Dieser Cuxhavener lässt die wildesten Drachen empor steigen

Die Nähmaschine rattert im Heizungskeller. Ein eher ungewöhnlicher Ort und auch das, was genäht wird, ist nicht alltäglich. Die Leidenschaft, mit der Hansi Niemann aus Sahlenburg seinem neuen Hobby Drachenbau nachgeht, verblüfft. Denn eigentlich ist der 63-jährige ein Neuling in diesem Bereich.

Hansi Niemann erblickte am 28. Januar 1958 in Cuxhaven das Licht der Welt. Bekannt sein dürfte er vielen durch seine Physiotherapiepraxis Niemann in der Schillerstraße, die er am 1. Januar 2022 an seine Nachfolgerin Tanja Sturm übergeben wird.

Bei den Kite Surfern "Cux Kiters" ist er aktiv und lernte dort auch Oliver Marburg kennen, der aus alten Kites Umhängetaschen näht. Als sich Hansi Niemann daran erinnerte, wie er früher mit seinem Vater Drachen steigen ließ, kam er auf die Idee, es einmal selbst mit dem Drachenbau zu versuchen.

"Da habe ich Ollie einfach mal gefragt, ob er noch Material übrig hat. Das hatte er und nicht nur das. Er gab mir viele hilfreiche Tipps zum Nähen von Drachen. Von ihm habe ich so auch die doppelte Kapp-Naht gelernt. Davor wusste ich ja noch nicht einmal, das es die gibt", schmunzelt Hansi Niemann.

Farbenfroher Delta-Drache

Oliver Marburg besorgte das Material, ganz leichten Spinnaker-Stoff, Hansi Niemann kaufte sich eine Nähmaschine und legte los. Kleine Quadrate, die 8 mal 8 Zentimeter maßen, nähte er so zusammen, dass der erste Drachen eine Grundfläche von vier mal zwei Metern aufwies. "Verschiedene Farben der vielen kleinen Quadrate - es ging farbenfroh zu, als ich den ersten Delta-Drachen nähte." Schon nach 20 Stunden gab die Nähmaschine ihren Geist auf. "Ich brauche eine Profi-Nähmaschine", dachte sich Hansi, machte sich auf die Suche und kehrte mit zwei Halb-Industrie-Nähmaschinen zurück. Sechs Monate lang wurde genäht. "Du hast ja unglaublich gut und präzise genäht", lobte ihn Oliver Marburg.

Die Waageleine wurde angenäht, die Knotenpunkte angesetzt und der geteilte Schweif mit einer Länge von 20 Metern kam hinzu. "Ich kam gar nicht mehr von den Nähmaschinen weg. Es wurde fast schon zu einer Sucht", berichtet Hansi Niemann, der den Delta-Drachen als Einleiner-Drachen konzipierte. "Die Leine wird an einem Erdanker befestigt, ich halte den Drachen an der Leine und - ob man das glaubt oder nicht: Der Zug, der auf die haltende Person ausgeübt wird, ist nicht so groß, wie man denken könnte." Wie beim Flugzeug dreht sich der Wind leicht weg, der Auftrieb ist da. Hansi Niemann testete seinen ersten Drachen bei der Kugelbake.

Anregung im Internet

Dann sah er im Internet einen Birdman-Drachen, entwickelt von George Peters, einem Amerikaner. "Ein toller Drachen. Den musste ich einfach nachbauen", schildert Hansi Niemann.

Also hat er Kontakt aufgenommen und um Erlaubnis zum Bau eines Birdman-Drachen gebeten. "George hat das auch sofort erlaubt. Allerdings mit anderen Farben, und so nähte ich meinen ersten Birdman. Der wurde allerdings durch einen Skalierungsfehler wesentlich größer als das Vorbild. Das Original von George war zwei Meter hoch und 1,10 Meter breit mit einem neun Meter langen Körper. Mein Birdman ist drei Meter mal 1,60 Meter und hat einen Körper von 20 Metern Länge." Hansi Niemann fertigte seine eigenen Schablonen an, alles ohne Bauplan. Zunächst legte er Pappe im Wohnzimmer aus und schnitt die Schablonen aus. Dann besorgte er sich Plexiglas und schnitt die Schablonen zu, ehe eine Profi-Firma die Schablonen aus Metall herstellte.

Den Platz optimal nutzen

"Ja, und dann kam die Birdman-Premiere an der Kugelbake. Der Drachen stieg auf und die Hörner zerlegten den Kopf. Sie waren nicht stabil genug. Da musste ich natürlich nachjustieren." Das tat Hansi Niemann auch, konstruierte neue Hörner, verband diese mit Band, so dass die ganze Konstruktion stabiler wurde. "Ja, und dann flog der Birdman und flog und flog. Herrlich!" Beim Drachenfest in Drochtersen-Assel feierte der Birdman seine Premiere und war die große Attraktion. "Klar, denn er war der einzige Großdrache, der als Eigenbau an den Start ging."

Seine Drachen fertigt Hansi Niemann im Heizungskeller seines Hauses in Sahlenburg an. "Da habe ich nicht viel Platz, nutze diesen aber optimal aus. Jetzt nähe ich gerade die Drachen Nummer 3 und 4 parallel. Ebenfalls Birdman-Exemplare. Im Mai 2022 werden sie fertig sein. Das schaffe ich auch, doch sechs Monate Bauzeit werden nicht verkürzt werden können. Jedes einzelne Teil wird ausgemessen, zugeschnitten und genäht. George Peters war mit meinem Birdman mehr als zufrieden. ,Amazing‘ war sein Kommentar. Dann hat er mir noch viele Tipps gegeben, wie ich was noch optimieren kann. Zum Beispiel den Drachen flacher stellen, damit er noch höher fliegt." Im Juni 2022 fährt Niemann mit seiner Frau Ingeborg nach Fanø in Dänemark zum weltgrößten Drachenfest. "Dort werden wir George persönlich kennenlernen. Darauf freuen wir uns schon! Aber mein Dank geht an Oliver Marburg, den Gott der Nähnadel. Ohne ihn hätte ich dieser neuen Leidenschaft nicht frönen können."