
Cuxhavener Mediziner mahnt Sorgfalt im Umgang mit Schnelltests an
CUXHAVEN. Dr. Hinnerk von Thun-Hohenstein ist Krankenhaushygieniker für die Helios-Region Nord. Im Interview äußerte er sich zu möglichen Fehlern beim Testen.
Herr Dr. von Thun-Hohenstein, Schnelltests sind elementarer Baustein der Pandemie-Bekämpfung. Sind Sie auch dieser Meinung?
Grundsätzlich teile ich die Auffassung, dass wir unbedingt testen sollten. Weil uns diese Tests einen Überblick darüber geben, wie sich das Virus in der Bevölkerung verteilt. Davon abgesehen gibt es noch diese persönliche Komponente: Durch den Test weiß ich: "Hab ich mich mit Corona infiziert oder hab ich nicht?" Nun haben wir uns hierzulande darauf geeinigt, den PCR-Test zum Goldstandard zu erheben, was technisch gesehen nicht nur hoch aufwendig und definitiv an Labore gebunden ist. Dieser Weg kostet auch Zeit. Im Vergleich dazu erzeugt der Antigen-Schnelltest nicht sonderlich viel Aufwand. Man gelangt zügig zu einem guten Testergebnis.
Derzeit geraten Labore offenbar an ihre Auslastungsgrenzen. Deswegen ist man dazu übergegangen, den von Ihnen zitierten "Goldstandard" aufzuweichen. Inzwischen werden Schnelltest-Ergebnisse (das Land Berlin ist, meine ich, Vorreiter gewesen) offiziell als Nachweis für eine Corona-Infektion akzeptiert. Wie belastbar ist das eigentlich unter medizinischen Vorzeichen?
Das ist deswegen ein bisschen schwierig, weil die Antigen-Tests an einigen Stellen echte Stolperfallen bereithalten. Man muss sich vorstellen: Anfang des Jahres waren allein in Deutschland mindestens 245 verschiedene Tests am Markt zugelassen und fanden auch am Bürger Anwendung. Die qualitative Bandbreite ist bei dieser Vielzahl enorm, da gibt es einige Tests, die klasse sind. Da sind aber auch echte "Fahrkarten" dabei. Es gab sogar einen Hersteller, der einen Test mit null Sensitivität eingereicht hat. Sensitivität und Spezifität, das sind die Faktoren. Damit steht und fällt der unter anderem in Berlin formulierte Anspruch, derartige Tests zu validieren. Will man so etwas machen, muss der Test das auch hergeben. Davon abgesehen birgt auch der Abstrich - wir Mediziner sprechen von der prä-analytischen Phase - Fehlerquellen. Dabei kann bereits eine Menge falsch gemacht werden. Hängen geblieben ist bei mir - kleine Anekdote am Rande - übrigens ein Beispiel aus Zeiten des Pandemiebeginns. Damals sollten Bürger mit dem Selbsttest vertraut gemacht werden. In einem Einspieler in einer Nachrichtensendung war zu sehen, wie sich eine Frau hochamtlich auf den Weg machte, so einen Selbsttest durchzuführen. Um dann quasi hier vorne (zeigt auf seinen Nasenrand) ein bisschen hin und her zu wischen. Dieser Test wird nichts ergeben haben. Es gibt genügend Leute, die es nicht über sich bringen, das Teststäbchen vernünftig in die Nase (und schon gar nicht in den Rachen) einzuführen.
Der Faktor Mensch also ...
Richtig, aber die analytische Phase birgt auch Fallen! Man kann zum Beispiel den falschen Testpuffer nehmen, man kann einen Test zu lange oder auch zu kurz liegen lassen.
Stimmt es, dass sogar die Umgebungstemperatur eine Rolle spielt?
Ja, auch die spielt eine nicht unerhebliche Rolle.
Es kann also einiges schief gehen. Wäre es da nicht sinnvoll, viel häufiger zu testen? Insgesamt gesehen würde das doch die Belastbarkeit eines Ergebnisses erhöhen.
