
Cuxhaven: Im Prozess gegen "Sonntagsspaziergänger" gibt es ein nächstes Kapitel
CUXHAVEN. Ali S. kam getestet ins Gerichtsgebäude - "freiwillig", wie sein Anwalt betonte. Eine geplatzte Verhandlung wegen eines verweigerten Corona-Tests hatte zuletzt zu einem Haftbefehl geführt.
Der eigentliche Gegenstand der Verhandlung - dem Angeklagten werden der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie vorsätzliche Körperverletzung vorgeworfen - spielte am Donnerstag zunächst die Nebenrolle, denn als erstes stellte Verteidiger Niels Plaisir (Rhauderfehn) einen Befangenheitsantrag gegen Richter Stefan Redlin.
Veranstalter der "Sonntagsspaziergänge"
Wie berichtet, handelt es sich beim Angeklagten um den Veranstalter der Cuxhavener "Sonntagsspaziergänge". Seine Weigerung, bei einem Gerichtstermin am 21. Dezember ein anerkanntes Corona-Testzertifikat beizubringen, war als unentschuldigtes Fernbleiben gewertet worden. Um die Anwesenheit zum nächsten Termin zu sichern, erließ Richter Stefan Redlin einen Sicherungshaftbefehl, der am 29. Dezember vollstreckt wurde.
Somit kam der Angeklagte direkt aus der JVA Bremervörde, mit Sporttasche in der Hand. Wasser und ein Sandwich legte er auf dem Tisch vor sich ab. Eine Maske trug er im Gegensatz zu allen anderen Anwesenden nicht, hatte dafür ein Asthmaspray vor sich stehen. Erste Umarmungen mit einem Zuhörer im Saal gestatteten die umstehenden Wachtmeister der Justiz nicht.
Verteidiger beklagt schleppende Bearbeitung
Der Haftbefehl sei rechtswidrig ergangen und stelle ein untaugliches Mittel dar, um ein Testergebnis zu erzwingen, so die Ansicht des Rechtsanwalts Niels Plaisir, der außerdem wegen der seiner Ansicht nach schleppenden Bearbeitung der am 29. Dezember eingereichten Haftbeschwerde und der ihm bislang nicht ermöglichten Akteneinsicht eine "Zurückhaltung aus prozesstaktischen Gründen" vermutete.
Als unzulässig zurückgewiesen
Nachdem der Staatsanwalt keine ausreichende Begründung für den Antrag erkennen konnte, wies auch Stefan Redlin das Ablehnungsgesuch als unzulässig zurück. Er wertete das Anliegen als Versuch, die Hauptverhandlung zu verzögern. Der Verteidiger habe in mehreren Telefonaten am Tag der Verhaftung sowie in mehreren E-Mails in den Tagen danach Kenntnis über die Sachlage erhalten und ausreichend Gelegenheit gehabt, sein Gesuch rechtzeitig einzulegen.
Nach einem hitzigen verbalen Schlagabtausch glätteten sich die Wogen, nachdem dem Anwalt Gelegenheit zum Einblick in die Akten sowie zum Sichten einiger Videos (einige waren ihm aber auch bereits bekannt) gegeben wurde und sich abzeichnete, dass an diesem Tag noch kein Urteil gesprochen würde.
Auf kurze Distanz gepöbelt
Sein Mandant werde nichts sagen, kündigte Niels Plaisier an, als die Geschehnisse vom 25. April 2021 in den Mittelpunkt rückten. Genehmigt war damals nur eine Versammlung auf dem Kaemmererplatz. Als sich die Spaziergehenden in einem Zug in Richtung Deichstraße losbewegten und von der Polizei aufgefordert wurden, entweder stehen zu bleiben oder sich zu entfernen, heizte sich die Lage auf. In einem Polizeivideo ist zu sehen und zu hören, wie der Angeklagte, seine Frau und andere Beteiligte den Beamten ohne Masken gegenüberstehen und lauthals auf sie einrufen: "Schämt Euch alle", erklingt eine Frauenstimme, der Angeklagte ist mit der provokanten Aufforderung "haut zu, haut zu, haut zu" zu hören. Andere johlen "Filmen, filmen, filmen!"
In vielen Videos festgehalten
So ist aus vielen Perspektiven in mehreren Quellen das Handgemenge zu sehen, das entstand, nachdem die Ehefrau des Angeklagten von einem Beamten zurückgeschubst wurde. Einer der Akteure: Ali S., der am Ende fixiert auf dem Boden lag und danach zu einem Polizeifahrzeug geführt wurde. Der Staatsanwalt wirft ihm unter anderem vor, einem Beamten ins Gesicht getreten und einen weiteren angegriffen zu haben. Eine Schädelprellung, Halswirbelsäulen-, Gesichts- und Knieverletzungen weisen die Arztberichte der Beamten aus.
Der Verteidiger ("Schieben ist sicher keine rechtmäßige Diensthandlung") will nun mehr Details geklärt haben. Dafür sollen Polizeibeamte bei der Fortsetzung am 26. Januar gehört werden. Dann erscheine er sicherlich wieder getestet, kündigte der Angeklagte selbst an. Rechtlich hat sich die Lage am Donnerstag ohnehin verändert. Selbst ohne Angeklagten würde die Verhandlung fortgesetzt, dann eben nur in Anwesenheit des Verteidigers. Der Angeklagte konnte das Gerichtsgebäude ohne Rückkehr in die Untersuchungshaft verlassen.
Zuspruch und Sicherungskräfte
Während drinnen die Verhandlung lief, versammelten sich knapp über 30 Sympathisanten der "Sonntagsspaziergänger" in der Nähe der Ampeln der Konrad-Adenauer-Allee.
Das Polizeiaufgebot war auffallend groß. Ordnungskräfte standen auch vor dem Gerichtsgebäude. Mehr als ein halbes Dutzend Polizeifahrzeuge mit Beamten hatte sich in der Nähe des Gerichtsgebäudes postiert.
Auch zwei Mitarbeiter der Stadt Cuxhaven, die für Sicherheit und Ordnung zuständig sind, waren vor dem Gerichtsgebäude.
Die Situation blieb friedlich. Ali S. wurde draußen mit Beifall und Umarmungen begrüßt.