
Vor Bundestagswahl: So lief die Videokonferenz der Cuxhavener Kandidaten
CUXHAVEN. Günter Wichert sah die FDP schon als Juniorpartner der CDU und Daniel Schneider möchte Hamburg mit Geld zum Strukturwandel bewegen - dies und anderes war Thema bei der Wahl-Diskussion unseres Medienhauses mit den Bundestagswahl-Kandidaten.
Das hat Corona gemacht: Die traditionelle Diskussion mit den Bundestagswahl-Kandidaten mussten unsere Zeitungen diesmal ins Netz verlegen. Per Videokonferenz diskutierten am Donnerstagabend vier Kandidaten - zwei Quereinsteiger und zwei Routiniers - mit den CN/NEZ-Redaktionsleitern Ulrich Rohde und Christoph Käfer. In wechselnder Besetzung schalteten sich Vertraute aus unterschiedlichen politischen Lagern und weitere Interessierte zu.
So stellten sich die Kandidaten selbst vor:
Günter Wichert (FDP), 55 Jahre, Vater von drei Kindern, Gründer und Geschäftsführer einer Agentur für nachhaltige Veranstaltungskonzepte.
Stefan Wenzel (Die Grünen), 59 Jahre, verheiratet, Vater von drei Töchtern, Agrar-Ökonom und Landtagsabgeordneter in Niedersaschen.
Enak Ferlemann (CDU), 58 Jahre verheiratet, zwei Kinder, gebürtiger Cuxhavener und seit 2002 Vertreter dieses Wahlkreises im Bundestag.
Daniel Schneider (SPD), 44 Jahre, verheiratet, zwei Kinder, gebürtiger Cuxhavener, seit 2009 zurück im Kreis Cuxhaven, kulturschaffender Unternehmer.
Claudia Theis, Kandidatin der Freien Wähler im Landkreis Cuxhaven, musste aus nachvollziehbaren Gründen in letzter Minute absagen: Sie war an anderer Stelle gefordert und ist noch in der Nacht Oma geworden.
Den breitesten Raum nahmen in dem zweistündigen Austausch die Themen Elbvertiefung, Klimawandel und Sicherung der Lebensqualität im ländlichen Raum ein. Zum Einstieg ging es aber um die persönliche Motivation.
Warum die Kandidatur?
Mit einem FDP-untypischen Schwerpunkt wagte sich Günter Wichert vor: Er outete sich als Fan der Biosphärenregion Wattenmeer. Sein Ziel: Das "Denken für das Wattenmeer über den Deich zu holen" und das Leben auf Nachhaltigkeit auszurichten.
Der Göttinger Stefan Wenzel begründete seine Entscheidung für den Wahlkreis Cuxhaven-Stade II mit einer langjährigen engen Verbindung: nicht nur durch den Zweitwohnsitz in der Stadt Cuxhaven, sondern auch durch seine Berührungspunkte aus der Zeit als niedersächsischer Umweltminister - etwa in Sachen Hadelner Kanalschleuse, Havariekommando und Siemens-Gamesa-Ansiedlung. Dieser Wahlkreis passe zu seinen Schwerpunkten Klima- und Küstenschutz.
Die Aussicht, gute soziale und nachhaltige Politik mitgestalten zu können, habe ihn überzeugt, als die Sozialdemokraten mit der Frage nach der Kandidatur an ihn herangetreten seien, so Daniel Schneider. Er will eine sichere Zukunft für Familien und sieht weitere Schwerpunkte im Tourismus und der Kulturförderung.
Politikmüdigkeit verspüre er keineswegs, beteuerte Enak Ferlemann: "Sonst würde ich nicht kandidieren." Er (Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesverkehrsminister, d. Red.) wolle Verkehrsinfrastruktur und Hafenstandorte ausbauen, bäuerliche Landwirtschaft sichern und den Mittelstand stärken.
