Die Maskenpflicht bringt viele Menschen mit chronischen Krankheiten in ein Dilemma: Selbst mit Befreiungs-Attest bleiben für sie aktuell viele Türen zu. Hinzu kommt die Angst vor der eigenen Ansteckung. Viele stecken in der Isolation fest. Foto: dpa/Frank Rumpenhorst
Die Maskenpflicht bringt viele Menschen mit chronischen Krankheiten in ein Dilemma: Selbst mit Befreiungs-Attest bleiben für sie aktuell viele Türen zu. Hinzu kommt die Angst vor der eigenen Ansteckung. Viele stecken in der Isolation fest. Foto: dpa/Frank Rumpenhorst
Draußen bekommt es keiner mit

Cuxhaven: Chronisch Kranke seit zwei Jahren wie gefangen

von Maren Reese-Winne | 09.01.2022

CUXHAVEN. Durch die Corona-Lage tun sich bei Menschen mit Behinderungen oder chronisch Krankheiten Baustellen auf, von denen Nichtbetroffene nichts ahnen. 

Für manche ist es nur eine weitere kleine Unbequemlichkeit, dass viele Bereiche - nun auch der Handel - seit kurzem nur noch mit FFP2-Maske betreten werden dürfen. Für Menschen, denen es aus gesundheitlichen Gründen ohnehin schwer fällt, eine Maske zu tragen, bedeutet dies aber einen neuerlichen Schub in die Isolation.

Beispiele dafür bekommt Christine Wagner, Vorsitzende des Beirats für Menschen mit Behinderungen in der Stadt Cuxhaven, täglich zu hören. Das führe so weit, dass ein Patient, der von seinem Hausarzt eine Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt bekommen hatte, beim nächsten Mal in dieselbe Praxis ohne Maske nicht mehr eingelassen worden sei.

Beim Arzt umgefallen

Notgedrungen habe er eine Maske aufgesetzt ("er hatte Schmerzen, er musste zum Arzt") und sei prompt mit Luftnot umgefallen, erzählt Christine Wagner.

Generell sei auch ein ärztliches Dokument, das die Befreiung von der Maskenpflicht bescheinige, noch lange kein Freifahrtschein für uneingeschränkte Teilhabe. Inhaberinnen und Inhaber von Gaststätten oder Geschäften könnten im Rahmen des Hausrechts entscheiden, wen sie unter welchen Bedingungen einließen und täten das auch.

Konsequenz: Draußen bleiben

Dass diese Befreiungen möglicherweise manchmal recht freigiebig ausgestellt und dementsprechend missbräuchlich eingesetzt worden seien oder noch würden, sei sicher nicht dazu geeignet gewesen, Vertrauen zu schaffen, räumt sie ein. Doch im Alltag bedeuteten die Restriktionen, dass beispielsweise Menschen mit Trachealkanüle, Atemnot oder Lungenerkrankungen niemals auf einen Kaffee in einer Gaststätte einkehren könnten und auch keine Menschen mit Angststörungen, denen man ihre Krankheit nicht ansehen könne.

Wenn Impfen nicht geht

Die Maskenpflicht habe für manche Betroffene schon beim Weihnachtseinkauf zu einem Debakel geführt. Genauso verhalte es sich mit dem Impfnachweis: "Viele von uns wünschen sich sehnlich, geimpft zu werden, aber sie dürfen es nicht." Die Türen vieler Einrichtungen blieben bei der 2G-Regel (geimpft oder genesen) zwangsläufig für viele Menschen mit chronischen Krankheiten zu. Die Überlegung, ob sie die Impfung wagen können oder nicht - wenn sie überhaupt eine Impfstätte erreichen können - zermürbe viele regelrecht.

Sie selbst hat sich trotz der Ungewissheit über mögliche Nebenwirkungen für die Impfung samt Booster entschieden und ist froh darüber, weil sie so nicht nur sich schützen kann: "Eine Herdenimmunität ist für viele Vorerkrankte und Menschen mit Behinderungen eben der einzige Ausweg aus der ärztlich geratenen Isolation seit Februar 2020", sagt sie.

Kaum wahrgenommen

Sie stellt fest, dass die Lage der Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten oder auch der Eltern betroffener Kinder in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Ihre Ehrenämter, etwa als Beirats-Vorsitzende, als Ansprechpartnerin der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) oder als Regio-Sprecherin der Region Cuxhaven und Umland/Elbe-Weser des Niedersächsischen Inklusionsrats verschaffen ihr ganz andere Einblicke. Bei ihr kommen die Nachrichten der Betroffenen an, sie hört die Statements der Fachleute in Videokonferenzen.

"Viele können sich in ihrem eigenen Alltag überhaupt nicht vorstellen, wie es den Betroffenen geht", hat sie festgestellt. Chronisch Kranke hätten ab Februar 2020 angefangen, sich zu isolieren: "Sie reisen nicht mehr, gehen kaum noch einkaufen, trauen sich auch nicht mehr zu ihren Anwendungen, die für sie so wichtig wären." Betroffen seien Menschen mit unterschiedlichsten Vorerkrankungen. "Denken Sie an Blinde, die sich ihre Welt ertasten müssen", ergänzt sie. "Und das, wo man nichts berühren soll."

Mobilität immer schwieriger

Auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln gelte inzwischen die FFP 2-Masken-Pflicht. Es sei aber den Busfahrerinnen und -fahrern im Rahmen des Hausrechts vorbehalten, die ärztlichen Befreiungsatteste anzuerkennen oder nicht, so Christine Wagner. Wer Pech habe, komme unter Umständen nicht mal mehr zum nächsten Geldautomaten, um Geld zu holen und damit jemanden zum Einkaufen schicken zu können. Natürlich sei auch die Angst vor der eigenen Ansteckung ohne Maske hoch, erst recht, wenn auch keine Impfung möglich sei.

Teure Pflegemittel

Es tun sich Baustellen auf, von denen Nichtbetroffene nichts ahnen: Pflegebedürftige können Pflegepersonen beschäftigen und mit Mitteln des persönlichen Budgets bezahlen. Sie treten dabei als Arbeitgeber auf. "Wie sollen Laien die Impfpflicht in der Pflege kontrollieren?"

Ein anderes Dilemma: Betroffene erhielten zwar für sich über die Krankenkassen Erstattungen für Pflegemittel wie Einmalhandschuhe und FFP-2-Masken, nicht aber für die Angestellten, die sie pflegten. Die Kosten wüchsen schnell in unerreichbare Höhen.

Das prophezeit Christine Wagner auch für das Sozialsystem, wenn die hohe Zahl an Long-Covid-Betroffenen erstmal im Bewusstsein angekommen ist. Das sei dann möglicherweise der Personenkreis, der künftig und noch lange in den Behindertenverbänden und -beiräten anklopfe ...

Kann man nichts tun? Man kann was tun!

So viele düstere Aussichten - aber es muss doch auch etwas zu handeln geben! Wie kann Hilfe aussehen? Christine Wagner muss überlegen, denn es gibt nicht viel schönzureden. Aber da ist doch was: "Hinsehen ... mitfühlen ... in seinem Umfeld genauer schauen. Einfach mal einer alleinerziehenden Mama, einem Senioren, einer gehbehinderten Person Hilfe anbieten oder etwas mitbringen." Und Vorurteile steckenlassen: "Wer weiß, was der andere gerade durchmacht. Lieber Hilfe anbieten statt zu lästern!"

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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