Ein Beamter der Schutzpolizei betritt das Treppenhaus der Fischhalle XI. In dem Gebäude müssen Täter und Gerhard K. aufeinandergetroffen sein.
Ein Beamter der Schutzpolizei betritt das Treppenhaus der Fischhalle XI. In dem Gebäude müssen Täter und Gerhard K. aufeinandergetroffen sein.
Serie "Neu aufgerollt..."

Brutale Gewalttat verstörte die Cuxhavener Fischbranche

von Kai Koppe | 24.07.2019

CUXHAVEN. Am 22. Februar 1986 wurde ein Cuxhavener Ehepaar im Neuen Fischereihafen brutal ermordet. Die Hintergründe der Bluttat sind bis heute unklar. 

Schneeschauer und Temperaturen unterhalb des Gefrierpunktes waren für das Wochenende vorausgesagt worden. Ein Wetter, das wie gemacht schien für ein paar Stunden Klönschnack mit Freunden. Man darf annehmen, dass sich die K.s auf den bevorstehenden Abend gefreut hatten. Doch in Nordholz, wo das Paar gegen 20 Uhr erwartet wurde, kamen die beiden nie an. Kaum eine halbe Stunde vor Beginn der vereinbarten Soirée starben sie im Neuen Fischereihafen. Anders, als es wenige Tage später in einer verdruckst formulierten Todesanzeige zu lesen stand, waren es keineswegs die Folgen eines "tragischen Unglücksfalls", denen die Coop-Angestellte und der Betriebsmeister der zur Fisch Union gehörenden Paul Körner GmbH erlagen. Ingeborg und Gerhard K. wurden brutal ermordet.

Von Schnitt- und Stichwunden erfuhren Zeitungsleser am darauffolgenden Montag - und eben auch von den mutmaßlich tödlichen Schlägen gegen die Schädel der beiden Opfer: Erkenntnisse der Gerichtsmedizin, die in der Öffentlichkeit auf blankes Entsetzen stießen. "Im Hafen", so erinnert sich Horst Huthsfeld, Geschäftsführer der Cuxhavener Kutterfisch-Zentrale und seinerzeit von Berufs wegen Nachbar der Firma Körner, "war dieser Mord ein Thema ohne Ende." Schien es doch schwer vorstellbar, dass ausgerechnet Gerhard K. zum Opfer solch eines Gewaltverbrechens geworden sein sollte. K. galt als unerschrockener, geradliniger Typ - jemand, der es bis zum Abteilungsleiter gebracht hatte und sicherlich Autorität ausstrahlte. "Das ist ein knochenharter Hund gewesen", urteilen Leute, die K., der zwei Wochen vor seinem Tod 55 Jahre alt geworden war, persönlich kannten. Möglich, dass dem Vater zweier bereits erwachsener Töchter genau diese Eigenschaft zum Verhängnis wurde, als er an besagtem Sonnabend im Firmengebäude nach dem Rechten sehen wollte: Die Theorie, dass K. beim Betreten der Halle XI einen Eindringling ertappt haben könnte, wurde unmittelbar nach der Bluttat nicht nur in unserer Zeitung erörtert, sondern auch innerhalb einer unter der Leitung des Stader Kriminalhauptkommissars Fritz John gebildeten Mord-Sonderkommission.

Hatte K. einen Einbrecher überrascht und versucht, ihn auf eigene Faust zu stellen? "Damals wurde in alle Richtungen ermittelt", erinnert sich Peter Mordhorst, Erster Kriminalhauptkommissar a. D. So seien zum Beispiel auch einige Isländer, Besatzungsmitglieder von zur Tatzeit im Hafen liegenden Trawlern, überprüft worden. Ohne Ergebnis.

Gegen die unwiderlegte Hypothese eines "wildfremden" Täters spricht freilich die Kaltblütigkeit, mit der nicht nur Gerhard K., sondern kurz darauf auch die vor Halle XI wartende Ehefrau des Opfers umgebracht worden war. Als sei es darum gegangen, für den (oder die) Täter gefährliche Zeugen zum Schweigen zu bringen - so wirkt der tödliche Angriff auf die im buchstäblichen Sinne "außenstehende" Ingeborg K. So lässt sich andererseits auch ein Gemetzel erklären, das sich im Obergeschoss der Fischhalle abgespielt haben muss. Unstrittig ist wohl, dass der Betriebsmeister dort auf seinen Mörder stieß. Zeitzeugen berichten, wie es in einem Flur aussah, der von der Spurensicherung schließlich wieder freigegeben wurde: Blut sei auf dem Fußboden, aber auch bis auf eine Höhe von 1,50 Meter an den Wänden zu sehen gewesen.

Rainer Heinsohn, bis ins Jahr 2000 hinein Redakteur und Blaulicht-Reporter bei den Cuxhavener Nachrichten, war am Tatabend der erste Berichterstatter vor Ort. Die Spuren des im Gebäude ausgetragenen Kampfes hat er nicht mit eigenen Augen gesehen, wohl aber den "schmalen Hauseingang", durch den eine Blutspur nach draußen führte.

Dass die Kripo davon ausging, dass bei diesem Kampf nicht nur das Opfer, sondern auch ein Täter verletzt worden sein könnte, legt ein nach dem Doppelmord veröffentlichter Aufruf der Polizei nahe. Darin baten die Ermittler die Bevölkerung um Mithilfe und wandten sich unter anderem an Ärzte oder "Erste-Hilfe-Leistende" die imstande wären, sachdienliche Hinweise zu geben. Gefragt wurde zudem ganz konkret nach Personen, die nach 19.30 Uhr aufgrund von Verletzungen oder blutverschmierter Kleidung aufgefallen sein könnten.

