
Cuxhavener Hebammen an den Grenzen
CUXHAVEN. Es ist ein verdammt mieses Gefühl, wenn man jeden Tag Frauen mitteilen muss, dass man sie als Hebamme leider nicht begleiten wird.
Maritta Schoepe und Ulrike Schubert, freiberufliche Hebammen in Cuxhaven, kennen dieses Gefühl. Inzwischen bedeutet es für sie regelrechten Stress, wenn zu Hause der Anrufbeantworter blinkt und sie wissen: Jetzt muss ich gleich wieder einer werdenden Mutter absagen.
Mit dem positiven Schwangerschaftstest in der Hand erst mal selig aufs Sofa sinken denken? Besser nicht: Lieber direkt ans Telefon und sich eine Hebamme sichern. Wer so früh dran ist, hat noch eine Chance... "Allerdings ändert das an der Situation nichts", stellen Maritta Schoepe und Ulrike Schubert fest: "Wenn alle in der 6. Woche anrufen würden, hätten wir für sie auch keine Plätze mehr." Wer erst spät von der Schwangerschaft erfährt oder aus Sicherheitsgründen erst mal abwarten möchte: Keine Chance.
Es ist knapp geworden in der Stadt Cuxhaven, nachdem eine Kollegin die freiberufliche Tätigkeit aufgegeben hat, eine in Rente gegangen und eine weggezogen ist. Kollegin Dorothea Kruft hält neben ihnen beiden noch die Stellung, hinzu kommen in eingeschränktem Maß einige Hebammen aus dem Krankenhaus.
Mehr Babys, mehr Fragen
Doch dies passt nicht zusammen mit den steigenden Anforderungen. Zum einen ist in vielen Familien die Lust auf ein drittes oder viertes Baby wieder gewachsen, zum anderen stehen viele den Anforderungen des Alltags unsicherer gegenüber als früher.
Und dann der Zeitfresser Bürokratie, Behandlungsverträge, Dokumentation: "Aus einem Bogen Papier sind 13 geworden", stöhnt Ulrike Schubert. Allein durch die Anforderungen des Qualitätsmanagements könne sie rund zehn Prozent weniger Frauen annehmen als früher.
Anamnese (Vorgeschichte), Vorsorgen, Wochenbettbetreuung bis zur zwölften Woche, Stillberatung bis zum Ende der Abstillzeit, Geburtsvorbereitung, Rückbildung... soweit ist die Basis für Ulrike Schubert und Maritta Schoepe gleich, beide haben dazu ihre Spezialgebiete.
Bei Ulrike Schubert sind dies die Hausgeburten. Hier ist sie weithin allein, die Wege können sie daher auch mal bis kurz vor Bremen und Hamburg führen. Das kostet Zeit, aber daran möchte die vierfache Mutter und zwölffache Oma unbedingt festhalten, um den Familien weiter eine freie Wahl des Geburtsorts zu lassen.
Maritta Schoepe ist zusätzlich Familienhebamme und begleitet Familien mit ganz besonderen Problemlagen, darunter sehr junge Mütter im Alter von 14 bis 22 Jahren oder solche in sozialen Notsituationen. Dort ist sie auch eine Türöffnerin und weist den Weg zu anderen Hilfen. Eine sehr komplexe Aufgabe.
Weiter ist sie auf "Schreibabys" und Schlafprobleme spezialisiert. "Der Bedarf ist riesig", weiß sie. Diese Begleitungen erfordern viel Energie und Zeit, und dennoch hält sie darüber hinaus an ihrer Stillgruppe fest, die Müttern die Gelegenheit bietet, unkompliziert Fragen zu stellen und Netzwerke zu bilden. Regelmäßig berät sie außerdem Frauen in der Jugendhilfestation Süder-/Westerwisch und im Café Kinderwagen im Lehfeld.
Ulrike Schubert hält regelmäßig Kontakt zur Hebammenschule in Bremerhaven, versucht, Nachwuchskolleginnen in die Region zu bekommen und bietet Praktikumsplätze. Doch der Weg in die Freiberuflichkeit sei schwer: "Frisch nach der Ausbildung macht das keine ohne Begleitung." Auch der Aufwand für die persönliche Absicherung ist kein Pappenstiel: Die Freiberuflerinnen müssen selber für Alter und Krankheit vorsorgen, Auto, Kursräume und Fortbildungen finanzieren, Versicherungen abschließen, Geräte anschaffen und überprüfen lassen. Die enormen Summen für die Berufshaftpflicht stellen wegen erheblich verbesserter Zuschüsse heute nicht mehr das Problem dar - dafür aber die Dauer-Belastungsschleife, immer haarscharf am eigenen Burnout.
Was muss anders werden?
Da kreisen die Gedanken viel darum, wie die Lage entschärft werden könnte, etwa durch weniger Hausbesuche, dafür mehr Beratungen in der Hebammenpraxis. Oder Entlastung für Klinikhebammen, damit diese nicht vorzeitig aus dem Beruf aussteigen.
Vor allem aber brauche es das Bewusstsein der Gesellschaft und der Politik: "Unsere Arbeit ist total präventiv. Indem wir Tipps zur Gesundheit und für fast jede Lebenslage geben, erfahren die Familie, was sie aus eigener Kraft für ihr Kind und für sich erwirken können. Wir ersparen den Krankenkassen und der Gesellschaft viele Kosten", erklärt Maritta Schoepe. Entsprechend müssten dann aber auch die Investitionen ins System ausfallen.
Nicht nur ein lokales Problem
Grundsätzlich hat jede Schwangere und junge Mutter Anspruch auf Hebammenleistungen. Die Kasse zahlt - wenn die Mutter eine Hebamme findet.
Hebammen fehlen nicht nur in Cuxhaven, sondern überall. Wie in vielen anderen Branchen stehen auch hier viele Berufstätige vor der Rente. Hinzu kommt, dass viele Fachkräfte angesichts der Belastung schon lange vor dem Rentenalter die Segel streichen, ganz aus dem Berufsleben ausscheiden oder andere Berufe wählen.
Ab 2020 wird die Hebammenausbildung akademisiert, das heißt, sie wechselt an die Hochschule. Das bietet die Chance einer Aufwertung des Berufs, kann aber auch dazu führen, dass viele gleich Medizin oder Pflegewissenschaften weiterstudieren und nie in den Kreißsaal gehen.