Marcel Suchomel lebt seit gut drei Jahren auf der Straße und seit Monaten an der B73, wo er Mülltonnen mit seinen Habseligkeiten neben sich herschiebt. Mit Schirm und Plane schützt er sich vor Regen - jetzt auf einem Parkplatz bei Nottensdorf. Foto: Richter
Marcel Suchomel lebt seit gut drei Jahren auf der Straße und seit Monaten an der B73, wo er Mülltonnen mit seinen Habseligkeiten neben sich herschiebt. Mit Schirm und Plane schützt er sich vor Regen - jetzt auf einem Parkplatz bei Nottensdorf. Foto: Richter
Gesellschaft

Lieber B-73-Parkplatz als Obdachlosenunterkunft

23.11.2019

KREIS STADE. Seit Monaten beobachten Buxtehuder einen Mann, der mit seiner Habe in drei Mülltonnen an der B73 unterwegs ist. Auch ein Brand in einer Obdachlosenunterkunft machte jüngst Schlagzeilen. Jetzt diskutieren Politiker über das Thema Obdachlose.

Wie berichtet, hatte der Mann an der B73 schon im Sommer die Aufmerksamkeit vieler Anwohner und Pendler auf sich gezogen: Marcel Suchomel schob drei schwer beladene Mülltonnen neben sich her, während er sich von Fischbek seit August an der B73 entlang täglich einige hundert Meter in Richtung Buxtehude bewegte. Anfang dieser Woche hat er das Buxtehuder Stadtgebiet hinter sich gelassen und auf einem Parkplatz an der B73 bei Nottensdorf sein Quartier aufgeschlagen.

Inzwischen ist es kalt geworden. Anders als im September steht Marcel Suchomel nicht mehr hinter seinen Tonnen und unterhält sich mit Passanten. Unter einer Plane verborgen und warm angezogen sitzt er meist auf einem Klappstuhl neben seinen Habseligkeiten und Tüten mit Leergut und Abfall. "An dieser Position geht es mir gut", sagt der 39-jährige, der auf Fragen offen, gewandt und mit einem einprägsamen Vokabular antwortet. Hinweise und Symbole spielen bei seinen Ausführungen eine wichtige Rolle und bestimmen auch seine Route. Wohin es ihn demnächst zieht, sagt er nicht. Aber vermutlich weiter die Straße entlang, darauf weise ihn die Neigung einer Birke am Straßenrand hin. Essen und Trinken bekommt Marcel Suchomel oft von Passanten, die ihm etwas bringen: "Gestern von einer Bäckerei namens Hase und Igel, kennen Sie die?"

Oft spielen Alkohol- und Drogenprobleme eine Rolle

Wie alle Kommunen stellt auch die Stadt Buxtehude für Obdachlose Notunterkünfte zur Verfügung - aber nur, wenn die Menschen selbst wünschen, dort untergebracht zu werden. Bei Marcel Suchomel ist das nicht der Fall, und der Buxtehuder Stadtverwaltung ist das bekannt. Gezwungen werde niemand, das sei rechtlich auch gar nicht zulässig, erklärt Holger Ullenboom von der Fachgruppe 50 "Soziales, Wohnen und Senioren", deren Mitarbeiter sich öfter mit ihm unterhalten habe. Auch eine Sozialpädagogin, die Obdachlose sozialpsychologisch betreut, habe mit ihm während seiner Durchreise drei Gespräche geführt.

Schwierig ist es auch, Wohnungen von Menschen zu räumen, die als Messies leben. Wie berichtet, ist es in einer Wohnung der Obdachlosenunterkunft an der Estetalstraße im September zu einem Brand gekommen. Nur weil zufällig ein Radfahrer vorbeikam und beherzt eingriff, konnte ein Bewohner aus der brennenden Wohnung befreit werden. Weil er durch das Einatmen von Rauch bereits geschwächt und der Bereich vor seiner Tür vollgemüllt war, hatte er diese nicht mehr aus eigener Kraft öffnen können.

