
Angst vor Corona? Deichbrand-Macher bezieht Stellung vor Festival
CUXHAVEN/WANHÖDEN. Knapp drei Wochen sind es noch bis zum Deichbrand-Festival in Wanhöden. Dem ersten nach zwei Jahren Zwangspause.
Für Geschäftsführer Marc Engelke ist es das erste Festival ohne Co-Geschäftsführer Daniel Schneider. Im Gespräch mit Heike Leuschner berichtet Engelke unter anderem, wie der Veranstalter durch die Pandemie gekommen ist und ob sich hohe Inzidenz und Ansteckungsgefahr auf die Festivalvorbereitung auswirken.
Herr Engelke, durch den Wechsel von Daniel Schneider in den Bundestag sind Sie mittlerweile Hauptverantwortlicher des Deichbrand Festivals - wie fühlt sich das an?
Aufgrund der langen Corona-Pause ist das für mich eine eher schleichende Umstellung gewesen. Wir haben natürlich über die Bundestagskandidatur im Vorfeld gesprochen und dass es nicht möglich sein wird, auf beiden Hochzeiten zu tanzen. Daniel Schneider hat sich aus dem operativen und damit aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, ist aber weiterhin Mitgesellschafter und durch die Gesellschafterversammlung auch in die Ausrichtung und strategische Entwicklung eingebunden. Nach wie vor mit an Bord ist mein Co-Geschäftsführer Folkert Koopmans, der gleichzeitig Geschäftsführer von FKP Scorpio ist (FKP Scorpio hält 50 Prozent der Deichbrand-Gesellschafteranteile).
Vermissen Sie die Doppelspitze mit Daniel Schneider, oder ist es vielleicht sogar einfacher als Alleinverantwortlicher?
Teils, teils. In meinem Kompetenzbereich, der Produktion, ist es durchaus angenehm, keinen Partner mehr überzeugen zu müssen. Im Bereich Booking und Marketing verlasse ich mich auf die Kolleginnen, die jahrelang mit Daniel Schneider zusammengearbeitet haben und auch alle noch im Haus sind. Trotzdem fehlt mir ab und zu der Rat von meinem früheren Co-Geschäftsführer. Aber wenn ich Unterstützung brauche, rufe ich ihn auch immer noch an.
Wie sind Sie als Veranstalter durch die Pandemie gekommen?
Für 2020 waren wir gegen Corona noch versichert. Das ging im zweiten Jahr nicht mehr. Wir haben uns aber mit Rücklagen auf solche Szenarien vorbereitet. Und wir haben nachhaltig gewirtschaftet, um unser Personal nicht nur halten, sondern auch verstärken zu können. Wir waren neun Festangestellte zu Beginn der Pandemie und sind mit 13 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen herausgegangen. Aus meiner Sicht war es richtig, recht progressiv zum 1. Oktober aus der Kurzarbeit zu gehen. Viele Kollegen aus der Veranstaltungsbranche haben diesen Schritt deutlich später gemacht. Die merken vielleicht jetzt, dass es noch viel schwieriger ist als für uns, diese ganze Produktion zu stemmen. Trotzdem mussten auch wir eingerostete Prozesse entstauben. Das ist uns, mit Unterstützung von FKP Scorpio, auch gelungen. Wir konnten uns beruflich bei unseren Schwesterveranstaltungen Hurricane und Southside schon wieder eingrooven und gehen somit gut vorbereitet in die DEICHBRAND Produktion.
Auf dem Festivalgelände in Wanhöden wird seit Tagen Material für die Rock-City angeliefert. Andererseits meldet das Robert-Koch-Institut aktuell eine Inzidenz von 917,8 (Stand: 28. Juli) für Niedersachsen. Berichten zufolge haben sich beim Hurricane in Scheeßel Tausende Besucher mit dem Virus infiziert. Treibt Ihnen die Entwicklung der Corona-Infektionszahlen, insbesondere auch in Zusammenhang mit dem Festivalgeschehen, die Schweißperlen auf die Stirn?
Wir haben das natürlich im Blick, schauen aber mehr auf die Lage in den Krankenhäusern als auf die nackte Inzidenz. Solange das in einer vertretbaren Relation zueinander steht und nicht in Richtung Eskalation steuert, sind wir mit unserem Open-Air-Event sehr entspannt, das ja noch dazu ein sehr junges Publikum anspricht. Für Herbst/Winter ist das sicher noch einmal neu zu bewerten, aber jetzt für den Sommer seh ich da trotz der hohen Inzidenzen keine Wechselbeziehung mit den Krankenhäusern. Wir sind überzeugt, dass das Deichbrand-Festival stattfinden wird.
