Die zweite Impfdosis sorgt, ein gesundes Immunsystem vorausgesetzt, schon für einen 95-prozentigen Schutz gegen schwere COVID-19-Verläufe: Darauf weist aktuell der Berliner Immunologe Prof. Dr. Andreas Radbruch hin. Foto: Christopher Neundorf/dpa
Die zweite Impfdosis sorgt, ein gesundes Immunsystem vorausgesetzt, schon für einen 95-prozentigen Schutz gegen schwere COVID-19-Verläufe: Darauf weist aktuell der Berliner Immunologe Prof. Dr. Andreas Radbruch hin. Foto: Christopher Neundorf/dpa
Immunologen im Interview

Experte erklärt: Warum die Booster-Impfung ein Luxusproblem ist

von Kai Koppe | 06.11.2021

KREIS CUXHAVEN. Wie lange hält sie eigentlich, die (Doppel)-Impfung gegen Corona? Diese Frage treibt in diesen Tagen vor allem ältere Mitbürger um.

Aktuell liest man von Impf-Durchbrüchen und von mancherorts rasant steigenden Inzidenzwerten. Muss man nun "boostern" (also die Impfung auffrischen) oder nicht? Und überhaupt: Wird der neuerliche "Piks" zur Regel? Über diese Fragen unterhielt sich CN/NEZ-Redakteur Kai Koppe mit dem Berliner Immunologen Prof. Dr. Andreas Radbruch.

Herr Prof. Radbruch, für welche Personengruppen macht die in aller Munde befindliche Booster-Impfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt eigentlich Sinn?

Nach den zurzeit vorliegenden Daten macht die Booster-Impfung aus immunologischer Sicht eigentlich nur für Personen Sinn, die auf die zweite Impfung nicht so richtig reagiert haben - im Sinne einer schlechten Impfantwort. Wie die Ständige Impfkommission STIKO ganz richtig vorschlägt, sind das im Wesentlichen ältere Leute, deren Immunsystem entsprechend träge ist und eine zusätzliche Aufforderung benötigt. Oder es sind Menschen, deren Immunsystem deswegen nicht gut funktioniert, weil es medikamentös unterdrückt wird: Patienten, die an Krankheiten leiden, die man behandeln muss, indem man das Immunsystem dämpft. Das ist zum Beispiel bei manchen rheumatischen Erkrankungen nötig. In den genannten Fällen sieht es so aus, als ob eine zusätzliche Impfung die Betroffenen auf den gleichen Stand bringt wie einen gesunden jungen oder auch mittelalten Menschen, dessen Immunsystem schon nach zweimaliger Impfung sehr gut reagiert hat.

Sind die sogenannten Impf-Durchbrüche. die stellenweise zu verzeichnen sind, aus Ihrer Sicht der Anlass dafür, dass das Thema Booster-Impfung in der öffentlichen Diskussion aktuell so forciert wird?

Auch bei vielen anderen Impfungen gibt es solche Durchbrüche. Was die Corona-Impfungen angeht, können wir zumindest bei der Biontech-Impfung davon sprechen, dass sie Geimpfte zwar nicht unbedingt vor der Infektion, aber gut vor schweren Krankheitsverläufen schützt. Der Schutz vor diesen schweren Verläufen liegt nach zweimaliger Impfung ungefähr bei 95 Prozent - und er hat dann auch über viele Monate hinweg Bestand.

Wenn man nach fünf, sechs Monaten noch einmal nachguckt, wird der Antikörperspiegel gesunken sein, das ist ganz normal. Das hängt damit zusammen, dass der Körper auf die Impfung reagiert, indem das Immunsystem zunächst alles mobilisiert, sich dann aber wieder beruhigt. Es geht dann in einen Gedächtniszustand über, in welchem ein gewisser Anteil, aber nicht etwa die ganze Antikörperproduktion erhalten bleibt. 20 bis 30 Prozent scheinen aber auszureichen, um den Schutz vor schwerer Erkrankung über lange Zeit auf einem Niveau von 95 Prozent zu halten.

