Zieht eine Corona-Infektion Long-Covid-Symptome nach sich, brauchen die Betroffenen viel Geduld und häufig professionelle Hilfe. Zusätzliche Kraft kann dabei der Austausch in einer Gruppe geben. Foto: dpa/Friso Gentsch
Zieht eine Corona-Infektion Long-Covid-Symptome nach sich, brauchen die Betroffenen viel Geduld und häufig professionelle Hilfe. Zusätzliche Kraft kann dabei der Austausch in einer Gruppe geben. Foto: dpa/Friso Gentsch
Das lange Erbe der Corona-Infektion

Long-Covid-Betroffene in Cuxhaven: "Anderen geht es auch so - ich spinne doch nicht"

von Maren Reese-Winne | 06.03.2022

CUXHAVEN/BELUM. Wie kann ein Mann nach einem solchen Höllenritt Mutmacher für andere sein? Uwe Brandt kann das. Vor einem Jahr noch im Koma, sitzt er heut sogar wieder in seinem Bagger.   

Als Uwe Brandt im Dezember 2020 während eines Reha-Aufenthalts in Bad Wildungen von aufgeregten Schwestern in sein Zimmer geschickt wurde, ahnte er noch nicht, dass er bald darauf auf der Intensivstation mit einem Luftröhrenschnitt um sein Leben kämpfen würde. Impfungen standen der Bevölkerung im Herbst 2020 noch nicht zur Verfügung, und die Covid-19-Erkrankung traf Uwe Brandt mit voller Wucht. Und doch ist er heute einer der Mutmacher in der Long-Covid-Selbsthilfegruppe, die sich einmal im Monat in Cuxhaven trifft. "Ein ganz wichtiger Mann", sagt der Sprecher der Gruppe Wilfried Strege.

Manchmal schlägt Long Covid zu

Die Erkenntnis, dass für viele Betroffene die Krankheit nach der akuten Infektion nicht vorbei ist - auch, wenn diese gar nicht so schlimm war -, stellte sich bald nach Beginn der Pandemie heraus. "Heute dürften die meisten, auch die Hausärzte, von Long Covid gehört haben", so Wilfried Strege.

Dennoch dauere es, bis sich im Gesundheits- und Sozialsystem das Bewusstsein für ein solch neues Krankheitsbild durchsetze, wirkungsvolle Therapien entwickelt und erst recht Kapazitäten hierfür geschaffen würden. Quasi in Echtzeit begleitet die Selbsthilfegruppe für Covid-19-Patienten mit Spätfolgen diese Entwicklung. Die Intention bringen die Mitwirkenden auf den Punkt: "Den anderen geht es also auch so, dann spinne ich doch nicht."

Tipps gibt es immer

So unterschiedlich die Krankheitsverläufe und deren Folgen auch sind - von dem Austausch über persönliche Fortschritte, Ärzte, Reha-Einrichtungen, rechtliche Fragen und positive Alltagsstrategien gegen die Spätfolgen können alle etwas mitnehmen.

Bei Wilfried Strege, der selbst Arzt und Psychotherapeut ist, waren es eine bislang ungekannte Atemnot und ein Lungenbefund, die er sich nicht anders erklären konnte als durch eine vorherige Corona-Infektion. Er stellte fest, dass die Medizin damit überfordert war. Vom Wert der Selbsthilfe überzeugt, wurde er gern Sprecher der Gruppe, der bislang zwei sehr schwer, vor allem aber diverse leicht erkrankte Betroffene angehören. "Wir würden uns sehr freuen, wenn noch einige mehr den Weg zu uns finden würden", sagt Wilfried Strege.

So wie die Betroffene, die jetzt das erste Mal dabei war: Zu einer Zeit infiziert, als noch keine Impfungen zur Verfügung standen, hatte sie zunächst einen recht milden Verlauf. Nun aber komme sie nicht mehr auf die Füße, berichtet sie: Mit ihrer Beschreibung von Herzrasen bei kleinster Belastung und einer bleiernen Müdigkeit (fachlich "Fatigue") stellt sie geradezu ein Musterbeispiel für die Beschreibung des Long-Covid-Syndroms dar.

Alles nur psycho?

Auch das Herz hat etwas abbekommen. In einer Reha habe man ihr und anderen bedeutet, dass sie sich vor allem selbst im Weg stünden, sodass sie sich nun in der "Psycho-Schiene" gefangen fühle - abgetan nach "Schema F".

