
Initiative schlägt Alarm: "Elbvertiefung läuft aus dem Ruder"
KREIS CUXHAVEN. Bürgerinitiativen, Obstbauern, Fischer und Politiker schlagen Alarm: "SOS für die Tideelbe - Kursänderung jetzt", heißt es in einem gemeinsam Appell.
Mit ihrem Appell fordern die Aktivisten Hamburg und den Bund auf, die Saugbagger an die Kette zu legen. Es gelte, das Ökosystem in der Unterelbe zu retten - und eine Hafenkooperation auf den Weg zu bringen.
Die Verschlickung nimmt zu, Fische sterben. Das Ökosystem kippt. In der Altländer Festhalle in Jork haben sie jetzt ein Thesenpapier vorgestellt. "Die negativen Folgen, vor denen wir immer gewarnt haben, sind eingetreten. Der erhoffte Aufschwung für den Hamburger Hafen ist ausgeblieben", brachte es Walter Rademacher aus Neuhaus, Sprecher des Regionalen Bündnisses gegen die Elbvertiefung, auf den Punkt. Stattdessen stiegen die Baggerkosten - auf mehr als 150 Millionen Euro im Jahr.
Sand vertreibt in die Fahrrinne
Doch immer wieder rutscht Sediment in die Fahrrinne nach, Schlick verstopft Hafenbecken, Elbe und Nebenflüsse. Die Elbe lasse sich nicht auf Tiefe halten, die Saugbaggerei werde Sisyphusarbeit bleiben. "Aus der Elbvertiefung wird eine endlose wasserbauliche Dauerbaustelle", sagt der Cuxhavener NABU-Schifffahrtsexperte Klaus Schroh. Ohne eine Kursänderung werde die Elbvertiefung zum Milliardengrab. Das Geld solle besser in Küstenschutz investiert werden.
Die Altländer fordern, dass der Schlick aus der Elbe entnommen wird - und in Reifestätten zu Klei für den Deichbau verwandelt wird. Das entspricht einem Vorschlag von Enak Ferlemann (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesverkehrsminister. Der Meeresspiegel steige bis 2100 um einen Meter, die Deiche an der Elbe müssen klimawandelbedingt erhöht werden. Durch die Elbvertiefung liefen die Fluten bereits höher auf. Tendenz steigend. Das zeigten die offiziellen Pegelmessungen.
Fahrrinne zu schmal
Die Havariegefahr steige, heute seien deutlich größere Schiffe auf der Elbe als das Bemessungsschiff der Fahrrinnenanpassung unterwegs, bis zu 400 Meter lang und 60 Meter breit sind die Mega-Schiffe. Doch die Breite der Fahrrinne entspreche nicht den internationalen Sicherheitsvorgaben. Etwa 500 Meter statt 320 Meter müsste die Fahrrinne breit sein, um eine Umkehrmöglichkeit im Gefahrenfall zu ermöglichen, so Schroh.
Die Schiffsstatistik zeige, dass der Tiefgang nicht ausgenutzt werde und die Zahl der Containerschiffe mit einer Kapazität von plus 8000 Standardcontainern (TEU), die Hamburg anlaufen, rückläufig sei. Hamburg sei und werde kein Direkthafen. Die für das Jahr 2025 prognostizierte Umschlagszahl von 25 Millionen TEU werde nicht erreicht, diese liege unter zehn Millionen TEU. Und: Es gebe erhebliche Reservetiefgänge, da die Schiffe in Antwerpen und Rotterdam große Ladungsanteile löschen. Die Vertiefung sei nicht notwendig. Hamburg müsse akzeptieren, dass die Westhäfen weiter wachsen werden - auf Kosten Hamburgs. Im Mittelmeer und im Ostseeraum seien neu ausgebaute Containerhäfen entstanden. Zugleich steigt die Schiffsgröße.
Hamburg einfach zu teuer
"Gegen den Bedeutungsverlust wird Hamburg nicht anbaggern können, der Hamburger Hafen ist einfach zu teuer", zitierte Dr. Olaf Specht in Jork den Leiter des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Prof. Henning Vöpel. Notwendig sei eine Seehafenkooperation, die Wirtschaft sei da schon ein Stück weiter als Hamburgs Senat. So macht sich der Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne für einen Zusammenschluss von HHLA und Eurogate stark, will eine Kooperation von Hamburg mit den bremischen Häfen und dem JadeWeserPort in Wilhelmshaven. Der Bund und Hamburg sollten sich auf die Verbreiterung der Fahrrinne im Bereich der Begegnungsstrecken beschränken, lautet eine Forderung, und den ökologischen Zustand der Elbe verbessern - auch, um die Fischfauna und die Wasserqualität für die Beregnung im Obstbau zu sichern. Die Brackwasserzone rücke flussaufwärts vor.
Niedersachsens ehemaliger Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) forderte den Bund auf, die EU-Wasserrahmenrichtlinie zu beachten. Notfalls müsse die EU ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten und vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Das Bündnis fordert die Einsetzung einer Kommission für die Entwicklung einer Kooperation der deutschen Seehäfen - unter der Leitung der Regierungen der Küstenländer und der Bundesregierung unter Beteiligung aller Betroffenen und mit Experten. Die Kommission soll bis Mitte 2022 eine Lösung vorlegen - verbunden mit der Gründung einer Tochter der Konzerne HHLA und Eurogate. Naturzerstörung und Fehlinvestitionen müssten gestoppt werden.
Schlickmassen in Bewegung
Obwohl die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes das Projekt Elbvertiefung im Mai für abgeschlossen erklärt hat, scheint die angepeilte Solltiefe der Fahrrinne im Streckenabschnitt zwischen Hamburg und Brunsbüttel noch nicht erreicht worden zu sein. Angeblich wolle man beobachten, ob Sedimente in die vertiefte Rinne abrutschen oder mit den Gezeitenströmen eingeschwemmt werden, bevor eine endgültige Solltiefe festgelegt werden könne. Ein tideunabhängiger Containerschiffs-Tiefgang von 13,50 Metern werde damit vorerst nicht erreicht.
Kritiker der Elbvertiefung wie der Cuxhavener Klaus Schroh argwöhnen zudem, dass in die Medemrinne verklappte Baggermassen vom Gezeitenstrom ins Hauptfahrwasser querab der Kugelbake verdriften. Vor zwei Jahren wurde an der Medemrinne ein Steinschüttdamm errichtet, um dahinter Baggergut zu lagern und den Flutstrom im Hauptfahrwasser zu dämpfen. Die angepeilte Lagestabilität, so Schroh, sei damit widerlegt.