Die Ruhe vor dem Sturm: Noch wird das Festivalgelände in Wanhöden nur von den Teammitgliedern wie Marc Engelke, Treckern und Co. bevölkert. Foto: Konken
Die Ruhe vor dem Sturm: Noch wird das Festivalgelände in Wanhöden nur von den Teammitgliedern wie Marc Engelke, Treckern und Co. bevölkert. Foto: Konken
Interview

Deichbrand-Chef Engelke: "Perfekte Festivalgröße"

16.07.2019

WANHÖDEN/CUXHAVEN. Zwischen 55 000 und 60 000 Besucher zieht es an diesem Wochenende wieder zum mittlerweile 15. Deichbrand-Festival in das beschauliche Wanhöden bei Nordholz.

"Je nachdem, was diese Woche noch an der Tageskasse verkauft wird", meint Geschäftsführer und Mitgründer Marc Engelke. "Aber wir gehen auch dieses Mal wieder klar in Richtung Ausverkauf." Welche Hürden das Deichbrand-Team jedes Jahr auf's Neue meistern muss, und wie viel Engelke selbst von den Bühnenshows mitbekommt, verriet er unserer Zeitung im Interview.

Das erste Deichbrand-Festival 2005 zählte gerade einmal 500 Besucher: Habt ihr damals damit gerechnet, dass es einmal so groß werden würde?

Dass wir einmal zu den fünf größten Festivals in Deutschland gehören, haben wir so zu Anfang absolut nicht gedacht. Auch der Festivalveranstalter FKP Scorpio, der 2010 bei uns eingestiegen ist, hätte uns diese Größenordnung nicht zugetraut: Einerseits wegen des Mangels an Metropolen in der Nähe und andererseits, weil wir zu drei Seiten von Wasser umgeben sind und unser Einzugsbereich sich deswegen einzig auf den Süden erstreckt. Und so viele Fische sind nicht unter unseren zahlenden Gästen (lacht). Wir sind aber natürlich total happy über diese Entwicklung, und es zeigt vor allem ja auch den Charme, den die Nordseeküste hat - nicht nur für Locals, sondern auch für die Besucher von außerhalb.

Welche Maßnahmen ergreift ihr, um einen möglichst stressfreien Ablauf bei der Anreise dieser vielen Besucher zu gewährleisten?

Wir bieten seit drei Jahren das Frühanreise-Ticket an: Für den Preis von zehn Euro können die Besucher damit schon am Mittwoch anreisen. In Absprache mit der Polizei und Genehmigungsbehörden verlängern wir also den Anreisezeitraum und entzerren den Hauptanreisetag am Donnerstag, wenn hier um die 40 000 Besucher eintrudeln. Das bekommen wir über unsere Verkehrsnetze gut hin; werden es aber mehr, kommt es natürlich zu längeren Stauzeiten. Seitdem wir das anbieten, nimmt die Nachfrage auch stetig zu: Beim ersten Mal lag der Verkauf dieser Tickets im vierstelligen Bereich, letztes Jahr bei 12 000, und dieses Jahr bei 15 000.

Warum kostet die Frühanreise extra?

Die frühere Öffnung des Geländes verursacht zusätzliche Kosten: Wir müssen das Personal früher aufziehen, und alle Spielflächen müssen länger spielfertig sein. Dadurch fallen natürlich längere Mieten an - alles, was einen Tag länger steht, kostet natürlich auch einen Tag mehr.

Wie viele Menschen arbeiten eigentlich beim Deichbrand mit?

Wir sind derzeit 16 Festangestellte beim ESK Events & Promotions, das Gros davon in Vollzeit. Dann gibt es noch die regionale Produktionsfirma HKES, die das Festival aufbaut, durchführt und abbaut - die sind mit einigen Dutzend Festangestellten dabei. Das zusammengenommen ist quasi das Deichbrand-Kernteam, das ganzjährig damit beschäftigt ist. Während des Festivals wachsen wir vom ESK dann auf etwa 800 Personen an, die in den unterschiedlichsten Bereichen tätig sind. Mit allen Subgewerken kommen dann noch mal 2500 Leute dazu, sprich Feuerwehr, Sanitätsdienst der Johanniter, Polizei, Rettungsdienst des DRK, aber auch sämtliche Technik- und Bühnencrews. So kommen wir letztendlich auf etwa 3000 Leute, die an dem Wochenende auf dem Festival arbeiten.

