Der aus Hemmoor stammende Dichter Peter Rühmkorf wäre am vorigen Freitag 90 Jahre alt geworden. Foto: Gambarini / dpa
Der aus Hemmoor stammende Dichter Peter Rühmkorf wäre am vorigen Freitag 90 Jahre alt geworden. Foto: Gambarini / dpa
Zum 90. Geburtstag

Der Dichter als Mensch: Hemmoor erinnert an Peter Rühmkorf

von Ulrich Rohde | 29.10.2019

HEMMOOR. Hemmoor erinnert zu dessen 90. Geburtstag an den 2008 gestorbenen Peter Rühmkorf. Er hätte am Freitag seinen Ehrentag gefeiert.

Wir müssen uns den Dichter nicht zwingend als netten Menschen vorstellen, eher als widersprüchlichen, zuweilen zaudernden, gelegentlich hochfahrenden, manchmal auch widerlichen, immer aber unterhaltsamen Menschen, der Intimstes zu großer Kunst machen konnte und ein Leben als Lyriker führte, wie es heute kaum mehr denkbar erscheint. Peter Rühmkorf wäre in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden. Er starb 2008. Anlass genug für seine Heimatstadt Hemmoor, an ihren großen Sohn zu erinnern.

Das tat sie, indem der Arbeitskreis Kunst und Geschichte sowie der Geschichts- und Heimatverein zu Rühmkorfs Geburtstag eine Veranstaltung auf die Beine stellten, die nicht so sehr dem Georg-Büchner-Preisträger Rechnung trug, sondern eher dem Menschen Rühmkorf, wenngleich sich das eine vom anderen kaum trennen lässt. Heinrich Brandt, der den Abend moderierte, sagte: "Wir möchten Rühmkorf aus dem Pantheon der deutschen Dichtung holen und ihn auf die Erde stellen."

Dafür holte er sich drei namhafte Mitstreiter auf die Bühne in der Kulturdiele: Peter Schütt, aus Hemmoor stammender Schriftsteller und Zeitzeuge der frühen Jahre seines um ein Jahrzehnt älteren Namensvetters, zugleich Ideengeber für die Geburtstagsrunde, Wolfgang Röhl, in Oberndorf lebender Journalist und Krimiautor und ebenfalls Beobachter des Rühmkorfschen Wirkens, sowie der Otterndorfer Kulturpolitiker Hans-Volker Feldmann, der als Jury-Mitglied daran beteiligt war, dass der Dichter im Jahr 2000 erster Träger des Johann-Heinrich-Voß-Preises geworden ist.

Es lebe der Widerspruch

"Kaspar, Kaspar" hätten ihm die anderen Kinder hinterhergerufen, dem "Zigeunerjungen" mit den krausen Haaren, wissend, dass sein Vater ein durchreisender Puppenspieler war und Mutter Elisabeth eine ledige Volksschullehrerin und Heimatdichterin in Warstade. Er, der Sündenfall, sei ein "Lausbub und Bürgerschreck" gewesen, erinnerte Peter Schütt, eine einzige Provokation, war Mitglied einer antinationalsozialistische Bande, die Flugblätter der Alliierten sammelte. Der Widerspruchsgeist war früh da.

1959, berichtet Schütt, sei er zu Rühmkorf nach Hamburg gepilgert, der "glühender Kommunist" gewesen sei. "Er hat mich in die Partei gebracht." Schütt blieb bis Gorbatschow Hofdichter der DKP, Rühmkorf hatte sich hingegen längst distanziert. Nicht ohne einen Beitrag für die Zeitschrift "Konkret" über eine China-Reise im Jahr 1955 hinterlassen zu haben, in dem Rühmkorf vom "neuen Menschen" schwafelte und von der kommunistischen Propaganda "hinter die Fichte" geführt wurde, wie Wolfgang Röhl, Bruder des "Konkret"-Herausgebers Klaus Rainer Röhl, berichtete.

Das wäre alles nicht so schlimm gewesen und dem naivem Idealismus seiner Jugend zuzuschreiben, hätte er den Artikel 1972 nicht in seiner Biografie "Die Jahre, die Ihr kennt" erneut veröffentlicht. Das fiel nur deshalb niemandem auf, weil sich das Buch nicht gut verkaufte. Zu dem Zeitpunkt war Rühmkorf bereits gefeiertes Dichter-Establishment, war Teil eines salon-sozialistischen Hamburger Freundeskreises aus Journalisten und Künstlern gewesen, zu dem auch Klaus Rainer Röhls damalige Ehefrau Ulrike Meinhoff gezählt hatte. 1972 war dieser Kreis bereits an der Gewaltfrage und am Terrorismus zerbrochen. Flucht aufs Land war nun angesagt. Gleichwohl: "Peter Rühmkorf gehörte zu den Schriftstellern, die sich nie so richtig vom RAF-Terror distanziert haben. Er blieb da mindestens ambivalent", meint Röhl. Ganz anders sein lyrisches Werk: "Rühmkorf hat praktisch überhaupt keine politischen Gedichte geschrieben. Beim Dichten war er kein Genosse. Genau das macht sein Werk haltbar."

Kein "heiliger Peter"

Rühmkorf verspottete den christlichen Glauben seiner Mutter, heiratete seine Frau Eva aber kirchlich. Er lästerte fiese Indiskretionen in seine Tagebücher und war zu den zartesten Versen fähig. Er war saufender, kiffender Frauenheld und zugleich mit Eva Rühmkorf 44 Jahre lang verbunden. Die SPD-Politikerin, unter anderem Ministerin in Schleswig-Holstein, wurde 1979 erste Gleichstellungsbeauftragte in Deutschland. "Wäre ich Rühmkorfs Frau gewesen, wäre ich auch Frauenbeauftragte geworden", kalauerte Wolfgang Röhl.

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