
Ist der Wegfall fast aller Corona-Regelungen sinnvoll? Experten sind sich uneins
KREIS CUXHAVEN. Am Sonntag sind fast alle Corona-Regelungen ausgelaufen. Unter Experten gehen die Meinungen über die Sinnhaftigkeit dessen auseinander.
Masketragen gehört seit Kurzem der Vergangenheit an, zumindest auf dem Papier. Nach Beschluss des Bundes entfallen sämtliche Corona-Regeln im Einzelhandel. In der Praxis sieht das aber anders aus: Aus Angst vor einer Corona-Infektion und zum Schutze anderer setzen viele Cuxländer beim Shopping freiwillig eine FFP2-Maske auf. Die Meinungen der Experten gehen derweil auseinander.
"Das ist so das Kopfkino", sagt Professor Johannes Knobloch, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Sich beim Einkaufen mit Corona anzustecken könne grundsätzlich auf zwei Wege passieren: durch Tröpfchen-Infektion oder Aerosole. Je mehr Platz es gebe, desto weniger bedeutend sei, dass letztere ausgeschieden werden.
In großen Räumen verteilen sich die Schwebeteilchen und lösen sich auf. Knobloch sagt: "Sie bleiben nicht über Stunden an einer Stelle kleben." Im Büro, bei langen Gesprächen in kleinen Räumen sei das beispielsweise deutlich kritischer zu bewerten. Risikobehaftet seien im Einzelhandel vor allem Kunden-Gespräche. "Ein Mund-Nasen-Schutz kann hier sinnvoll sein, allerdings nur bei korrekter Anwendung", sagt der Mikrobiologe.
Masken falsch getragen
Die richtige Handhabung sei hier das Schlüsselelement. "Personen ohne medizinisches Wissen tragen diese Masken in der Regel falsch", stellt Knobloch klar. Seien die "Ohrbändsel" abgeschnitten und neu verknotet, die Masken falsch aufgesetzt oder nicht an das Gesicht modelliert, haben sie auf den Infektions-Schutz keinen erheblichen Einfluss.
"Eine FFP-2-Maske schützt dann genauso gut wie ein OP-Maske", fährt er fort. Es sei aus Knoblochs Sicht Unsinn gewesen, diese für den Otto-Normal-Verbraucher einzuführen. Sorge vor einer Ansteckung beim Einkaufen sollten lediglich Zugehörige der Risikogruppe haben. Diese sollten sich eine hochwertige FFP2-Maske besorgen und zeigen lassen, wie man richtig damit umgehe.
"Trotz dieser Pflicht haben wir den Infektions-Stand, den es zuvor nie gab", sagt Knobloch. Der Zeitpunkt eines Strategiewechsels hinsichtlich der Corona-Politik sei längst verpasst. Aus seiner Sicht hätte die Politik schon früher für die Allgemeinbevölkerung lockern können. Allerdings nur, wenn die Schutzmaßnahmen in Bereichen, die mit vulnerablen Gruppen arbeiten, verschärft worden wären. "Meine Erwartungshaltung ist, dass wir trotz Lockerungen weiterhin einen Abfall der Infektionszahlen sehen werden", so Knobloch.
"Es ist zu früh"
Professor Andreas Dotzauer, Leiter des virologischen Instituts Bremen, schätzt die Lage anders ein. "Es ist zu früh", betont er. Klüger wäre es gewesen, mit den Lockerungen zu warten, bis die Temperaturen wärmer werden und die Menschen sich draußen aufhalten. "Ein gutes Datum wäre nach Ostern gewesen", erklärt der Virologe.
Jetzt werden die Feierlichkeiten in Innenräumen ohne Schutzmaßnahmen stattfinden, so Dotzauer. Besonders, dass die Maskenpflicht wegfalle, beäugt er kritisch. "Die Zahl der Neuinfektionen wird durch das Wegfallen entscheidender Maßnahmen steigen." Auch entstehe der allgemeine Eindruck, dass die Ansteckungsgefahr vorbei sei - ein Trugschluss. Abstände werden nicht mehr eingehalten, Kontakte werden häufiger und die Masken nicht getragen. "Das nutzt das Virus aus."
Nicht nur werde sich das in den Infektionszahlen niederschlagen, insofern diese durch die überlasteten Ämter überhaupt erfasst werden. Insbesondere die Zahl der Corona-Toten werde steigen. Dass die meisten Verläufe mit schwachen oder gar keinen Symptomen verlaufen, sollte nicht auf die leichte Schulter genommen werden und das aus triftigem Grund: "Die Gefahr, die ich als Virologe vor Augen habe, ist, dass Mutationen stattfinden und ihre zukünftige Auswirkung nicht absehbar ist." Eine aggressivere Variante könne laut Dotzauer dazu führen, dass die Anzahl der Toten nach oben schieße. "Es ist sicherlich nicht so, dass wir alle ein größeres Freiheitsgefühl mit den Lockerungen verbinden", sagt Dotzauer abschließend.