Existenzfrage Elbvertiefung
Die Frage, ob man Hamburg jemals von der Elbvertiefung abbringen und zu nachhaltigeren Hafenaktivitäten bewegen könne, bewegte die Runde fast eine Stunde lang. Der auf die lahme Positionierung der Hamburger Grünen angesprochene Stefan Wenzel bekundete: "Das treibt uns auch um, wir würden uns deutlich klarere Aussagen wünschen." Hamburg liefen die Kosten für die Baggerei davon und es werde auch angesichts der ökologischen Folgen umdenken müssen - ganz abgesehen davon, dass es nasse Füße bei den nächsten Sturmfluten erwarten müsse. Schlickverklappungen vor Scharhörn erteilten Wenzel und alle anderen Kandidaten eine klare Absage.
Elbschlick für Deichbau
Der ebenfalls direkt angesprochene Enak Ferlemann sah die Elbvertiefung nicht als ursächlich für den erhöhten Schlickanfall an. Als eine Ursache sah er die Aufgabe des Braunkohleabbaus weiter elbaufwärts. Während die früheren Abbaustellen mit Elbwasser zu neuen Seenlandschaften aufgefüllt würden, fehle das Elb-Oberwasser zum Freispülen des Hamburger Hafens. Den "sehr guten Schlick an der Unterelbe" (nicht den kontaminierten Hamburger Hafenschlick) sah er als "Baustoff der Zukunft" an: Die nötigen Deicherhöhungen und damit verbundenen Verbreiterungen erforderten enorme Klei-Mengen, der anderswo her nicht mehr zu bekommen sei: "Jede Bundesregierung wird diesem Vorschlag folgen, weil es gar nicht anders geht", prophezeite er.
Neue Hafenkooperation
Daniel Schneider erinnerte daran, dass Hamburg einst den Hafenbau in Cuxhaven finanzierte, um von hier die großen Passagierschiffe nach Amerika fahren zu lassen. Angesichts des ökologischen Desasters durch die Elbvertiefung müsse viel weiter in die Zukunft geschaut werden als bisher, auch in Bezug aufs Klima. Ein Strukturwandel für den Hamburger Hafen könne durch hohe Investitionssummen des Bundes versüßt werden.
Eine deutsche und europäische Hafenkooperation, die nicht immer nur aufs Baggern setze, forderte Stefan Wenzel mit Blick auf den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven. Wenn die Containerriesen dort auch nur geleichtert würden, könnten sie sogar weiter Hamburg ansteuern.
Enak Ferlemann und Günter Wichert bezweifelten, dass sich Hamburg hierdurch beeindrucken lasse. Reeder könnten hinfahren, wohin sie wollten, so Ferlemann; im übrigen sei die Elbvertiefung gesetzlich geregelt. "Die gigantische Infrastruktur hat Hamburg und nicht Wilhelmshaven", konstatierte Wichert.
Mehr Schiffe, andere Antriebe
Die Zuhörerfrage zur Zukunft des weltweiten Schiffsverkehrs ging nahtlos in das Thema Klimawandel über. Günter Wichert vertraut da voll auf technische Innovationen: Der Welthandel werde sich noch ausweiten und der Seeweg der günstigste Transportweg bleiben - aber mit ganz anderen Antrieben. Schiffsverkehr sei immer der "Wachstumstreiber der Menschheit" gewesen, so Enak Ferlemann. Er setze auf alternative Antriebe etwa mit Wasserstoff, Methanol oder Ammoniak. Politische Rahmenbedingungen können diese Innovationsfreudigkeit deutlich beschleunigen, bemerkte Daniel Schneider.
A 20 oder nicht?
Ist diese Region schon bärenstark oder muss sie dies erst noch werden? Darüber entwickelte sich eine rege Diskussion mit der A 20 als Streitpunkt. Um hiesige Unternehmen zu stärken und neue hierher zu bekommen, will Enak Ferlemann die Randlage auflösen: Dazu brauche es A 20 ("als neue Wohlstandsachse") und A 26, Elektrifizierung der Bahnstrecken, Fährverbindungen und Ausbau der Digitalisierung.
