat gern. Musikalisch bin ich vielseitig interessiert.
Was nehmen Sie für Ihr eigenes Leben von einem Festival-Einsatz als Seelsorgerin mit?
Ganz viel. Ich schätze den Austausch mit den Menschen, die verschiedenen Charaktere, die gemeinsamen Erfahrungen. Ich bin ohnehin ein Mensch, der gern in einem Team arbeitet und sich dort austauscht. Und das gibt mir sehr viel.