Mathematisch gesehen stimmt das, da gebe ich Ihnen Recht. Das Problem mit den Tests ist, dass sie immer nur eine Momentaufnahme widerspiegeln. Um ein deutlicheres Bild zu gewinnen, wie sich das Virus in der Welt bewegt, müsste man theoretisch im Minutentakt testen. Das ist nicht praktikabel. Deshalb haben wir uns auf eine "machbare" Frequenz geeinigt. Mit ein bis fünf Tests pro Woche bewegen wir uns in einem Fenster, wo wir ein relativ gutes Bild über die Infektionsdynamik in der Bevölkerung erhalten. Natürlich bewegt man sich dabei in einem Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, eine möglichst gute Datenlage zu erhalten und dem Wunsch, ein halbwegs normales Leben zu führen.
Die Test-Häufigkeit betreffend scheint man sich auf den Mittelweg geeinigt zu haben. "Zweimal wöchentlich testen" lautet die Empfehlung, die Kindergärten an Familien, aber auch Arbeitgeber an ihre Belegschaft ausgeben. Warum rät man eigentlich nicht zur täglichen Testung?
Auf jedem Epidemiologen-Kongress würde diese Frage heiß diskutiert werden. Zweimal pro Woche zu testen, wird, denke ich, auch der Omikron-Variante gerecht. Die zeichnet sich durch drei kardinale Unterschiede zu den Vorangegangenen aus: Sie ist deutlich infektiöser, sie ist vermutlich etwas milder im Verlauf und es kommt bei ihr deutlich eher zu einer Symptomatik. Der blinde Fleck für den Epidemiologen ist die Inkubationszeit, in welcher der Betroffene das Virus schon in sich trägt, gegebenenfalls auch schon infektiös ist, ohne dass man es erkennt. Diesbezüglich haben die Tests durchaus ihre Schwächen. Eine geringe Viruslast bekomme ich mit deren Hilfe eben nicht dargestellt. Im Bereich einer geringen Viruslast können die gar nichts messen. Bei Omikron ist der blinde Fleck der Inkubationszeit allerdings kleiner. Insofern sind zwei Tests pro Woche recht gut. Dreimal zu testen wäre wahrscheinlich besser.
Die Omikron-Variante soll, zumindest was die Antigentests angeht, schwerer nachweisbar sein als Delta. Da stellt sich mir die Frage: Sind das überhaupt die geeigneten Schnelltests, die wir gegenwärtig verwenden? Was das angeht, will der Gesetzgeber, glaube ich, neue Standards setzen.
So ist es. Und das ist auch bitter notwendig. Ich hatte vorhin ja schon die Zahl genannt: 245 verschiedene Tests waren in Deutschland erhältlich, Tendenz steigend. Die allermeisten dieser Tests weisen nur bestimmte Eigenschaften eines Virus nach. Verändert sich diese Eigenschaft, funktioniert der Test nicht mehr. Das ist, wie als wenn ich nach Menschen mit blauen Augen suche. Angenommen, hier sitzen drei Leute mit dieser Eigenschaft. Wenn sich nun einer von uns braune Kontaktlinsen einsetzt, fällt er prompt aus dem Testgeschehen heraus, obwohl er oder sie der gleiche Mensch bleibt. Das gleiche Problem stellt sich bei Omikron: Die allermeisten Tests in Deutschland sind auf das so genannte "N"-Gen sensibel. Die allermeisten Mutationen, die uns bei Omikron so beschäftigen, sitzen aber auf dem "S"-Gen. Das Coronavirus hat mehrere Gen-Anteile am Start, insbesondere das "S"-Gen ist aber bei Omikron wesentlich mutiert. Das Paul-Ehrlich-Institut arbeitet im Moment daran nachzujustieren und zu gucken, welche Tests tatsächlich nach dem nicht so sehr veränderten "N"-Gen suchen. Trotzdem passen über 75 Prozent der derzeit erhältlichen Tests auch für Omikron. Streng genommen müsste der Anwender nachgucken, welchen Test er in der Hand hält und den Namen mit einer endlos langen Liste des Paul-Ehrlich-Instituts abgleichen.
Vor Ort hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass man, bezogen auf Omikron, die Zuverlässigkeit des Testergebnisses stärken könnte, indem man die Wartezeit verlängert, sprich: den Schnelltest einfach ein bisschen länger liegen lässt, bevor man dazu übergeht, das Ergebnis abzulesen. Was sagen Sie dazu?
