
Diesem Künstler begegnet Ihr sicherlich irgendwo in Cuxhaven
CUXHAVEN. Niels Hertel ist mit seiner Kunst im Cuxhavener Stadtbild präsent. Sein Ziel: "Von der Kunst leben".
"Die Cuxhavener brauchen keine Hilfe von Rettungsbooten / Das Rettungsboot braucht uns, wir sind die besten Lotsen // Ein Cuxhavener braucht sich keine Flat zu holen / Er kennt über sechs Methoden, um sich ein Netz zu knoten."
Cuxhaven hat eine neue Hymne. Über Whatsapp wird das Rap-Lied "Cuxhaven" seit Monaten verbreitet. Aber nur wenige kennen den Künstler dahinter: Niels Hertel. "Das Logbuch" heißt sein 2019 erschienenes, gemeinsam mit dem Kasseler Rhymellow produziertes, Album.
In Hertels Wohnung stehen Unmengen an Werkzeug, eine Textildruckmaschine, ein Aufnahmemikrofon, etliche Graffiti-Sprühdosen, Kuckucksuhren und Tablets. An der Wand hängen noch mehr Werkzeuge, bedruckte T-Shirts, Flyer von vergangenen Rap-Auftritten und Albumcover. Niels Hertel steht mittendrin im Universum seiner künstlerischen Tätigkeiten. Wohnen tut er hier nicht mehr, sondern nebenan - zusammen mit seiner Freundin.
Hertel ist zwar erst seit ein paar Jahren zurück in Cuxhaven - aber der Kontakt war sowieso nie abgerissen. Er ist ein Sahlenburger Jung, besuchte dort die Grundschule und absolvierte das Abitur an der Berufsbildenden Schule. "In der Zeit ging es los mit der Kunst. Während des Unterrichts habe ich andauernd gezeichnet und Rap-Texte geschrieben", erinnert sich Hertel. "Meine Crew und ich haben damals mitunter Wörter benutzt, die wir von anderen Rappern kannten. Dabei wussten wir nicht einmal, was sie bedeuten."
Ein Kumpel brachte regelmäßig die neuen Underground-Alben aus Berlin. In den großen Städten war es die Zeit von Samy Deluxe oder Kool Savas. In Cuxhaven waren es Hordak Two, Hertels Rap-Name, mit seiner Crew Flow Rekord Nord (FRN). Gemeinsam stellten die Jungs die ersten kleinen Auftritte in der Kneipe "Der Laden" oder auf dem alten Skateplatz auf die Beine.
Rapmusik ist nicht genug
Für Hertel sollte Rapmusik aber nicht die einzige künstlerische Tätigkeit sein. "Ich wusste schon damals, dass ich Künstler werde", sagt er heute.
Nach dem Zivildienst auf einem Hamburger Bauspielplatz, wo er erste Erfahrungen mit der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sammelte, ging er zum Studium nach Kassel. Und machte einen Kompromiss: Er studierte nicht nur Freie Kunst, sondern auch Kunst und Philosophie auf Lehramt.
Doch seine Leidenschaft ist die Kunst, er wird zum Meisterschüler, verdient neben dem Studium Geld mit Auftragskunst und Workshops. Und er erweitert sein Repertoire, gestaltet als Bildhauer erste Installationen.
Als Bildhauer? Steine klopfen oder so? Nein, als bildender Künstler mit verschiedensten Werkzeugen und Materialien. Hertel baut kleine Wassermühlen in Bäche, malt Tränen an Fortmauern, stellt Kuckucksuhren auf und verspiegelt einen historischen Keller. Hertel setzt sich mit den Funktionen und der Geschichte von Orten auseinander. Seine Installationen sollen in ihren Umgebungen betrachtet werden, ihre Umwelt betonen.
Während der Zeit in Kassel reißt aber der Kontakt nach Cuxhaven nie ab. FRN organisieren weiter kleine Jams in Cuxhaven - und bringen dafür auch Künstler aus Kassel oder Hamburg mit. "Da war eine richtig schöne Dynamik drin damals", erzählt Hertel.
Aushilfe im Kindergarten
Nach dem Studium zeigt sich aber, dass allein mit Kunst nicht genug Geld reinkommt. Hertel arbeitet als Aushilfe im Waldorfkindergarten in Kassel. Daraus wird ein 40-Stunden-Job und er beginnt eine Erzieherausbildung. Für Kunst ist plötzlich keine Zeit mehr. "Ich bin nur noch hin- und hergehetzt", sagt er heute über diese Zeit.
Darunter leiden auch seine Freundin und ein Partner, mit dem er viel zusammenarbeitet. Beide Beziehungen gehen kaputt. Hertel verlässt Kassel und kehrt nach Cuxhaven zurück.
Heute arbeitet Hertel als Pädagoge bei der Lebenshilfe. Und er hinterlässt seine Spuren im Stadtgebiet: im Bowlingcenter in der Rohdestraße, im Restaurant Don Quijote in der Deichstraße, beim Kunst-Workshop der Lebenshilfe oder mit seiner Cuxhaven-Hymne. Seine Kunstprojekte, die Arbeit bei der Lebenshilfe und sein Privatleben unter einen Hut zu bringen, ist aber weiterhin eine riesige Herausforderung.
Deswegen verfolgt Hertel den Traum weiter, irgendwann von seiner Kunst leben zu können. "Selbstständigkeit, einen Laden aufmachen, das wäre Wahnsinn!" Dafür investiert er viel Zeit und Geld - und hat tatsächlich immer viele Eisen im Feuer. Nach der Arbeit düst er sofort mit dem Fahrrad zu Auftraggebern oder arbeitet in seiner Atelier-Wohnung an Entwürfen. Gerade beschäftigen ihn die Gestaltung eines Kiteboards, einer Mauer vor einem Cuxhavener Sportverein und einer Installation für ein Museum.
https://www.niels-hertel.de/
https://roughremarks.bandcamp.com/album/das-logbuch
Von Philipp Wohltmann