Wie rekrutiert ihr euer Personal?

Das geht glücklicherweise fast von alleine: Die einzelnen Gewerke, die bei uns arbeiten und helfende Hände brauchen, bestellen bei der Festival-Crew ihr Personal. Da gibt es dann unter anderem Facebook-Gruppen, über die wir dann die Leute finden. Das Festival als sogenanntes Love-Brand lockt ja auch viele an, denn in den Arbeitspausen kann man sich ja auch beispielsweise Konzerte anschauen. Da gibt es auf jeden Fall andere Baustellen, bei denen unsere Arbeit sich schwieriger gestaltet.

Welche zum Beispiel?

Die Sicherheit ist ein Riesenthema. Über die Jahre ist es hier mit den Auflagen immer aufwendiger geworden: 2008 bestand die Genehmigung der Verkehrsbehörde aus zwei DIN-A4-Seiten - jetzt ist das Sicherheitskonzept mitsamt Genehmigungen ein dicker Ordner. Allein die Erstellung, das Controlling, die Anpassung von Jahr zu Jahr, und auch die Ingenieurbüros, die damit beauftragt sind, uns zu überwachen bezüglich der Fluchtwege und so weiter - das alles führt jedes Jahr zwangsweise auch zu einer Preisanpassung. Im letzten war es nur ein Euro, aber im nächsten Jahr wird dann wahrscheinlich auch wieder eine Ticketpreis-Erhöhung ins Haus stehen.

Wie sieht euer Budget aus?

Unser Budget liegt zwischen zehn und elf Millionen Euro, und das wird an den fünf Veranstaltungstagen auch ausgegeben. Einen Großteil davon machen die Gagen der Bands aus, aber der absolut größte Teil ist der Produktionsapparat: Weit über 50 Prozent der Kosten gehen für alles drauf, was hier aufgebaut, durchgeführt und abgebaut wird; also Bühnen, sanitäre Anlagen, Toiletten, Zäune, Strom oder digitale Infrastruktur. Beispielsweise werden wir in diesem Jahr erstmals an 100 Verkaufsstellen Kartenzahlung anbieten - auch dafür muss jedes der Terminals online sein. So gibt es wirklich dutzende Punkte, die dann letztlich sechsstellige Beträge ausmachen.

Stimmt es, dass das Festival erst ab einer Auslastung von 95 Prozent Gewinn erzielt?

Ja, das ist tatsächlich so. Die Tickets alleine haben noch nie gereicht, wir brauchen immer Gastronomie, Merchandising und Sponsoren als andere Einnahmequellen. Und wenn man von Auslastung spricht, heißt das, dass jeder, der ein Ticket hat, zu einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auch einen ungefähren Betrag für Bier, Essen, T-Shirts und so weiter ausgibt. Und dadurch gibt es natürlich direkt eine positive Korrelation zwischen Besucherzahlen und Umsatz. Würden also fünf Prozent fehlen, können bei so einer Veranstaltung gerne mal mehrere 100 000 Euro minus dabei herauskommen - das ist also immer ein schmaler Grat. Kämen also neun von zehn Leuten, kann es immer noch ein tolles Festival sein, aber wir wären bankrott.

Gibt es Überlegungen, das Ticketkontingent im nächsten Jahr noch einmal aufzustocken, oder ist das Gelände ausgereizt?

Das Gelände an sich gibt schon mehr her, zum Beispiel könnten wir wie bei "Rock Am Ring" auch einen Park-and-Ride-Service einrichten. Das wollen wir aber alles gar nicht. Wir sind super zufrieden mit der jetzigen Größenordnung zwischen 55 000 und 60 000 Besuchern. Damit haben wir das Festivalgelände einmal arrondiert, das heißt in der Mitte befindet sich das Infield, und die verschiedenen Campingplätze und Parkflächen liegen alle ideal drumherum. Auch wenn es für manche Besucher subjektiv betrachtet ein langer Laufweg ist zum Gelände, sind es im Vergleich zu anderen Festivals in der Größenordnung wirklich noch kurze Wege. Und das möchten wir auch so beibehalten.

Keine Pläne, daran etwas zu ändern?