Schützenhilfe erhielt er von Günter Wichert, der die FDP schon als Juniorpartner in einer schwarz-gelben Koalition sah und "Mut zu mehr Mobilität" forderte. Das Saarland habe sechs Autobahnen und das Cuxland nur eine. Wenn nur Autobahnen zu wirtschaftlichem Erfolg führten, müsse das Saarland ja ein wahres Wirtschaftswunderland sein, merkte Stefan Wenzel süffisant an. Das Geld für die A 20 sei besser in der lokalen Infrastruktur aufgehoben. Ähnlich sah es Daniel Schneider; zumindest gehöre der Nachbarschaft die Priorität. Gleichwohl sei er nicht gegen den Autobahnbau.
Her mit den jungen Familien
Schneider warb auch für eine ganz neues, offensiv nach außen getragenes junges Image der Stadt. Chancen und Arbeitsplätze böten sich schon jetzt reichlich, nun gehe es darum, junge Leute in die Region zu bekommen. "Wir konkurrieren mit Gegenden nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa", so Schneider.
Günter Wichert reagierte auf Schneiders Slogan, die Region "enkeltauglich" zu machen, mit dem Hinweis, dass auch er das noch erleben wolle. Zuwachs sei nur mit den entsprechenden Arbeitsplätzen zu erreichen; ergänzt durch Aus- und Fortbildung, auch auf akademischem Niveau, wie Enak Ferlemann ergänzte.
Bei den weichen Standortfaktoren wie Freizeitwert, Einkaufsmöglichkeiten, Kinderbetreuung und Bildungseinrichtungen waren sich die Diskutanten weitgehend einig.
Doch nicht dem Tod geweiht
Beim Stichwort "demografischer Wandel" erinnerte Günter Wichert an die vor gut zehn Jahren in vielen überregionalen Zeitungen zu lesenden Prophezeiungen, nach denen Cuxhaven eine sterbende Stadt sei. "Nichts davon ist eingetroffen."
Die düsteren Aussichten gehörten abgehakt und die Wünsche der jungen Leute erhört: "Die wollen bauen und hierbleiben." Es brauche Baugebiete und schnellere Genehmigungen. "Warum nicht mal an Zuwachs denken? Warum nicht mal an 55 000 Einwohner denken?", sinnierte er, während Enak Ferlemann die Euphorie dämpfte: "Wir werden den demografischen Wandel nicht komplett aufhalten, aber wir können ihn abmildern." Stefan Wenzel sah die Initiative für den Alten Fischereihafen als mutig und innovativ an und plädierte auch dafür, die Initiative für eine Tourismus-Akademie nicht zu den Akten zu legen.
Einfach mal werben
Zum Schluss durfte noch mal in jeweils 90 Sekunden hemmungslos Werbung in eigener Sache gemacht werden. Erwartungsgemäß baten alle um die Erst- und Zweitstimme für sich und ihre Partei, wobei Daniel Schneider ("Zukunftsperspektiven für jung und alt") noch eindringlicher um Erststimmen warb. Denn während die Politik-Profis Ferlemann ("aus der Region für die Region") und Wenzel ("Chancen der Energiewende für diese Region nutzen") auf den Landeslisten-Plätzen 5 und 10 ihrer Parteien komfortabel abgesichert sind, gilt dies für ihn mit Platz 23 nicht. "Einer mehr aus dem Cuxland im Bundestag", so sein Argument. Günter Wichert ("Rot-Rot-Grün tut unserem Land nicht gut") ist ebenfalls weit unten auf der FDP-Landesliste und könnte nur direkt einziehen.
Neue Podcast-Folge "Auf Tauchgang" zur Bundestagswahl
Lust auf mehr Politik? In unserer neuen Podcast-Episode von "Auf Tauchgang" mit den Cux-Kandidaten im Check geht es um Wohnraum für junge Menschen und Klimaschutz. Zusätzlich erzählen die Antretenden, warum man sie eigentlich wählen sollte.
Drei Fragen für jede Partei
Jeder und jede der sechs Befragten bekam drei Fragen, auf die so kurz und prägnant wie möglich geantwortet wurde. Mit dabei: Stefan Wenzel von den Grünen, Claudia Theis für die Freien Wähler, Daniel Schneider für die SPD, Enak Ferlemann von der CDU, Günter Wichert für die FDP und Dietmar Buttler von den Linken.
"Auf Tauchgang" gibt es überall, wo es Podcasts gibt. Und auf cnv-medien.de/podcast.