"Diese schnelle Erschöpfung, Müdigkeit und Probleme in den Beinen beim Laufen kennen wir alle, damit bist du nicht allein", wirft Uwe Brandt ein. Die Geduld des 61-Jährigen aus Belum ist in den vergangenen zwei Jahren auf eine arge Probe gestellt worden. Jeder Erfolg dauert. "Man muss selbst daran arbeiten", hat er erkannt, "aber der Austausch baut dabei auf. Diese Gruppe hat mir ein ganz neues Selbstbewusstsein gegeben."

Andenken aus dem Bad?

Die Reha, in der sich der Belumer im Dezember 2020 befand, sollte eigentlich seiner Schulter zugutekommen. Als Ort der Ansteckung hat er das Klinik-Schwimmbad in Verdacht. Jedenfalls entpuppte sich die anfangs vermutete Blinddarmentzündung im örtlichen Krankenhaus als Corona-Infektion. "Hol mich bloß hier raus", bat Uwe Brandt seine Frau. Den Transport nach Cuxhaven mussten sie auch noch selbst bezahlen.

Im Cuxhavener Krankenhaus wurde die Brisanz seiner bald auftretenden Atemnot schnell erkannt. Es folgten die Verlegung nach Oldenburg und ein Höllenritt mit einem großen schwarzen Erinnerungsloch von Weihnachten 2020 bis Anfang Februar 2021, in dem der Familienvater Koma, virtuelle Träume, Wiederbelebungen, Thrombosen und Multiorganversagen mitmachte. "Am 7. Februar konnte ich das erste Mal wieder denken", erinnert er sich.

Selbst Atmen neu gelernt

Eine Woche später ging es für fünf Wochen in eine "Vor-Reha" in Großhansdorf, in der er alles neu lernen musste, selbst das Atmen. Beim Laufen fiel es ihm schwer, selbst seinen auf 55 Kilo abgemagerten Körper voranzubringen. Nach vier Wochen Reha, die sich dann noch in Bad Salzuflen anschloss, zog es ihn dann aber mit Macht nach Hause.

Der Humor, der auch jetzt - trotz allem - aus ihm hervorsprüht, hat ihm neben dem Rückhalt der Familie ganz wesentlich durch diese Zeit geholfen. Inzwischen hat er sich sogar in seinen Beruf als Baggerfahrer zurückgekämpft und freut sich, dass sein Rat bei der Arbeit noch gefragt ist: "Das ist auch wichtig für den Kopf." Kein Verständnis hat er für Corona-Leugner: "Meine Familie und mein Umfeld haben jedenfalls ganz klar festgestellt, dass es Corona gibt." Großen Respekt zollt er all den Beschäftigten des Gesundheitswesens, die ihn und seine Mitpatienten gepflegt und wieder aufgemöbelt hätten. Wortfindungsstörungen, Probleme mit der Lunge und den Beinen begleiten ihn weiterhin, entmutigen lässt er sich hierdurch nicht. Wilfried Strege, ein guter Zuhörer, der immer wieder auf zuvor geäußerte Details eingeht, macht Mut: "Corona befällt die Gefäße und durch die Verengungen können alle Organe befallen werden, das weiß man."

Perspektive auf Besserung

Ein Medikament, das diese Folgen auf einen Schlag beseitige, gebe es nicht, wohl aber Hinweise darauf, dass es sich um vorübergehend chronische Beschwerden handle - mit der Perspektive darauf, dass diese nach Monaten bis Jahren wieder verschwinden können. Er macht Mut dazu, in eine ganzheitliche Herangehensweise auch die Psychotherapie mit einzubeziehen.

Auf einen Blick

Die Gruppe trifft sich immer am zweiten Montag im Monat (neuer Wochentag) um 19 Uhr im Jugendcafé Stellwerk in der Bahnhofstraße 26 in Cuxhaven (gegenüber vom Bahnhof); das nächste Mal am 11. April.

Der Kontakt erfolgt über Sabine Tscharntke von der Selbsthilfeberatungsstelle KIBIS im Paritätischen Cuxhaven, Telefon (0 47 21) 57 93 32 (bitte beim ersten Mal anmelden).

Angesprochen sind Interessierte aus dem gesamten Landkreis und darüber hinaus, auch Bremerhaven.

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

mreese-winne@no-spamcuxonline.de

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