Das DLR-Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen in Bremerhaven wird auch bei der nächsten Expedition dabei sein. Bei der letzten im September 2021 konnten die Mitarbeiter mit ihrem autonomen Unterwasserfahrzeug "Seekatze" und einer Tauchdrohne wichtige Aufnahmen machen, wie hier vom Sperrbrecher "Friesland" aus dem Zweiten Weltkrieg. Foto: DLR
Das DLR-Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen in Bremerhaven wird auch bei der nächsten Expedition dabei sein. Bei der letzten im September 2021 konnten die Mitarbeiter mit ihrem autonomen Unterwasserfahrzeug "Seekatze" und einer Tauchdrohne wichtige Aufnahmen machen, wie hier vom Sperrbrecher "Friesland" aus dem Zweiten Weltkrieg. Foto: DLR
Belastete Nordsee?

Macht Munition die Fische krank? Bremerhavener Forscher will es herausfinden

08.04.2022

BREMERHAVEN. Forscher haben im Wasser von Kriegsschiffwracks in der Nordsee Explosivstoffe nachweisen können. Eine Expedition ab Bremerhaven soll weitere Erkenntnisse bringen.

Dr. Matthias Brenner vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven packt wieder Expeditionskisten. Er arbeitet im europäischen Forschungsprojekt "North Sea Wrecks" mit und untersucht, ob verrottete Munition von in der Nordsee gesunkenen Kriegsschiffen das Meer belastet. Im Wasser haben die Projektpartner bereits erhöhte Konzentrationen unter anderem von TNT festgestellt. Jetzt wollen der Meeresbiologe und seine Kollegen genauer untersuchen, ob die austretenden Giftstoffe Fische krank machen.

In der Kolberger Heide in der Kieler Bucht wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten viele tausend Tonnen Munition versenkt, darunter Seeminen, Bomben und Torpedos: aus den Augen, aus dem Sinn. Doch unter Wasser beginnen die Munitionskörper zu rosten, Sprengstoffe und Kampfmittel werden ins Meer freigesetzt. Für dieses Verklappungsgebiet wurde bereits nachgewiesen, dass sie Fische schädigen und zum Beispiel zu Leberkrebs führen können.

Ganz anderer Verdünnungseffekt

Doch die Ostsee sei ein ganz anderes Meer als die Nordsee, mit einem ganz anderen Verdünnungseffekt, sagt Brenner. Deshalb wollen sie am 8. April mit dem Forschungsschiff "Heincke" noch mal an "ihren" Wracks gezielt fischen.

Bei ihren bisherigen Expeditionen in die Nordsee haben sie unter anderem die "Mainz" angefahren, einen Marinekreuzer, der 1914 im Ersten Weltkrieg von britischen Kriegsschiffen draußen vor Borkum versenkt wurde, dazu die "Ariadne", die ebenfalls in der Seeschlacht um Helgoland unterging. An beiden Wracks haben die Wissenschaftler erhöhte Werte für Explosivstoffe im Wasser festgestellt: für TNT und für seine ebenso giftigen Umbauprodukte. Wie in ihren Muschelproben fanden sie auch in Fischen erhöhte Konzentrationen mit den krebserregenden Substanzen, dazu eine leicht erhöhte Anzahl an Lebererkrankungen. Bei der "Ariadne" waren die Werte höher als bei der "Mainz"; die "Ariadne" hat vermutlich noch Torpedos an Bord. Der Marinekreuzer liegt kieloben und hat ein Loch im Bug, zeigen Unterwasser-Aufnahmen, die die Wissenschaftler mitgebracht haben. Die Hinterlassenschaften aus den beiden Kriegen sind tickende Zeitbomben, doch Grenzwerte für die Explosivstoffe gibt es derzeit nicht.

Plattfisch wird untersucht

"Im Fokus dieser Fahrt stehen vor allem Fische", beschreibt Brenner das Programm der nächsten Woche. Wenn die "Heincke" zum Fischen stoppt, dann ist ihre Zielart die Kliesche: ein Plattfisch, der am Meeresboden lebt, als recht ortstreu gilt und sich deshalb über längere Zeit der schleichenden Gefahr aussetzt. Die "Mainz" und die "Ariadne" gehören wieder mit zu den Wracks, die angesteuert werden sollen. Neu ist das Vorpostenboot V187 nördlich von Helgoland, für die die Projektpartner vom Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven Daten zusammengetragen haben. Das DSM koordiniert "North Sea Wrecks". Wenn alles gut läuft, fahren sie vielleicht noch zu den dänischen Kollegen von der Universität Aarhus. Sie untersuchen die "UC 30", einen deutschen Minenleger, gesunken vor Esbjerg und randvoll mit Seeminen.

Bis Sommer 2023 läuft das Wrackprojekt noch, eine Wanderausstellung dazu ist inzwischen auf Reisen. Das AWI ist zudem an dem neuen Projekt "Conmar" beteiligt, das die Deutsche Allianz Meeresforschung aufgelegt hat und vom Bundesforschungsministerium gefördert wird. Die Projektpartner dort sollen konkrete Lösungen für die Überwachung, Bergung und Entsorgung von Munitionsaltlasten in der Ost- und Nordsee erarbeiten. Von Zeit zu Zeit wird zwar geräumt, zum Beispiel wegen des Baus eines Offshore-Windparks. Doch ein systematisches Räumprogramm für Munitionsaltlasten am Meeresgrund gibt es in Deutschland noch nicht. Auch Länder wie die Niederlande und Belgien haben Probleme mit Munitionsaltlasten vor ihren Küsten. Mit der neuen Bundesregierung kommt allerdings Bewegung in das Thema. "Für die Bergung und Vernichtung von Munitionsaltlasten in der Nord- und Ostsee wird ein Sofortprogramm aufgelegt sowie ein Bund-Länder-Fonds für die mittel- und langfristige Bergung eingerichtet und solide finanziert", hat sie zumindest in den Koalitionsvertrag geschrieben.

"Wir wollen außerdem ein neues Projekt für die Nordsee beantragen, in dem es um die größeren Verklappungsgebiete geht", berichtet Brenner. Denn wie in der Kolberger Heide in der Ostsee wurde auch in der Nordsee im Bereich Hooksiel Plate am Eingang der Jade und nördlich der Insel Spiekeroog Munition versenkt. Nach Schätzungen sollen es in den beiden Gebieten zusammen bis zu 1,5 Millionen Tonnen sein.

Das Projekt

Das von der EU geförderte Projekt "North Sea Wrecks" wird vom Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven koordiniert. Es verfügt über ein Budget von über vier Millionen Euro und erstreckt sich über vier Jahre. Rund 30 europäische Partner sind beteiligt.

Das DSM hat eine Wanderausstellung über die militärischen Wracks und ihre gefährliche Ladung entwickelt. Das DLR-Institut für den Schutz maritimer Infrastrukturen in Bremerhaven unterstützt die Forscher bei der Untersuchung der Wracks mit einem Tauchroboter und einer Video-Drohne für Unterwasser.

Von Ursel Kikker

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