
Seemannsmission Cuxhaven: Der Ukraine-Krieg und seine Auswirkungen auf die Seefahrt
Seit über einem Jahr ist die Welt nicht nur an Land, sondern auch an Bord vieler Schiffe eine andere. Martin Struwe und Inga-Kristin Thom von der Seemannsmission in Cuxhaven erzählen, wie sich ihre Arbeit seit Kriegsbeginn verändert hat.
"Noch nie ist es mir so schwer gefallen wie dieses Jahr, ein Vorwort für den neuen Jahresbericht zu schreiben", erzählt Martin Struwe, Leiter der Seemannsmission Cuxhaven. Doch das liegt nicht etwa daran, dass es nichts neues zu berichten gibt - ganz im Gegenteil. Nach philippinischen Seeleuten sind Ukrainer und Russen die größte Gruppe in der Seefahrt. "Seit Jahrzehnten nannten wir bei der Seemannsmission ukrainische und russische Seeleute in einem Atemzug. Auf vielen Schiffen war ein Mix aus diesen beiden Nationen anzutreffen und sowohl in unseren als auch den Augen der Seeleute eine nahezu perfekte Kombination", berichtet Struwe.
Kontakt in die Heimat
Dies habe sich nun aber völlig verändert: "In den ersten Wochen und Monaten des Krieges trafen wir auf ukrainische Seeleute in den unterschiedlichsten Gemütszuständen. Dazu kam die Sorge um Familie und Freunde", erinnert sich Struwe. Sofort stellten sich die Mitarbeitenden der Mission die Frage, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten und welche Unterstützung möglich ist. "Auf der Suche nach wenigstens einer kleinen praktischen Unterstützung kamen wir schnell auf die Idee, ukrainischen Seeleuten Telefonkarten zu schenken. Diese ermöglichten es, ohne Gedanken an mögliche Kosten, Kontakt in die Heimat zu halten", berichtet Politologin und Missionsmitarbeiterin Inga-Kristin Thom. Innerhalb kürzester Zeit hätten der Mission mehrere private Spender, die Hafenwirtschaftsgemeinschaft und die Helios-Klinik geholfen, Geld zu sammeln.
Wut, Scham und Ratlosigkeit
Über ein Jahr ist es nun her, dass Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat. Nach dem ersten Schock über den Einmarsch Russlands in die Ukraine seien viele weitere Probleme aufgetreten. Bei denjenigen, deren Familie im Ausland unterkommen sind, würden viele mit den hohen Lebenshaltungskosten im Ausland kämpfen. Andere wiederum hätten neben dem finanziellen Druck ein schlechtes Gewissen an Bord zu sein und nicht in ihrer Heimat.
Bilder von Zerstörung und Tod
"Wir treffen aber auch viele russische Seeleute, einige sind vor Scham kaum in der Lage ein Gespräch zu führen, andere befürworten den Krieg sogar. Oft konnten wir nur zuhören, Bilder von Zerstörung und Tod gemeinsam betrachten, die Situation ertragen und die Ohnmacht aushalten. Die Gesprächsthemen an Bord rund um den Krieg sind vielschichtig", erklärt Thom. Mittlerweile gehört der Krieg zum Alltag des Teams und auch die meisten Seeleute hätten einen Weg gefunden, damit umzugehen. Doch wie verarbeiten die Haupt- und Ehrenamtlichen Mitarbeiter der Mission das, was die Seeleute ihnen in Gesprächen anvertrauen? "Wir bekommen bei unseren besuchen an Bord oft Fotos und Videos gezeigt, die so in den Medien nicht zu sehen sind. Die schockierenden und unzensierten Aufnahmen muss man selbst erst einmal verarbeiten. Wir reden daher sehr viel im Team darüber. Jeder ist hier für den anderen da. Wir passen alle aufeinander auf", freut sich Martin Struwe über den Zusammenhalt.
"Sonntag der Seefahrt"
Am Sonntag, 5. März, um 9.30 Uhr in der St. Petri-Kirche wird das Thema Krieg ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. Die Gemeinde und die Seemannsmission feiern den "Sonntag der Seefahrt", bei dem die Lebens- und Arbeitssituationen von Menschen auf See im Mittelpunkt stehen, bereits zum 30. Mal.