Kürzlich veröffentlichte Studiendaten aus Israel belegen, dass sich dieser Schutz in den ersten Wochen nach einer nochmaligen, dritten Impfung auf einen Wert von 99,5 Prozent erhöht. Das wird als enorme Steigerung der Immunität verstanden. Entscheidend ist aber, dass sie lange anhält. Nach der dritten Impfung steigt sie dann eben noch einmal an, um knapp fünf Prozent. Im Grunde genommen sprechen wir bei der Booster-Impfung also über ein Luxusproblem. Schließlich gibt es zurzeit nicht genug Impfstoff, um alle Menschen auf der Welt wenigstens einmal zu impfen. Man sollte also nicht vergessen: Wir erleben hier eine Pandemie, ein weltweites Problem also, kein spezifisch deutsches. Und die zögerliche Haltung der Zulassungsbehörden, eine Drittimpfung für alle zu empfehlen. hat durchaus wissenschaftliche Gründe.

Trotzdem ist es ja so, dass das Impfzertifikat irgendwann abläuft. Das bedeutet, anders ausgedrückt, dass eine Auffrischung früher oder später für alle Geimpften ein Thema wird, oder nicht?

Es wird ein Thema, wenn die Politik der Wissenschaft nicht zuhört: Wir wissen, dass die Immunität wahrscheinlich Jahrzehnte lang anhalten wird. Derzeit neigt man dazu, sie vorläufig als auf ein Jahr befristet anzusehen. Es geht darum, zu überprüfen, wie gut Geimpfte nach einem Jahr noch geschützt sind. Daten, die bereits veröffentlicht worden sind, deuten allerdings darauf hin, dass die Immunität sehr lange anhält. Ich rechne damit, dass das demnächst ein Diskussionsthema werden wird. Es gibt Studien zur Immunität gegen das ursprüngliche SARS-Virus, das ab 2001 unterwegs war: Vor einiger Zeit sind ehemals Infizierte untersucht worden; sie hatten 17 Jahre später genauso viele Antikörper wie kurz nach der Infektion. Und die Anzahl dieser Antikörper beziehungsweise die Zahl der Zellen, die diese Antikörper machen - man findet sie im Knochenmark - die ist genauso hoch wie die Zahl der Zellen, die Antikörper gegen Tetanus erzeugen. Als Immunologe geht man deswegen davon aus, dass die zweimalige Impfung bereits zu einem sehr stabilen Schutz führt. Vielleicht legt die dritte Impfung noch einmal ein bisschen was drauf. Aber auf eine jährliche Impfung - so sieht es im Augenblick aus - kann man verzichten.

Lassen Sie mich noch einmal zusammenfassen: Grundsätzlich kann man also sagen, dass auch ein Mensch, der jenseits der 70 ist und in den vergangenen Monaten gegen COVID 19 zweitgeimpft wurde, bezüglich des Erkrankungsrisikos nicht unbedingt in Panik verfallen muss.

Genau. Aber natürlich würde man noch etwas besser geschützt sein, wenn man die dritte Impfung bekommen hat. Und das ist ja der Grund, warum Über-70-Jährige das Impfangebot nutzen. Da wird dann noch etwas draufgesetzt, weil davon auszugehen ist, dass das Immunsystem bei Menschen in dieser Altersgruppe etwas träger ist.

Zur Person

Prof. Dr. rer. nat. Andreas Radbruch (69) ist seit 1996 wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums und Präsident der European Federation of Immunological Societies (EFIS). Zu den Arbeitsschwerpunkten des Seniorprofessors an der Berliner Charité zählt die Erforschung des immunologischen Gedächtnisses. Radbruchs Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen, etwa dem Karl-Heinz Beckurts Preis oder den Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats belohnt.

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Kai Koppe

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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