
"Brautkleid-Mord" in Cuxhaven: Täter war ein Schuhfetischist
CUXHAVEN. Ein Polizeihubschrauber kreiste am Nachmittag des 26. Mai 1999 über dem Stadtgebiet Cuxhavens. An jenem Mittwoch gegen 15.30 Uhr hatte die fieberhafte Suche nach der jungen Cuxhavenerin Nina B. ihren Höhepunkt erreicht.
Der Ehemann der 24-Jährigen hatte seine Frau bereits am Pfingstmontag als vermisst gemeldet. Als die groß angelegte Suche am Abend eingestellt wurde, gab es immer noch kein Lebenszeichen von der jungen Friseurin. Die kurzfristig eingesetzte achtköpfige Sonderkommission ermittelte unter Hochdruck weiter.
Die Bevölkerung wurde auch über diese Zeitung zur Mithilfe aufgerufen. Wo war die 1,63 Meter große, mittelschlanke Frau mit braunen Augen und dunklem gelocktem Haar geblieben? Als sie ihre Wohnung an der Sudetenlandstraße am Pfingstmontag gegen 12 Uhr verlassen hatte, trug Nina B. einen schwarzen Blouson. Außerdem hatte sie ihr Brautkleid dabei, das sie über eine Anzeige in einer Wochenzeitschrift verkaufen wollte. Eine schicksalhafte Entscheidung.
Traurige Gewissheit
Unter der Überschrift "Traurige Gewissheit: Nina B. ist tot 'Brautkleid-Mörder' kam am Montag" berichtete unsere Zeitung von dem schrecklichen Schicksal der lebensfrohen Frau. Ein 23 Jahre alter Montage-Arbeiter aus Cuxhaven hatte die Polizei in der Nacht zum Sonnabend zu ihrer Leiche geführt.
"Ich war seinerzeit als Kriminaltechniker mit im Einsatz", erinnert sich 20 Jahre nach der Tat Kriminaloberkommissar Wolfgang Karg. Der Kripomitarbeiter ist unter anderem Fachmann für Phantombilder. "Wenn ich gemeinsam mit den Zeugen ein Phantombild erstellt habe, erfahre ich manchmal gar nicht, was aus den jeweiligen Fällen wird", beschreibt der versierte Kriminaltechniker bei der Polizeiinspektion Cuxhaven seinen Alltag. "Diesmal wurde ich angefordert. Wir sind mit dem Täter in den Wald gefahren und haben dort den Auffindeort der Leiche besichtigt und später dann gründlich kriminaltechnisch untersucht", berichtet Wolfgang Karg, dem der spektakuläre Fall noch gut in Erinnerung ist.
Gegen den geständigen Täter Fritjof L. wurde kurz darauf Haftbefehl wegen Totschlags erlassen. Der 23-Jährige kam in Untersuchungshaft. Bei einer Leibesvisitation entdeckten die Beamten einen Ehering und einen Ohrstecker, die sich später als Schmuck von Nina B. herausstellten.
Am 1. November 1999 wurde Fritjof L. vor der 2. Großen Strafkammer beim Landgericht in Stade der Prozess gemacht, der unter dem Begriff "Brautkleid-Mord" in die Kriminalgeschichte eingehen sollte. Unsere Zeitung berichtete seinerzeit jeweils tagesaktuell aus Stade über den Fortgang der Verhandlung.
Kleinanzeige aufgegeben
Fritjof L. war über eine Kleinanzeige für ein Brautkleid auf die junge Cuxhavenerin aufmerksam geworden. Nina B. hatte in einem Wochenblatt ihr "champagnerfarbenes Kleid mit langer Schleppe, Reifrock und Zubehör" annonciert. Unter den Interessenten war auch der Montagearbeiter, der sich nach einem ersten Telefonat mit der Friseurin verabredete, um zunächst einmal Fotos von dem Brautkleid zu machen. Der Mann gab vor, das Kleid im Auftrag seiner Schwester kaufen zu wollen. Am Pfingstmontag 1999 sollte das Geschäft perfekt gemacht werden.
Nina B. hatte sich dafür erneut mit Fritjof L. verabredet und war an dem Tag gegen 12 Uhr samt Kleid in seinen Wagen gestiegen. Zunächst steuerten die beiden eine Tankstelle an. Danach fuhren sie in Richtung Berensch. Als der Wagen am Rande eines Ackers anhielt, wollte Nina B. das Auto verlassen. Der Fahrer wollte das verhindern. Im Pkw kam es zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung, die darin mündete, dass Fritjof L. die junge Frau an den Kopf schlug und sie dann so lange würgte, bis sie keine Luft mehr bekam.
Von Berensch ging die Fahrt weiter nach Neuenwalde. Ob Nina B. zu diesem Zeitpunkt schon tot war, oder wenig später in Neuenwalde erwürgt wurde, konnte zum Prozessauftakt noch nicht hundertprozentig geklärt werden. In der dortigen Feldmark an der Landesstraße 119 legte der Arbeiter die Leiche ab und bedeckte sie mit Sträuchern.
Als der Prozess Anfang November 1999 beginnt und Fritjof L. erstmals den Platz auf der Anklagebank neben seinem Verteidiger Rechtsanwalt Hans-Peter Behn einnimmt, sitzt dort ein Mann, der auf den ersten Blick so gar nicht wie ein Frauenmörder wirkt. Er sieht aus wie ein zu groß geratener Junge. Seine Aussagen machte er unter Ausschluss der Öffentlichkeit, da vor der Kammer auch seine sexuellen Neigungen thematisiert wurden.
