Altenwalde: Mit TV-Star Carsten Stahl gegen Mobbing
ALTENWALDE. Die Franzenburger Schule setzt ein Zeichen gegen Mobbing - mit dem TV-Detektiv Carsten Stahl an ihrer Seite.
Die Franzenburger Schule setzt ein Zeichen gegen Mobbing: Dafür holte sie sich kürzlich den RTL2-Star Carsten Stahl ("Privatdetektive im Einsatz") an die Seite. Michael Most, Vorsitzender des Schulelternrates seit 2016 und seit 2018 auch 2. Vorsitzender des Fördervereins der Schule, stellte den Kontakt her.
Nach einigen Seminaren und Workshops zur Mobbing-Prävention, "die leider nicht lange Früchte getragen haben", so Michael Most, wollte er einen anderen Weg gehen, um das Thema zu vermitteln. "Respekt, Toleranz und Mobbing-Themen dürfen ruhig auch lustig sein. Sie müssen aber auch wehtun und ernst vermittelt werden", so seine Vorstellung. Deutliche Worte müssten gesprochen werden.
Diese Themen gehörten außerdem nicht ausschließlich in die Schule, sie müssten auch nach Hause, in den Sportverein - überall hin getragen werden. Der Förderverein der Franzenburger Schule und Elternrat hatten auch alle weiterführenden Schulen in Cuxhaven als Gäste eingeladen, was allerdings nur zwei Schulleitungen wahrnahmen.
Die Art des Berliners Carsten Stahl, mit dem Thema umzugehen: Die Dinge beim Namen benennen, nichts beschönigen, nichts unter den Tisch kehren. Mit "Berliner Zungenschlag" ging es in die Offensive. Die ehemalige Kiez-Größe mit den muskelbepackten Armen ließ die Kinder tief in seine Seele blicken.
Selber Opfer gewesen
Mit großer Anteilnahme folgten sie seinen Erzählungen darüber, wie er als Zehnjähriger gedemütigt und verprügelt und irgendwann vom Opfer zum Täter wurde. "Man hat mich monatelang erpresst und geschlagen. Ich habe mein Wissen aus eigener Erfahrung. Diese Narbe wird mich ein Leben lang daran erinnern", sagte er, sich auf die Stirn tippend.
Eine Wendung in seinem Leben trat ein, als sein Sohn schon am zweiten Tag nicht mehr zur Schule gehen wollte und gestand, wie übel ihn seine Klassenkameraden behandelt hatten. Bei der Schulleitung stieß der Vater auf taube Ohren. Mobbing? Nicht bei uns! Für Carsten Stahl der Auslöser, eine der erfolgreichsten Kampagnen deutschlandweit zum Thema Mobbing zu starten, um die Gesellschaft und die Politik zu sensibilisieren. Die Kampagne "Stoppt Mobbing" mit dem Workshop "Camp Stahl" sind Markenzeichen geworden.
Die Kinder der dritten und vierten Klassen hingen "dem großen starken Mann" sprichwörtlich an den Lippen. Er sei kein Lehrer, kein Staatsanwalt, kein Polizist und habe keinen Doktortitel, stellte er klar, "ich sage aber, was ich denke".
"Mobbing bedeutet, dass andere Kinder traurig sind", erklärte Stahl. Schlimmes Mobbing passiere auch im Fernsehen. Bei "Deutschland sucht den Superstar" oder "Germanys Next Topmodel" würden Kandidaten oder Kandidatinnen öffentlich gedemütigt.
Im Alltag ganz normal
Mobbing sei außerdem "alltagstauglich" geworden, beginne oft schon in der Kita und setze sich in der Schule fort. Wer darf mitspielen, wer nicht? Stehengelassen werden vor allen anderen - Erniedrigung pur. "Ihr wisst gar nicht, wie es in der Seele eines solchen Menschen aussieht. Menschen, die gemobbt werden, schämen sich oft", erklärte der Experte und den ersten Kindern kullerten Tränen aus den Augen. Erniedrigende Spitznamen seien übrigens genauso schlimm und die übelste Art von Mobbing sei Rassismus. "Sind wir nicht alle Ausländer? Denkt mal an euren Urlaub!", gab Stahl zu bedenken.
