Dr. Getsch nach der Rede der Ratsvorsitzenden Beatrice Lohmann (r.). Der Saal hat sich geschlossen erhoben. Foto: Reese-Winne
Dr. Getsch nach der Rede der Ratsvorsitzenden Beatrice Lohmann (r.). Der Saal hat sich geschlossen erhoben. Foto: Reese-Winne
Politik

Cuxhaven: Getsch geht und der Saal steht

von Maren Reese-Winne | 28.09.2019

CUXHAVEN. Von einer Stadt in der Schuldenfalle bis zur schwarzen Null: der scheidende Oberbürgermeister Dr. Ulrich Getsch hat das hinbekommen.

Mit einem feierlichen Auflauf im Schloss Ritzebüttel bräuchten sie ihm gar nicht erst zu kommen, hatte Oberbürgermeister Dr. Ulrich Getsch beizeiten seinem Team im Rathaus und den Fraktionsvorsitzenden zu verstehen gegeben. Und so wurde die Ratssitzung am Donnerstag zu seiner offiziellen Verabschiedung; im Cuxhaven-Saal, dort, wo er acht Jahre lang Fragen beantwortet, Bericht erstattet, mitgestimmt und auch öfter mal streitbar die Vorschläge seiner Verwaltung begründet und verteidigt hatte.

Offiziell ist er noch bis zum 31. Oktober im Amt; gleichwohl verabschiedete er sich gestern auch schon von der Belegschaft der Stadt. Nach seinem Urlaub wird er jedoch noch einmal in sein Büro mit Blick auf den Rathausplatz zurückkehren. Die nächste Ratssitzung fällt auf den 5. November (einen Dienstag); das wird dann die erste als OB für Nachfolger Uwe Santjer (SPD).

Dr. Ulrich Getsch, studierter Kaufmann, war den Cuxhavenerinnen und Cuxhavenern als Leiter der Berufsbildenden Schulen bekannt, als ihn 2011 eine Findungskommission der damaligen "Jamaika"-Koalition (CDU, Grüne, FDP) als Kandidaten "entdeckte". Bis dato war er nicht politisch in Erscheinung getreten.

Bequemer machte den Start nicht, dass er, der "Jamaika"-Kandidat, sich plötzlich mit einer Ratsmehrheit aus SPD und "Cuxhavenern" konfrontiert sah. Genug Probleme gab es auch zu lösen.

"Der OB legte Maßstäbe an die Politik und Verwaltung, die in der einen oder anderen Situation viel abverlangten", stellte Ratsvorsitzende Beatrice Lohmann fest. Mit emotionalem Einsatz in politischen Diskussionen habe er immer die sinnvollste Lösung für die Stadt Cuxhaven finden wollen.

Großprojekte bewältigt

Nur vier Beispiele griff Beatrice Lohmann aus der Leistungsbilanz heraus:

1. Die Verlagerung des Windkraftanlagen-Testfelds von Groden nach Langen-Neuenwalde; Voraussetzung für die Entwicklung des Offshore-Standortes;

2. die Ansiedlung von "Siemens Wind Power" - heute "Siemens Gamesa" -, was die größte Industrieansiedlung der vergangenen zehn Jahre in Niedersachsen war;

3. die Konsolidierung der städtischen Siedlungsgesellschaft und

4. die Entschuldung der Stadt Cuxhaven, die seit 1993 keine ausgeglichenen Haushalte mehr hatte vorweisen können und deren Liquiditätskredite im Jahr auf 312,5 Millionen Euro aufgelaufen waren. Heute betrage deren Höhe nur noch 117 Millionen Euro, nachdem 2016 die Stabilisierungsvereinbarung mit dem Land unterschrieben worden sei und die Stadt die bis dato größte vergebene Entschuldungshilfe in Höhe von 187,5 Millionen Euro erhalten habe. 2016 habe erstmals wieder ein Haushaltsüberschuss erzielt werden können; das vorläufige Haushaltsergebnis für 2018 weise ebenfalls ein Plus von etwa einer halben Million Euro aus.

Als Reaktion auf die Dankesworte der Ratsvorsitzenden erhob sich der Saal geschlossen - inklusive aller Ratsmitglieder, Verwaltungsbediensteten und Zuhörer - und spendete minutenlang rhythmischen Applaus.

Ohne persönliche Worte der Fraktionsvorsitzenden kam Ulrich "Ulli" Getsch natürlich nicht davon. Thiemo Röhler (CDU) wandte sich an "einen der erfolgreichsten Oberbürgermeister der Stadt Cuxhaven". "Der Kommunalpolitik hat es gut getan, einen OB zu haben, der anders an Sachen herangeht." Getschs Tanzkünste, bewiesen in einem Video zum Song "Happy", verband Röhler mit Glückwünschen für die kommende Zeit: "Danke für die tolle Zusammenarbeit, bleib happy, genieß' die Zeit, die kommt."

Mit Ulrich Getsch könne man auch über tiefergehende Probleme intensiv sprechen, so Gunnar Wegener (SPD). Ganz besonders habe er das ganz zum Anfang erlebt, als es um die belastende Situation der Siedlung gegangen sei. Mit Peter Miesner als Geschäftsführer habe der Aufsichtsratsvorsitzende Getsch einen Glücksgriff getan.

Bernd Jothe (Die Grünen) erinnerte an die Zeit vor der Wahl, als Ulrich Getsch, eigentlich schon auf dem Weg in den Ruhestand, nach kurzer Bedenkzeit gesagt habe: "Ja, ich mach's." Bisweilen etwas stürmisch, habe er es verstanden, mit seinem Team im Rathaus eine Politik zu machen, die mitgetragen werden konnte.

Als Gegenkandidat war Rüdiger Kurmann ("Die Cuxhavener") 2011 gegen Getsch angetreten und kam dennoch am Donnerstag zu dem Urteil, jener sei "der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle " gewesen. Auch Anton Werner Grunert (AfD) zollte Getsch Respekt für dessen Lebensleistung und Erfolge. Cuxhaven habe diesem viel zu verdanken.

Auf was er sich eingelassen habe, habe er sich nicht vorstellen können, gestand Getsch selbst und zitierte den Filmtitel "Denn sie wissen nicht, was sie tun". Für sich festgestellt hatte er nur: Nach dem Tod seiner Ehefrau würde aus der geplanten Weltumsegelung ganz allein doch nichts werden; er suchte eine neue Herausforderung.

"Alleine wäre ich nichts"

Die Erfolge hätten sich beileibe nicht einfach eingestellt: Manches Mal hätte er sich auf den Fahrten von und nach Hannover, wo er mit den Ministerien verhandelte, gefragt: "Was tust du hier eigentlich?". "Es war eine Kampfzeit."

"Ohne Sie alle im Rat und meine Mitarbeiter wäre ich nichts gewesen", konstatierte Getsch und erwähnte einige namentlich. Vor allem seine Stellvertreterin, Erste Stadträtin Andrea Pospich: Sie habe es verstanden, ihm die rechtlichen Grenzen aufzuzeigen: "Sonst wäre das Unternehmen heute vielleicht sehr erfolgreich, aber ich säße im Knast", grinste er. "Ich mache das so, wie ich es für schlau halte, andere sehen das manchmal anders."

Auf ihn warteten jetzt die Familie mit sechs Enkelkindern, zum Teil in Spanien, Freundin Beatrice Lohmann und deren Tochter, und genügend andere Pläne: "Ich werde meinen Weg finden."

Der nächste führte zunächst zum Ausklang in die Rathauskantine bei Bier und Würstchen - ganz rustikal, so wie der OB es sich gewünscht hatte.

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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