
"Grausame Wellen" vor Jahrhunderten: Als die Neujahrsflut Helgoland zerriss
HELGOLAND. Eine Sturmflut spülte in der Nacht zum 1. Januar 1721 die Landverbindung zwischen der Hauptinsel Helgoland und der östlich vorgelagerten Düne weg.
Der Mensch war zumindest mitschuldig. Genauer: die Bewohner von Helgoland. Eigentlich bestand ihre Insel nämlich aus zwei miteinander verbundenen Teilen - einem roten aus Buntsandstein, dem heutigen "Oberland", und einem weißen aus Kalk, der "Wittklipp". Eine Landbrücke verband diese beiden Felsen miteinander; sie bestand aus Geröll und Sand. Kalkstein jedoch war seinerzeit ein wichtiger Baustoff. "Den Untergang der Wittklipp beschleunigten die Inselbewohner, indem sie unverständigerweise das wertvolle Kalkgestein allmählich abtrugen und verkauften", schrieb 1905 der Grazer Oberschullehrer Georg A. Lukas (1875-1957) in der "Geographischen Zeitschrift". Der an der Universität Kiel seit 2009 für die Geschichte Nordeuropas zuständige Historiker Martin Krieger ergänzt: "In einer Quelle von 1699 steht, dass dieses einst riesige Kliff schließlich nur noch die Größe eines Heuschobers hatte."
Steinwall reißt durch
Am 1. November 1711 kam es, wie es kommen musste: Eine Sturmflut spülte den letzten Rest des weißen Kliffs weg. Damit hatten die Kräfte der Nordsee freies Spiel, so Krieger: "Nun gab es neben dem roten Fels nur noch diesen Wall und etwas Dünengelände." In der Neujahrsnacht 1720/1721 folgte dann eine weitere Sturmflut. In der Ortschronik des Helgoländer Ratmannes und Gastwirtes Hans Broders heißt es in damals üblicher, heute jedoch seltsam anmutender Orthografie: "Am Neujahrsabend und dem darauffolgenden Neujahrstag war es um zwei Uhr ein rechter Haubt-Sturm und hieselbst ein ungemein hohes Wasser mit so grausamen Wellen, dass auch einige Häuser und Buden bey Norden dem Lande wegspületen und übertraf diese Wasserfluht fast diejenige, welche am Weihnachtsabend 1717 erging. Der Wind war auch heftiger als zu der Zeit. Der Steinwall zwischen dem Lande und der Sanddüne riss durch."
Lücke wird immer tiefer
Anfangs konnten die Menschen diese Bruchstelle noch passieren, aber die mächtigen Strömungen der Nordsee ließen die nicht geschlossene Lücke immer tiefer werden. Seit dieser Neujahrsnacht 1721 also besteht Helgoland aus zwei Teilen - dem etwa einen Quadratkilometer großen, roten Felsen mit der berühmte Steilküste und der vorgelagerten Düne.
Im Jahr 2008 erarbeitete ein Hamburger Bauunternehmer in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Hamburg und dem Alfred-Wegener-Institut einen Plan, den nur wenige Meter tiefen Meeresarm zur Düne wieder mit Sand aufzufüllen. Hauptinsel und Badedüne sollten durch Sandaufspülungen zu einer Einheit zusammengefügt werden und Helgoland sich so um einen Quadratkilometer vergrößern. Die Meinung zu dem 100-Millionen-Euro-Projekt war gespalten: Für die einen war es eine Zukunftsvision, attraktive Räume zu schaffen für mehrere Hotels und zusätzlichen Strand. Andere bezeichneten die Idee als völlig überdimensioniert. 2011 stimmten die Helgoländer ab - und lehnten das Megaprojekt mit 55 zu 45 Prozent ab.
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