Das ist nicht gut. Aus mehreren Gründen nicht. Man kann das Ganze zum einen juristisch betrachten: Der Hersteller gibt einen Beipackzettel aus und sagt damit "Für die Gültigkeit des Ergebnisses garantiere ich nur, wenn du dich an diese Anweisungen hältst." Wenn man sich davon wegbewegt, macht man de jure so eine Art "Off-Label-Use". Kann ich machen, wenn ich als Mediziner davon überzeugt bin, dass das richtig ist. Dann ist das legitim. In unsicheren Situationen begibt man sich auf diese Weise jedoch auf sehr dünnes Eis. Die chemische Seite ist noch eine ganz andere Geschichte: Die oben angesprochene Prä-Analytik ist heikel, aber die Analytik selbst ist es ebenso. Deswegen müssen Tests unter bestimmten Bedingungen gelagert werden, es muss die richtige Pufferlösung und auch die richtige Menge an Lösung verwendet werden. Diese Schnelltests sind sogenannte lateral flow tests, das heißt nichts anderes, als dass ich da ein Filterpapier habe, mit stationär angebrachten Fänger-Molekülen. Gebe ich zum Beispiel zu viel Flüssigkeit in dieses Filterpapier, kann es zu einer "Rückwärtswelle" kommen, die zu einem falschen Ergebnis führen kann. Es ist auch schon vorgekommen, dass jemand die Pufferlösung eines anderen Herstellers benutzt hat. Mit dem Ergebnis, das das gesamte Anzeigefeld rot war, außer im Kontrollbereich - da blieb es weiß. Das hat erheblichen Wirbel erzeugt, nach dem Motto "Ist da jetzt Ebola unterwegs?!". Letztlich war aber einfach nur der Test falsch durchgeführt worden. Also, theoretisch ist es möglich, dass bestimmte Tests wegen der chemischen Konstellation der Antigen-Bindung länger liegen bleiben müssten, weil Omikron hier möglicherweise etwas verändern würde. Das richtet sich aber danach, welchen Test ich benutze, und im Zweifelsfall sollte lieber erst einmal geguckt werden, ob ein Einzelergebnis mit einem Test aus einer anderen Charge oder eines anderen Herstellers reproduzierbar ist. Lässt man eine Testkassette schlichtweg zu lange liegen, kann sich die Anzeige irgendwann verfärben. Geht man so vor, besteht die Gefahr, tendenziell eher mehr falsch-positive oder falsch-negative Ergebnisse produzieren.
Die Aussage, dass das "Liegenlassen" zu besseren Ergebnissen führt, lässt sich also nicht pauschalisieren?
Auf gar keinen Fall. Wir wissen, dass wir bei denjenigen Tests, die wir hier bei Helios sowohl im Testzentrum als auch für unsere Mitarbeiter benutzen, immer mal wieder ein positives Ergebnis angezeigt bekommen, sofern der Test wesentlich länger als vorgesehen liegt. Und das, obwohl der Getestete definitiv nicht infiziert ist. Der von Ihnen erwähnten Auffassung liegt im individuellen Fall vielleicht eine richtige Beobachtung zugrunde, aber die lässt sich auf keinen Fall pauschalisieren. Ich weiß nicht, was diejenigen, die besagte Beobachtung gemacht haben, für ein Testsystem benutzen. Umgekehrt verhält es sich aber genauso: Die wissen nicht, was wir benutzen, sodass man diese Pauschal-Empfehlung einfach nicht geben darf.
Was bedeutet das alles für den Selbst-Anwender? Den Beipackzettel zu studieren und während der Auswertung die Uhr im Blick zu behalten?
Ganz genau. Ob man den Test nun 16 Minuten liegen lässt oder 14:59 - diese Frage ist halb so wild. Aber sobald die Zeit deutlicher überschritten wird, ist das Testergebnis nicht mehr gültig. Egal, ob der Test dann falsch-positiv oder falsch-negativ ist -problematisch ist beides: Für mich als Hygieniker ist es tragischer, wenn jemand in dem Glauben, negativ zu sein, herumrennt und das Virus verteilt. Für den Falsch-positiv-Getesteten ergeben sich andererseits auch Konsequenzen. Weil er sich in die Absonderung zu begeben hat, ein, zwei Tage herumsitzt, am öffentlichen Leben nicht teilnehmen kann und sich womöglich Sorgen macht. Das zeigt, wie wichtig es ist, mit den Antigentests sorgfältig umzugehen. Einen Test pauschal einfach länger liegen zu lassen, ist für mich nicht sorgfältig.