
18. April 1945 auf Helgoland: Der Tag der tausend Bomben
HELGOLAND. Der 18. April ist für Helgoland und die Helgoländer in mehrfacher Hinsicht ein rabenschwarzer Tag. In diesem Jahr jährt sich das große Bombardement mit anschließender Evakuierung der Insel zum 75. Mal.
Rund Tausend viermotorige Flugzeuge der Royal Air Force flogen zu diesem Zeitpunkt über die Deutsche Bucht. Ihr Ziel war die von den Nationalsozialisten zur Festung ausgebaute Hochseeinsel. Sie legten die Insel in knapp 100 Minuten durch Dauerbeschuss in Schutt und Asche. Die britischen Bomber warfen etwa 7000 Bomben ab. Die Zivilbevölkerung verharrte im Bunker.
18. April 1947. Mit dem dritten Ton des 13-Uhr-Zeitsignals der BBC kam es auf der in Trümmern liegenden Insel zur bisher immer noch weltweit größten konventionellen Sprengung mit 3997 Nettotonnen Sprengstoff. Genau zwei Jahre nach dem Bombenhagel unternahmen die Alliierten am 18. April 1947 den Versuch, die militärischen Festungsanlagen Helgolands mit ihrem U-Bootstützpunkt von den Seekarten zu tilgen. Die bis heute größte konventionelle Sprengung bezeichneten die Briten als Operation "Big Bang" - und tatsächlich war der große Knall seinerzeit an der gesamten Nordseeküste zu hören. In Cuxhaven wackelten die Fenster. Helgoland sollte nie wieder als militärischer Stützpunkt dienen können.
Die Schrecken des 18. April bleiben auf Helgoland in den Familien unvergessen. Punkt 12 Uhr läutet daher traditionell dumpf die große Helgoland-Glocke im St.-Nicolai-Kirchturm. Sie ist deutliches Signal gegen den Krieg. Etwas über 100 Minuten dauerte der Angriff wenige Tage vor Weltkriegsende am 18. April 1945 auf Insel und Düne. Einen Tag später griffen die Bomber erneut an. Die 3000 Einwohner zählende Zivilbevölkerung überlebte nur, weil sie - wie bei Luftalarm unzählige Male vorher - in den Bunkeranlagen Zuflucht fand. Jeder hatte hier seinen festen Platz. Auch Marianne Roolfs mit den beiden Töchtern Gerda (5), Hilde (4) und dem kleinen Detlef (2). Zwei Tage lang mussten die Helgoländer Familien ausharren. Es war eng, es war staubig und stickig. Stellenweise zeigte die Betondecke bedrohliche Risse. Die Luftschutzanlagen blieben trotz der Heftigkeit des Bombardements unversehrt. Bei diesem Angriff starben zwölf Zivilisten, die sich außerhalb des Bunkers befunden hatten, sowie über Hundert Soldaten.
Hätte dieser Luftangriff wenige Tage vor Kriegsende noch vermieden werden können? Der Lauf der Geschichte sollte sogar verändert werden. Zwei Männer hatten eine Widerstandsgruppe auf der vom Militär beherrschten und zur Festung ausgebauten Insel aufgebaut:
Der Helgoländer Erich Friedrichs - ein leidenschaftlicher, intelligenter Mann - und der aus Süddeutschland stammende Dachdeckermeister Georg Braun. Bei Braun auf dem Oberland trafen sich in erster Linie Offiziere und Soldaten der in der Nähe liegenden Batterien "Falm" und "Jacobsen". Treffpunkt im Unterland war das "Friesenhaus" von Erich Friedrichs, wo Helgoländer und Zivilisten vom Festland zusammenkamen. Nie trafen sie sich in größeren Gruppen. Immer kamen sie wie zufällig vorbei. Während die Militärgruppe um Braun die Pläne für eine kampflose Übergabe der Insel an die Alliierten ausarbeitete, hatten Friedrichs und einige seiner Leute Funkkontakt zu den Engländern. Friedrichs war Funkoffizier an der Signalstation unweit des Hauses von Georg Braun. Deshalb konnten bei sporadischen Treffen Informationen ausgetauscht werden.
Am Morgen des 18. April 1945, also nur wenige Stunden vor dem Großangriff, kam es zur Verhaftung der als "Verräter" gebrandmarkten Männer. Sie wurden mit dem Schiff zum Festland transportiert. Von 14 inhaftierten Personen wurden sieben Männer als Kriegsverbrecher auf dem Schießstand am Rande von Cuxhaven-Sahlenburg am 21. April 1945 standrechtlich erschossen. Sie starben durch Genickschuss.
Die Erschießungsurkunde unterzeichnete Rolf Johannesson als Kommandant der Seeverteidigung Elbe-Weser. Nach dem Krieg setzte der Konteradmiral seine steile militärische Karriere in der Bundesmarine fort. Die Marineschule Mürwik in Flensburg ehrt ihn bis heute mit einer Büste in der Aula und einem Preis für den Jahrgangsbesten. Die Aufarbeitung der Geschichte des Helgoländer Widerstandes erfolgte spät.
Die Geschichte der Widerstandsgruppe und ihrer Rettungsaktion auf Helgoland recherchierte die gebürtige Helgoländerin Astrid Friederichs und veröffentlichte sie in ihrem Buch "Wir wollten Helgoland retten." (ISBN 978-3-00-030405-7). Seit dem 18. April 2010 erinnern "Stolpersteine" an die mutigen Widerständler. Am 18. April 2015 wurden in Sahlenburg ein Gedenkstein und eine Erinnerungstafel aufgestellt. Die jeweiligen Gedenkfeiern fanden seinerzeit noch mit Hinterbliebenen der Terroropfer statt. Die für den 75. Jahrestag eigentlich geplanten öffentlichen Gedenkfeiern müssen wohl auf Helgoland und in Cuxhaven wegen der Auswirkungen der Corona-Krise unterbleiben und von jedem Einzelnen im Stillen vollzogen werden. Nach den Angriffen am 18. und 19. April harrte die Zivilbevölkerung in den Helgoländer Bunkeranlagen aus. Am 20. April wurde sie mit Schiffen zum Festland transportiert - und in Cuxhaven, Brunsbüttel und Wedel an Land gesetzt. In mehr als Hundert Zufluchtsorte verteilten sich die Evakuierten.
Über die Tage im Bunker sprach Marianne Roolfs wenig, über ihre Gefühle gar nicht. Bis an ihr Lebensende 1997 kochte sie an jedem 18. April zum Mittag Sauerkraut. Marianne Roolfs war meine Oma.
Gedenken:
Am Dienstag, 21. April, um 15 Uhr, 75 Jahre nach der Ermordung der fünf Widerständler, wird der Vorsitzende des Vereins für Gedenkkultur Cuxhaven, Manfred Mittelstedt, am Gedenkstein am ehemaligen Schießplatz in Sahlenburg, Straße "Achtern Kugelfang", in Erinnerung und im Gedenken an die dort wenige Tage vor Kriegsende am 21. April 1945 erschossenen Georg Braun, Karl Fnouka, Erich Friedrichs, Kurt Pester und Martin Wachtel in einer bewusst kleinen Gedenk-Zeremonie nach kurzer Ansprache je eine weiße Rose für jedes der fünf Opfer niederlegen. Es erfolgt wegen der momentanen Situation keine Einladung. Falls jemand kommen möchte, muss vor dem Gedenkstein auch in freier Natur ein Mindestabstand von etwa zwei Metern eingehalten werden. Nach derzeitigem Stand ist ein offizielles Gedenken am Sahlenburger Schießstand am 20. Juli 2020 geplant.