Wenn jetzt ein absolut gigantischer Haupt-Act verfügbar wäre, müsste man noch mal neu über die zwei Stellgrößen kalkulieren - entweder Ticketpreis, oder Besucherzahl. Es gibt beispielsweise von vielen Seiten den Wunsch nach Rammstein, aber eine Band, die allein zweimal das Volksparkstadion vollmacht zu 100 Euro das Ticket, ist nicht für ‘nen Appel und ‘n Ei zu uns zu locken. Dann müsste das Ticket das Doppelte oder sogar Dreifache kosten, und wir müssten für 100 000 Leute Platz schaffen. Das ist aber nicht die Stoßrichtung, in der wir uns sehen. Wir wollen einfach in der Region ein kulturelles Highlight bieten, und das schaffen wir unserer Meinung nach auch ohne die ganz großen Namen.

Habt ihr denn schonmal überlegt, den Deichbrand an einen anderen Ort zu verlegen?

Tatsächlich haben wir das mehrfach: Wir waren zwischen 2005 und 2009 immer an einem anderen Standort, weil der vorherige Spielort entweder zu klein geworden oder nicht verfügbar war. Seit 2009 sind wir nun hier, haben aber immer nur einjährige Verträge bekommen. Die Problematik ist: Wir müssen ja immer den Endkundenpreis im Blick haben, und haben es auch bis heute geschafft, unter 150 Euro zu bleiben. Um das zu halten, müssen wir aber Investitionen ins Gelände tätigen, die uns auf lange Sicht Kosten sparen. Beispielsweise haben wir drei Brunnen gebaut und eine Ringleitung um das Infield. Im letzten Jahr haben wir dann schließlich mit dem Bürgermeister der Wurster Nordseeküste, Marcus Itjen, den 10-Jahres-Vertrag unterzeichnet. Das hat uns die Planungssicherheit gegeben, die wir brauchen, um hier zu investieren. Und jetzt bleiben wir natürlich hier: Das ist unsere Heimat, und wir fühlen uns hier wohl.

Was bekommst du selbst eigentlich letztlich vom Festival mit?

Ich als Veranstaltungsleiter bin zusammen mit unserem Produktionsleiter und ebenfalls Mitgründer Berend Koll die ganze Zeit vor Ort, 24 Stunden pro Tag. Natürlich haben wir eine Kernarbeitszeit und stehen ansonsten auf Stand-by. Wenn das Wetter ruhig ist, habe ich Zeit, mich mit Partnern und Sponsoren zu treffen. Wenn allerdings unruhiges Wetter mit viel Wind, Starkregen oder Gewitter ansteht, dann sind wir oft in der Einsatzleitung und bleiben da dann auch in der Nähe. Da freut man sich dann immer, wenn unsere Meteorologen für einige Stunden am Tag Entwarnung geben können - dann legen wir uns kurz aufs Ohr. Weiterhin mache ich immer morgens und abends mit dem Fahrrad eine Kontrollfahrt über alle Gelände und schaue, ob mir irgendwas unschön auffällt und wie man das beheben kann. Andererseits probiere ich aber auch ganz viele der Food-Stände aus. (lacht)

Wie sieht es mit den Konzerten selbst aus?

Ich schaffe es, maximal eine halbe Stunde von den Headlinern zu sehen, also in der Summe höchstens eineinhalb Konzerte.

Findest du das nicht schade?

Nein, absolut nicht. So unromantisch es klingt: Man gewöhnt es sich mit der Zeit einfach ab, Konzerte besonders zu genießen - das ist auch gleichzeitig der größte Nachteil dieses Jobs. Wenn ich privat auf ein Konzert gehe, nehme ich die Musik gar nicht wahr, sondern immer nur den Produktionspart: Ich sehe Schlangen vor den Toiletten, jedes offene Kabel, jeden unaufmerksamen Ordnungsdienst. Das ist mir in den letzten 15 Jahren einfach in Fleisch und Blut übergegangen, deswegen gehe ich privat fast gar nicht mehr auf Konzerte - immer nur beruflich. Trotzdem freue ich mich natürlich auf die Headliner: Von dem Konzert der "Chemical Brothers" werde ich mir auf jeden Fall mindestens die Hälfte anschauen - ich darf nicht zu viel verraten, aber das wird die aufwendigste Show, die wir je auf dem Deichbrand hatten.

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