Davon abgesehen ging es den Beamten auch darum, Zeugen ausfindig zu machen, die einen Täter gesehen haben könnten. Die Hoffnung der Ermittler richtete sich unter anderem auf eine Handvoll Kinder, die eine Stunde vor der Bluttat vor der Fischhalle XI gespielt haben sollen. Außerdem brannte die Polizei darauf, einen Rad- beziehungsweise Mofafahrer ausfindig zu machen, der zwischen 19 und 19.45 Uhr in der Niedersachsenstraße unterwegs gewesen sein muss - mit einem kleinen Anhänger, den er offenbar hinter sein Zweirad gespannt hatte.

Unter dem Strich waren es an die 400 Spuren, die in den Folgewochen und -monaten von der Sonderkommission erfasst und ausgewertet wurden. Mit dem Ergebnis, dass der Bevölkerung weder ein Tatverdächtiger noch das Motiv für das in seiner Grausamkeit verstörende Gewaltverbrechen präsentiert werden konnte. Waren Ingeborg und Gerhard K. ganz einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen? Oder war der Ehemann (entsprechende Gerüchte wurden seitens der Polizei umgehend dementiert) am Ende in einen gezielt vorbereiteten Hinterhalt geraten? Welcher Natur aber wären die Beweggründe für so einen durch nichts zu rechtfertigen Racheakt?

"In den Wochen danach gab es eine Menge Spekulationen", fasst Rainer Heinsohn im Rückblick zusammen. Bewahrheitet habe sich allerdings keine davon. "Kripo tappt weiterhin im Dunkeln" titelten die CN ein halbes Jahr nach der Bluttat. Anlässlich des zehnten und des 20. Jahrestages der Tat rekapitulierte unsere Zeitung aufs Neue die zum Fall bekannt gewordenen Fakten. Und erinnerte die damals eingesetzten Beamten auf schmerzliche Weise daran, dass ihnen der ersehnte Ermittlungserfolg versagt geblieben war. "Kapitalverbrechen waren in einer Stadt wie Cuxhaven eine außergewöhnliche Sache", gibt der ehemalige Polizeireporter zu bedenken. In der Regel habe die Aufklärungsquote bei solchen Delikten bei einhundert Prozent gelegen.

Im vorliegenden Mordfall allerdings scheiterten alle Bemühungen, ein aus vielen Fragmenten bestehendes Puzzle zusammenzusetzen. Denn die entscheidende heiße Spur fehlte - trotz einer Belohnung von 15 000 Mark und obwohl es für den Mord an Ingeborg K. sogar einen Augenzeugen gab: Ein Arbeiter, der um 19.40 Uhr Abfälle zu einem Container trug, hörte Schreie. "Dann beobachtete der Mann aus einiger Entfernung, wie ein Unbekannter (...) auf die mit einem weißen Mantel bekleidete Frau einschlug ..." (CN/NEZ, 24. Februar 1986).

Das war ein sehr undankbarer Fall", erinnert sich der Ex-Kripomann Ulrich Wittenberg. Der Cuxhavener, heute längst Ruheständler, war im Februar 1986 Mitglied der unverzüglich zusammengestellten Mord-Sonderkommission. Lange her, ja, das stimme - den Umstand, dass es der damals noch von Stade aus geführten Kripo nicht gelang, den beiden Töchtern der Ermordeten das Geschehene zu erklären, findet er auch 33 Jahre danach schwierig. Neben den Hinterbliebenen als unmittelbar Betroffenen gibt es auch noch die Öffentlichkeit. "Die Cuxhavener", gibt Wittenberg zu bedenken, "haben diesen Fall immer noch im Hinterkopf." Und die heutigen Ermittler?

Nachfrage bei der Polizeiinspektion in der Werner-Kammann-Straße. Dort stehen Regale mit Akten zu aufgeklärten Verbrechen - und Ordner, in denen die ungelösten Altfälle archiviert sind. An wie vielen dieser Fälle sie aktuell "dran" ist, gibt die Polizei aus taktischen Gründen in der Regel nicht preis. Wer zu den sogenannten "Cold Cases" recherchiert, muss sich folglich mit einer Standardantwort begnügen: "Mord verjährt nie." Mehr möchte Polizeisprecherin Anke Rieken zu der Bluttat von 1986 nicht sagen. Die Frage, ob es aus heutiger Sicht Ansatzpunkte gibt, die es erlauben würden, den Doppelmord im Fischereihafen mit den Mitteln moderner Kriminaltechnik - etwa über den Weg einer DNA-Analyse des am Tatort aufgenommenen Spurenmaterials - neu aufzurollen, bleibt bis auf Weiteres ein Geheimnis der zuständigen Sachbearbeiter des Zentralen Kriminaldienstes.

Neu aufgerollt

Keine Spur, keine Täter, keine Leiche: Im Landkreis Cuxhaven gibt es zahlreiche Kriminalfälle, die nach jahrelangen Ermittlungen immer noch nicht aufgeklärt sind. Es sind ebenso schreckliche wie aufsehenerregende Fälle, mit denen sich die Ermittler in der Region befasst haben. Vielen sind die unfassbaren Taten noch in Erinnerung. In der CN/NEZ-Serie "Neu aufgerollt" wollen wir an diese spektakulären Kriminalfälle erinnern.

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