Mordplan aufgeschrieben
Der Gerichtsmediziner Dr. Axel Gehl, der die nach fünf Tagen bei Neuenwalde gefundene Leiche von Nina B. obduziert hatte, stellte seinerzeit einen Erstickungstod fest. Vergewaltigt oder sexuell missbraucht hat Fritjof L. das Opfer nach Angaben des Mediziners jedoch nicht.
Als Richter Arnold Thomsen einen von Fritjof L. bereits im Jahr 1994 geschriebenen Brief im Gerichtssaal verliest, wird der Angeklagte zusehends unruhiger und die Zuhörer im Saal können nicht glauben, was sie da hören.
Minutiös hat Fritjof L. einen brutalen Mordplan aufgelistet: Von dem Augenblick des Brautkleid-Kaufs beschreibt er, wie er in die Wohnung kommt, sein Opfer mit dem Elektroschocker niederstreckt, später seine Arme und Beine mit Teppichband fesselt, es ins Schlafzimmer zerrt, es auszieht, ihm Pumps überstreift und ihm Gewalt antut und es schließlich tötet. Auch von Videoaufnahmen und Fotos war in dem Brief die Rede.
"Die Schuhe standen beim Angeklagten immer im Vordergrund. Die Frau, die in den Pumps steckte, war ihm eher egal", erklärte Staatsanwalt Klaus-Hermann Grünberg seinerzeit in seinem Plädoyer. Der Jurist ging von einem Mord mit "erheblich verminderter Schuldfähigkeit" aus und stellte einen Antrag auf eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren.
Der Cuxhavener Verteidiger Hans-Peter Behn eröffnete sein Plädoyer damals mit dem Hinweis auf das 85-seitige Gutachten, das dem Angeklagten eine "schwer strukturierte Persönlichkeitsstörung mit schizoiden Akzenten" und eine "multiple Störung der Sexualpräferenz" attestierte. Er schilderte seinen Mandanten als "schwerkranken Mann", dessen Tat von keinem Motiv getragen war. Fritjof L. habe sich vor und nach der Tat derart "sorglos" verhalten, so der Verteidiger, dass man nicht von einer von langer Hand geplanten Tat ausgehen könne.
Am 15. Dezember sprach das Gericht unter Vorsitz von Richter Arnold Thomsen das Urteil: Die Kammer sah es als erwiesen an, dass Fritjof L. Nina B. am Pfingstmontag 1999 ermordet hat. Dafür wurde er zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. "Der Angeklagte ist eine Gefahr für die Allgemeinheit", erklärte der Richter. Deshalb sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dringend erforderlich. So eine Unterbringung könne auch "lebenslang andauern".
"Neu aufgerollt"
Im Landkreis Cuxhaven gibt es zahlreiche Kriminalfälle, die auch nach jahrelangen Ermittlungen immer noch Rätsel aufgeben. Es sind ebenso schreckliche wie aufsehenerregende Fälle, mit denen sich die Ermittler in der Region befasst haben. Einige sind inzwischen geklärt, bei anderen tappt die Polizei nach wie vor im Dunkeln. Vielen sind die unfassbaren Taten noch heute in Erinnerung.
In der CN/NEZ-Serie "Neu aufgerollt" wollen wir an diese spektakulären Kriminalfälle erinnern. Bisher erschienen:
"Das Rätsel der verschwundenen Mädchen" Angelika Kielmann und Anke Streckenbach vor 40 Jahren (26. Juni).
"Auf den Spuren von Swantjes Mörder", der fast 30 Jahre nach dem Mord an Swantje S. in Neuenkirchen gefasst werden konnte (10. Juli).
"Brutale Gewalttat verstörte die Cuxhavener Fischbranche" über den Doppelmord an einem Cuxhavener Ehepaar im Neuen Fischereihafen 1986 (24. Juli).
"Zehn Jahre später: Von Nancy Köhn fehlt weiterhin jede Spur" über das rätselhafte Verschwinden einer damals 26-Jährigen aus Hechthausen im Jahr 2009 (7. August).
"Der Mörder von Wally Sch. kam zum Kaffeekränzchen vorbei" über den bis heute unaufgeklärten Mord an der 76- jährigen Wally Sch. in Cuxhaven-Döse (21. August).
"Nicht ermittelte Täter sind eine lebenslange Belastung", ein Interview mit dem Otterndorfer Psychologen Prof. Dr. Lothar Wittmann (4. September).
Steckt ein Serientäter hinter den Morden? Bis heute wird vergeblich nach dem Mörder von Jutta Schneefuß, Irene Warnke und weiterer junger Frauen aus dem Elbe-Weser-Raum gesucht (18. September).
"Cold-Cases"-Ermittler sind auf der Jagd nach neuen Ansatzpunkten - wie das Landeskriminalamt in Hannover arbeitet sowie am Tatort gesichertes Spurenmaterial molekulargenetisch analysiert wird, beschreibt der Serienteil am 2. Oktober.
Bestialischer Mord an der 16-jährigen Sonja Ady. Dieser Fall aus dem Jahr 1987 zählt zu der unheimlichen Serie ungeklärter Disco-Morde im Elbe-Weser-Raum. Ein in den 2000er-Jahren angeklagter Mann wurde freigesprochen (16. Oktober).
Bluttat auf einem Gemüsehof. Eine 32-jährige Frau wurde 1999 durch dutzende Messerstiche getötet. Der Täter ist bis heute auf freiem Fuß (30. Oktober).
Zwei Prostituiertenmorde in Bremerhaven 1992 und 1993. Die Polizei wendet sich erneut an die Öffentlichkeit und hat eine Fahndung eingeleitet. (13. November)
Alle Teile dieser Serie können unter dem Themenspecial "Cold Case: Alte Mordfälle neu aufgerollt" auch auf dem Internetportal www.cnv-medien.de abgerufen werden.