
Kreis Cuxhaven: Kindesmissbrauch ist trauriger Alltag
KREIS CUXHAVEN. Die Polizeimeldung sorgte für Schlagzeilen: Ein 30-jähriger Bremerhavener hat die Tochter seiner Lebensgefährtin mehrfach sexuell missbraucht, davon Videos gemacht und ins Netz gestellt.
Doch sexueller Missbrauch ist für viele Kinder trauriger Alltag. Erhebungen gehen davon aus, dass in jeder Schulklasse zwei Kinder betroffen sind, sagt Kim-Riga Stüve von der Beratungsstelle des Landkreises. Die Polizei berichtet von 34 Fällen im Jahresmittel.
Bremerhaven: Mann festgenommen
Vergangene Woche hatte die Polizei im Landkreis einen 30-jährigen Bremerhavener festgenommen, der die Tochter seiner Lebensgefährtin mehrfach missbraucht haben soll. Das Mädchen ist im Grundschulalter, die Mutter hat nichts von dem Missbrauch geahnt, sagt Oberstaatsanwalt Kai Breas. Um das Opfer zu schützen, verrät er keine weiteren Details. Aufmerksam geworden waren die Ermittler auf den Fall durch die Filme im Netz.
Statistische Schwankungen
"In den vergangenen fünf Jahren sind innerhalb der Polizeiinspektion Cuxhaven im Jahresmittel 34 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern geführt worden", sagt Sprecher Tom Kase. Diesen Ermittlungszahlen stünden im Durchschnitt 28 Tatverdächtige gegenüber. Die Zahlen unterliegen laut Kase in den einzelnen Jahren jedoch statistischen Schwankungen. Zu beachten sei zudem, dass ein Tatverdächtiger, der zwei Opfer missbraucht hat, als solcher nur einmal, die Straftaten aber einzeln erfasst werden. Die Aufklärungsquote zwischen 2015 und 2019 betrage knapp 88 Prozent.
Hohe Dunkelziffer
Kim Riga-Stüve koordiniert die Arbeitsgruppe sexueller Kindesmissbrauch beim Landkreis Cuxhaven, in der sich verschiedene Institutionen regelmäßig zum Thema austauschen. "Die Dunkelziffer ist in diesem Bereich sehr hoch", sagt sie. Es gebe statistische Erhebungen, die davon ausgingen, dass in jedem Klassenzimmer in Deutschland zwei Kinder säßen, die schon einmal Missbrauchserfahrungen gemacht haben. "Das spielt sich in jeder Gesellschaftsschicht ab", sagt sie. Und oft auch im Nahfeld der Kinder. "Es gehört zur Täterstrategie, dass die Kinder sie gut kennen. Zunächst ist das Verhältnis oftmals normal, der Missbrauch entwickelt sich dann über die Zeit", erklärt die Erziehungsberaterin. Genau darin liege für die Kinder die Tragik.
"Das, was eigentlich Sicherheit bieten sollte, bietet keine Sicherheit. Die Kinder erleben einen massiven Vertrauensmissbrauch", erzählt sie. Oft sei das auch ein Konflikt, den die Kinder hätten, bevor sie sich jemandem anvertrauen. "Sie wissen, dass sich Familiensysteme auflösen können, erleben oft einen Loyalitätskonflikt", so Riga-Stüve. Umso wichtiger sei deshalb, Kindern zu glauben. "Sie überlegen sich sehr genau, was und wem sie etwas erzählen."
Oberste Prämisse sei deshalb, die Kinder ernst zu nehmen, ruhig zu bleiben und zu überlegen, was der nächste Schritt sein könne. "Leider müssen sich Kinder oft mehrfach anvertrauen, bevor ihnen geglaubt wird, weil das Erzählte abgetan wird", weiß die Fachfrau. Die Folgen einer solchen Missbrauchserfahrung in der Kindheit seien vielfältig. "Jeder Körper versucht, zu überleben. Das geht oft mit psychischen Störungen wie etwa Essstörungen, Selbstverletzung oder Ähnlichem einher", so Riga-Stüve.
Kinder ermutigen
Im Prinzip gebe es eine ganze Palette unterschiedlichster Reaktionen. "Oft haben diese Menschen auch ihr Leben lang Schwierigkeiten, Bindungen oder Beziehungen aufzubauen, weil ihr Vertrauen schon so früh missbraucht wurde." Verhindern könne man Missbrauch nicht, aber Kinder zu stärken sei die wichtigste Prävention. "Wir müssen Kinder ermutigen, über ihre Gefühle zu sprechen, auch die komischen." Wichtig sei außerdem, sie kindgerecht schon früh mit Worten für Sexualität auszustatten. "Das darf kein Tabu sein. Kinder müssen wissen, was eine Scheide ist und was ein Penis ist", sagt die Beraterin. Ein Gefühl dafür, was in Ordnung ist und was nicht, entwickeln Kinder schon im Vorschulalter, sagt Riga Stüve.
Drei Beratungsstellen, die betroffenen Familien Hilfe anbieten, gibt es in Cuxhaven und im Landkreis. Die Erziehungsberatungsstelle des Paritätischen in der Reinekestraße, die Beratungsstelle des Landkreises in Bremerhaven und die Beratungsstelle in Otterndorf. Nähere Informationen und Kontaktdaten dazu gibt es unter