Der Fischdampfer "Elbe" beim Einlaufen in den Neuen Fischereihafen in Cuxhaven. Foto: Sammlung Speetz-Wiens
Der Fischdampfer "Elbe" beim Einlaufen in den Neuen Fischereihafen in Cuxhaven. Foto: Sammlung Speetz-Wiens
Vor 65 Jahren

Cuxhavener Fischdampfer "Elbe": Als 15 Seemänner ihr Leben ließen

20.09.2020

CUXHAVEN. Das Unglück des Fischdampfers "Elbe" jährt sich zum 65. Mal. Auf der Nordsee kollidierte er mit dem norwegischen Tanker "Havprins" und ging mit seiner Besatzung unter.

Am Mittwoch, 28. September 1955, verließ der Fischdampfer "Elbe" langsam seinen Liegeplatz im Cuxhavener Fischereihafen, um auf Fang zu gehen. Es war eine ruhige See und Kapitän Drinkuth und seine Besatzung hofften, mit vollem Schiff in vierzehn Tagen wieder in Cuxhaven einlaufen zu können. Der Fischdampfer verließ den Hafen und nahm Kurs auf das Fahrwasser der Elbe. Das Ziel war die Doggerbank mit ihren reichen Fischfanggründen. Doch diese Fangreise endete in einer Katastrophe. Der Fischdampfer "Elbe" kehrte nicht heim.

Der Dampfer passierte auf dem Weg zu den Fischfanggründen das Feuerschiff "Elbe 1" und nahm Westkurs auf die Doggerbank. Nach dem Abendessen zog sich die Besatzung in ihre Kojen zurück. Die Männer wussten, dass sie in den kommenden Tagen tage- und nächtelang im Fisch stehen würden und brauchten ihre ganze Kraft. Viele zogen die Schotten ihrer Kojen zu, um besser Ruhe zu finden. Dies wurde den Männern zum Verhängnis.

Um Mitternacht übernahm der I. Steuermann die Wache. Es wehte ein mäßiger Wind über die eiskalte Nordsee. Durch den wolkigen Himmel brach ab und zu der Mond durch. Es war eine ruhige Nacht und das Ruder und der Ausguck waren durch zwei Matrosen besetzt. Gegen 1.45 Uhr sichtete der Wachhabende an der Backbordseite die Lichter eines Schiffes. Dies wurde gleich dem Matrosen im Ausguck gemeldet. Kurze Zeit später, gegen 2 Uhr in der Nacht, konnte der Steuermann, das grüne Seitenlicht des gesichteten Schiffes mit dem Fernglas ausmachen. An den Positionslampen konnte man erkennen, dass sich das Schiff auf Nordkurs befand.

Weißes Licht auf Tanker

Auf der "Elbe" behielt man das Schiff im Auge und ging davon aus, dass der Querläufer seiner Ausweichpflicht nachkommen und seinen Kurs nach Steuerbord ändern würde. Das Schiff war der norwegische Tanker "Havprins", der auf dem Weg von Rotterdam nach Fredrikstad war. Auf der "Havprins" beobachtete kurz vor 2 Uhr der 2. Offizier ein weißes Licht. Er nahm an, dass es sich um die Hecklaterne eines mit gleichem Kurs laufenden Schiffes handelte. Eine Peilung nahm er nicht vor und beobachtete die "Elbe" nicht weiter.

Nach zehn Minuten ging er in den Kartenraum. Zeitgleich wurde auf dem Fischdampfer "Elbe" der Kurs überprüft und man schaute nach den Kontrolllampen der Positionslichter. Anschließend vergewisserte sich der Steuermann der "Elbe" augenscheinlich der brennenden Seitenlaterne und der Topplaternen. Der Abstand der Schiffe wurde immer bedrohlicher und man gab auf der "Elbe" nun das vorgeschriebene Signal mit der Dampfpfeife. Die "Havprins" sollte so auf ihre Ausweispflicht aufmerksam gemacht werden. Das Signal der "Elbe" wurde nicht erwidert und auch der Kurs der "Havprins" wurde nicht geändert.

Um das Unglück noch abwenden zu können oder zumindest nicht mittschiffs getroffen zu werden, gab der Steuermann der "Elbe" den Befehl: "Dreimal, äußerste Kraft voraus", was auch sofort vom Maschinisten quittiert wurde. Es folgte der Befehl: "Ruder hart nach Backbord", doch dieses Kommando zeigte keine Wirkung mehr.