"Kennt Ihr schlimme Schimpfworte?", fragte er weiter. "Ihr seid keine Vorbilder, wenn Ihr solche Worte sagt. Das sind keine Schimpfworte, das sind Kugeln, mit denen Ihr den Menschen verletzt." Als Ursache für die Verrohung sieht der Initiator der Kampagne die Digitalisierung und den unkontrollierten Umgang mit Smartphone und Tablets. Unter anderem durch prominente Musiker seien Begriffe wie "Hurensohn", gepaart durch gewaltverherrlichende Musik, durch das Web zu den Kindern gelangt.
"Hand aufs Herz und Augen zu, wer von Euch wurde schon mal beleidigt?" Unzählige Arme schnellten hoch. "90 Prozent von Euch haben Mobbing schon erlebt", stellte Carsten Stahl fest. - "Wer von euch hat schon mal einen anderen Menschen verbal verletzt?" Ebenso viele meldeten sich. "Sehr mutig von euch, das zuzugeben", lobte sie der Coach.
Als er fragt, wer schon mal weggesehen hat, wenn jemand Opfer wurde, outet sich weit über die Hälfte der Kinder als Mitläufer. Ist das nicht eine ideale Gelegenheit, sich zu entschuldigen? Erst zögernd, dann umso entschlossener, stürmen die Kinder aufeinander zu, reichen sich die Hände und umarmen sich.
Bis zum Äußersten
"Wisst Ihr, was das Schlimmste ist? 20 Prozent der Kinder hatten schon mal Zweifel, weiter leben zu wollen. Aber das Leben ist wertvoll, es wurde euch geschenkt. Euer Leben ist wichtig!", appellierte Stahl.
Mobbing in der Schule muss aufhören - dies besiegelten die Kinder auf einer Urkunde durch ihre Unterschriften. "Ihr müsst Euch nicht alle mögen, aber Ihr müsst Euch respektieren. Ihr wisst jetzt, was Mobbing bedeutet und dass der Starke dem Schwachen helfen muss." Die Kinder hatten verstanden und Carsten Stahl ihre Herzen gewonnen. "Eure Schule hat heute bewiesen, dass Ihr ein Zeichen gegen Mobbing setzt", konstatierte der Coach.
Der Workshop rührte auf. Tabus brachen, manch einer outete sich als Opfer. Er fühle sich schon länger ausgegrenzt, gestand ein Junge. "Zeigt ihm, dass er nicht mehr alleine ist", forderte Carsten Stahl auf. Eine stürmische Umarmung folgte. Viele Kinder hätten danach das Gespräch mit ihren Eltern gesucht, bestätigte die Schulsekretärin: "Wir haben tolle Feedbacks bekommen."
"Was wir heute gesät haben, trägt seine Früchte vielleicht erst in einigen Jahren", so Willi Bontjer, Vorsitzender des Fördervereins der Franzenburger Schule, und stellte fest: "Carsten sieht zwar brachial aus, ist aber total sensibel mit den Kindern umgegangen und hat Türen aufgestoßen. "Ich würde mir wünschen, dass Deutschland zum Thema Mobbing aufwacht und sich die Politik dieses Themas annimmt", wünschte sich Carsten Stahl.
"Basis ist geschaffen"
"Das Seminar war ein riesiger Erfolg für alle Beteiligten. Eine emotionale Achterbahnfahrt mit Lachen, Tränen, Herzklopfen und Gänsehaut-Gefühlen", fasste Michael Most zusammen. Man habe eine gute Basis geschaffen und direkte Werkzeuge erhalten. Das Thema lebe und werde noch weiterhin in der Schule, im Sportverein und zu Hause gelebt werden. "Ein ähnliches Seminar werden wir in ein bis zwei Jahren wieder veranstalten, weil Respekt und Toleranz für unser Zusammenleben extrem wichtig sind!"
Von Joachim Tonn