Haben Sie ein Hygienekonzept?
Es gibt ein Hygiene-, Infektionsschutz- und Sicherheitskonzept für Deichbrand. Die großen Maßnahmen wie Abstand, Maske, Einlasskontrollen/Tests sind darin aber nicht vorgesehen. Deichbrand wird ein ganz normales Festival, wie wir es von vor Corona kennen. So haben auch die großen Open-Air-Festivals in den vergangenen Wochen in Deutschland stattgefunden.
Wie nehmen Sie als Kenner der deutschen Veranstaltungsbranche diese erste Festivalsaison nach zwei Jahren Pandemie wahr?
Ich habe gerade als Veranstaltungsleiter das Southside-Festival miterlebt. So eine Euphorie auf dem Platz bis zur allerletzten Reihe, das war für mich wirklich überraschend. Ich bin davon ausgegangen, dass die Leute ausgehungert sind nach Kultur, aber dass das solche Formen annimmt bis hin zu Ticketvorverkäufen, die bereits für 2023 gestartet sind, das habe ich nicht erwartet. Andererseits gibt es auch Ausfälle, weil Künstler beispielsweise nicht nach Europa kommen können. Bis vor Kurzem haben wir um einen Künstler gebangt, weil er nicht wusste, ob er einen Tourbus bekommt. Solche Probleme kennen wir aus der Vergangenheit gar nicht.
Herbert Grönemeyer hat gerade coronabedingt seine komplette Tour abgesagt. Was machen Sie, wenn kurzfristig namhafte Bands ausfallen?
Wir hoffen, dass die Vorsichtsmaßnahmen von den Künstlern eingehalten werden. Aber klar, das Virus ist ansteckend, auch Künstler können sich infizieren. Wenn wir rechtzeitig davon erfahren, können wir nach Alternativen suchen. Sollten wir keinen Ersatz finden, versuchen wir das Programm durch verlängerte Spielzeiten der anderen Künstler anzupassen. Wir hoffen natürlich, dass sich bei 100 Künstlerinnen und Künstlern, die auf dem Deichbrand spielen, die Ausfallquote möglichst gering hält.
Auch wenn so ein Open-Air-Festival nur wenige Tage dauert, ist es doch extrem energieintensiv. Wie gehen Sie mit den Kostensteigerungen um?
Einige Positionen wie Licht- und Tontechnik aber auch Bühnentechnik sind preislich tatsächlich explodiert. Glücklicherweise konnten wir mit Aldi nicht nur einen sehr wichtigen Sponsor halten, sondern die Zahl unserer Sponsoren insgesamt gegenüber 2019 sogar deutlich steigern. Das ist wichtig für uns, weil wir so die Mehrkosten besser kompensieren können. Wir hatten 2019 unsere Ticketpreise für 2020 kalkuliert, haben jetzt aber 2022er-Kosten. Wir sprechen hier von einer siebenstelligen Differenz zwischen Kalkulation und tatsächlichen Kosten. Um das aufzufangen, haben wir neben der Zahl der Sponsoren die Ticketpreise erhöht. Außerdem nutzen wir die Möglichkeit, Fördermittel beispielsweise aus dem Fonds Neustart Kultur einzuwerben.
Gibt es für Kurzentschlossene noch Festival-Tickets?
Ja, sowohl für alle vier als auch für einzelne Festivaltage. Das wird voraussichtlich bis kurz vor dem Festival so sein. Wir gehen davon aus, dass wir am Ende bei 55.000 bis 60.000 Besuchern landen werden.
Sie haben aktuell einen Zehn-Jahres-Pachtvertrag mit der Gemeinde Wurster Nordseeküste. Die Hälfte davon ist vorbei. Denken Sie schon darüber nach, den Vertrag zu verlängern?
Unbedingt. Bürgermeister Marcus Itjen ist schon informiert. Wir sind super happy hier, ich komme von hier genauso wie Daniel (Schneider), ein Großteil unserer Crew ist hier geboren. Und wir wollen dieses kulturelle Highlight hier auch halten - für unsere jungen Zielgruppen und natürlich auch für Junggebliebene. Wenn es nach uns geht noch viele Jahrzehnte.