Ein Teenager auf dem Deck

Der 15-jährige Decksjunge der "Havprins" stürzte zu diesem Zeitpunkt in den Ausguck und meldete, drei kurze Dampfsignale gehört zu haben. Der dritte Mann der "Havprins"-Wache befand sich zu dieser Zeit in der Messe, um Kaffee zu kochen. Der Steuermann eilte sofort in den Brückennock und sah die rote Backbordlaterne der "Elbe". Es wurde sofort der Befehl "Ruder hart Backbord" gegeben. Ein Dampfsignal wurde nicht mehr ausgelöst.

Die Maschine der "Havprins" ging sofort auf "Voll zurück und Stopp". Es war zu spät. Es kam zur Kollision der beiden Schiffe, gegen 2.25 Uhr südlich der Doggerbank. Die "Havprins" schob sich in Höhe der Rettungsbote fast rechtwinklig in den Bug der "Elbe" und drückte den Fischdampfer nach Steuerbord. Die "Elbe" bekam sofort 40 bis 50 Grad Schlagseite. Heißer Dampf schoss aus dem Maschinenraum der "Elbe" und der Steuermann hielt sich an der Laufbrücke fest, als Kapitän Drinkuth plötzlich neben ihn stand und schrie: "Was ist los?" Drinkuth lief zurück ins Schiff, er sollte nicht zurückkehren.

Mit starker Schlagseite begann der Fischdampfer über das Heck zu sinken. Der Bug der "Elbe" richtete sich in Sekunden auf. Als die "Elbe" sank, wurde der Steuermann in die Tiefe gerissen. Er konnte jedoch wieder auftauchen und hielt sich in der eiskalten Nordsee an einem Grätling fest. Der Steuermann hörte Hilferufe und entdeckte den Netzmacher der "Elbe". Er hatte mittschiffs auf der Steuerbordseite in seiner Koje gelegen, wie auch weitere sieben Männer. Als das Schiff sank, sei er wach geworden. Der Netzmacher konnte sich nur deshalb retten, weil er seine Koje nicht mit dem Schott verriegelt hatte. Mit den Wassermassen wurde der Netzmacher in die Nordsee gespült.

Zwei Minuten bis zum Untergang

Der Untergang der "Elbe" erfolgt in nur zwei Minuten. Die schlafenden Männer in den Kojen konnten sich nicht mehr befreien. Auch die Männer im Maschinenraum waren gefangen. Die zwei Überlebenden hielten sich an einer Fischrute fest und sahen, wie die "Elbe" steil aus dem Wasser ragte und schließlich verschwand. Sie mussten mit ansehen, wie ihre Kameraden ihr Leben ließen. Der Kapitän der "Havprins", den der Zusammenstoß der Schiffe aus seiner Koje gerissen hatte, ließ den wachhabenden Offizier sofort achtern ein Rettungsboot aussetzen. Die Mannschaft hatte bereits Rettungsringe geworfen. Die zwei Überlebenden wurden vom Rettungsboot geborgen und gingen um 4.10 Uhr an Bord der "Havprins".

Auf der Brücke wurde sofort "SOS" gegeben, damit alle Schiffe zur Hilfe eilen konnten. In Holland stieg ein Suchflugzeug auf und kreiste über der Position des Unglücks. Es konnten aber keine weiteren Überlebenden ausgemacht werden. Der dänische Frachter "Kronprins Frederic", der Cuxhavener Fischdampfer "Darmstadt" und das Fischereischutzboot "Meerkatze" liefen mit Höchstfahrt zum Unglücksort. Als sie den Unglücksort erreichten, suchten sie vergeblich nach Überlebenden des Unglücks und so wurde die Suche nach Überlebenden gegen 8 Uhr als hoffnungslos aufgegeben. Die beiden Überlebenden wurden erst von der "Darmstadt" aufgenommen und dann der "Meerkatze" übergeben.