Schon früher hatte es hin und wieder Rückfragen von Buxtehuder Bürgern nach dem Zustand der Unterkunft gegeben. Jetzt hat Michael Lemke, Fraktionsvorsitzender der Grünen, im Aussschuss für Soziales, Wohnen und Senioren nachgefragt, wie es um die Unterkunft in der Estetalstraße und ihre Bewohner stehe. Holger Ullenboom Antwort kam geradeheraus: "Sie fühlen sich dort wohl, auch, weil sie ihren Alkohol- und Drogenkonsum dort gut ausleben können."

Die Unterkunft liegt schräg gegenüber dem Heidebad, nicht direkt an der Estetalstraße, sondern nach hinten hinaus, wo sie an einen Radweg am Waldrand grenzt. Dieser Radweg soll im Rahmen des Radverkehrskonzepts Teil der sogenannten Grünachse werden, die Süden und Norden der Stadt bequem verbindet. Ob das eine glückliche Lösung ist, bezweifelte Michael Lemke: "Wenn ich ein kleines Mädchen wäre, würde ich mich unwohl fühlen, wenn ich da entlang müsste." Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt reagierte empört: "Das ist jetzt echt diskriminierend." Holger Ullenboom erklärte, dass die dort Untergebrachten nicht gefährlich seien, sondern bestimmte Probleme nicht in den Griff bekämen. "Das sind Menschen, die einfach Pech gehabt haben", merkte Benjamin Koch-Böhnke (Linke) dazu an, und fügte hinzu: "Die Zielsetzung sollte sein, Unterkünfte für sie zu schaffen." Lemke führte aus, dass er nicht falsch verstanden werden wolle: "Das Gebäude und das Drumherum sind nicht ansprechend. Ich finde, dass auch Obdachlose würdevoll untergebracht werden sollten und nicht irgendwo am äußersten Rande der Stadt."

Dem Stader Tageblatt gegenüber präzisierte Lemke später, dass der Zustand und die schmuddelige Optik der Unterkünfte nicht angemessen und würdevoll sei. Er bezweifle, dass sich das Problem mit einer Renovierung lösen ließe und plädiert für eine neue Lösung: "Wir sollten diese Menschen nicht an den Rand drängen, sondern eine gewollte gesellschaftliche Integration auch dadurch zeigen, dass wir sie zentral unterbringen, mitten in der Stadt."

Ein Minimum an Privatsphäre ist wichtig

In Buxtehude stehen für die Unterbringung in Wohnungsnot geratener Personen, zu denen Alleinstehende, Familien und Flüchtlinge gezählt werden, 93 Wohnungen und sechs Häuser, sieben Reihenhäuser, zwei Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber, sechs Obdachlosenzimmer am Estetal und eine Gemeinschaftsunterkunft mit 20 Plätzen zur Verfügung.

Die Obdachlosenunterkunft am Schützenhofweg wurde 2019 im Zuge des geplanten Neubaubaugebiets aufgegeben, 20 Plätze wurden in einem ehemals als Flüchtlingsunterkunft genutzten Gebäude in der Bebelstraße geschaffen. Insgesamt steht im Produkt "Hilfe bei Wohnproblemen" bislang ein Defizit von rund 280.000 Euro im Haushaltsentwurf 2020.

Wenn die Anzahl der Asylbewerber-Zuweisungen so bleibt wie 2019, werden die Unterbringungskapazitäten 2020 wohl ausreichen, sagte Holger Ullenboom. Wie er auf Tageblatt-Nachfrage erläutert, fahren Mitarbeiter der Stadt täglich alle Unterkünfte ab, die Sozialpädagogin suche regelmäßig das Gespräch mit den Bewohnern. Aus Ullenbooms Sicht sind die Zimmer im Estetal wesentlich besser geeignet für Obdachlose geeignet als die in der Bebelstraße. Denn in der Bebelstraße müssen sie Bad und Küche teilen, in der Estetalstraße nicht. Für dauerhaft dort Lebende sei diese Privatsphäre wichtig.

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