Die "Havprins" setzte ihre Reise fort. Stille Zeugen des Unglücks - Kisten und Fässer - trieben an der Stelle, wo 15 Seemänner ihr Leben in der Nacht gelassen hatten. Das Wrack der "Elbe" und mit ihr die toten 15 Seemänner liegen noch heute in etwa 50 Metern Wassertiefe auf dem kalten Meeresgrund. Die Flaggen sanken auf Halbmast, als die zwei Überlebenden in Cuxhaven von Bord gingen. Einer der verunglückten Seeleute war August Kreth, ein Schiffskoch aus Nordleda. Kreth wurde 1907 in Otterndorf geboren. Seine Eltern betrieben in der Großen Dammstraße eine kleine Schlachterei. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, wurde der Vater eingezogen und verlor sein Leben auf einem Schlachtfeld in Frankreich. Die Mutter konnte die Schlachterei allein nicht halten und zog mit ihren neun Kindern in ein kleines Haus in der Kleinen Dammstraße. Sie nahm noch ein weiteres Kind auf, als es Vollwaise wurde.

Die Kinder haben Hunger

Die damalige Unterstützung durch den Staat war gering und so zogen die Kinder früh los, um bei den Bauern auf den Feldern, für ein paar Pfennige zu helfen. Auch wurde so der eine oder andere Hahn mitgenommen und wenn der Bauer klingelte und die Kinder des Diebstahls bezichtigte, entgegnete Anna Kreth: "Meine Kinder klauen nicht, sie haben Hunger". Da garte so manches Huhn bereits im Ofen. So musste August Kreth früh Verantwortung übernehmen und heuerte bereits 1922 mit 15 Jahren als Kochjunge bei Schiffer Peick in Otterndorf an. Viele Schiffer gab es zu dieser Zeit in Otterndorf und so fuhr er auch auf der "Helene" von Schiffer Hagenah. 1923 ging er auf seine erste Kleine Fahrt in die Ostsee. Für ein halbes Jahr sah er seine Heimat nicht. Er blieb der Seefahrt treu und als sein Bruder Ernst nach Amerika auswanderte, besuchte er ihn in New York. Als sein Sohn Werner 1932 geboren wurde, sah er ihn nach einem Jahr zum ersten Mal, August Kreth war auf Großer Fahrt.

Als er 1933 von Bord ging, heiratete er seine erste Ehefrau Sophie. In den Kriegsjahren wurde er zum Dienst auf Begleitschiffen verpflichtet und zwei Mal wurden die Begleitschiffe von Torpedos getroffen und gingen verloren. Er überlebte, obwohl er nicht schwimmen konnte. er trug jedoch einen Hörschaden davon. So konnte er nicht mehr als Matrose arbeiten und heuerte als Schiffskoch an. Seine erste Frau Sophie wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer unheilbaren Krankheit in eine Heilanstalt eingewiesen.

Unglück läuft im Radio

Später lernte Kreth bei Aushilfsarbeiten in Nordleda-Kampen seine zweite Frau Erna kennen. Werner, sein Sohn aus erster Ehe, ging bereits eigene Wege, als Günter, sein zweiter Sohn, geboren wurde. Hochschwanger verabschiedete sich Erna am 28. September 1955 von ihrem Ehemann August, der für die Reederei Nordsee als Schiffskoch arbeitete. Bereits am kommenden Tag, sollte Erna von ihrer Mutter erfahren, dass dem Fischdampfer ein Unglück zugestoßen war. Margarethe hörte es im Radio und eilte sofort zu ihrer Tochter. Kurz darauf bestätigte sich der Tod der 15 Seeleute.

Es wurde eine Trauerandacht in der Martinskirche in Cuxhaven abgehalten. Die Bevölkerung spendete eine große Summe für die Hinterbliebenen und die Reederei Nordsee begleitete die Angehörigen noch lange nach dem Unglück. Am 28. Oktober 1955 fand in Hamburg die Seeamtsverhandlung statt. Den Steuermann der "Elbe" traf kein Verschulden.

Als im November 1955 das dritte Kind von August Kreth geboren wurde, folgten Glückwünsche der Reederei Nordsee. Doch August Kreth lernte seine Tochter Edelgard nicht mehr kennen. August Kreth, mein Großvater, war einer der Seemänner, die ihr Leben in dieser Nacht ließen. Bis heute ist das Unglück in unserer Familie spürbar. Ein unachtsamer Moment, menschliches Versagen kostete Menschenleben und veränderte auch unsere Familiengeschichte.

Von Regina Speetz-Wiens

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