Die 76-jährige Wally Sch. wurde Ende August des Jahres 1971 brutal erschlagen. Foto: red
Die 76-jährige Wally Sch. wurde Ende August des Jahres 1971 brutal erschlagen. Foto: red
Brutal erschlagen

Mord an Wally S. in Cuxhaven: Mörder kam zum Kaffeekränzchen vorbei

von Ulrich Rohde | 21.08.2019

CUXHAVEN. Knapp 50 Jahre ist der Mord an Wally Sch. her. Die 76-Jährige wurde in Cuxhaven brutal erschlagen. Auch fünf Jahrzehnte danach gibt der Fall noch Rätsel auf.

Die Kinder, die vor rund 50 Jahren verbotenerweise im Fort Kugelbake in Cuxhaven spielten, nannten sie "Oma Gammelgroschen". Vielleicht, weil sie sich als Putzfrau durchschlug, gleich nebenan in einem Haus des Selbsthilfevereins "Künstlergilde Esslingen", das damals auf dem Gelände des heutigen Messeplatzes in Döse stand. Wally Sch. hatte ein bewegtes Leben hinter sich, jenseits bürgerlicher Konventionen. Sie war in jungen Jahren Varieté-Tänzerin und hatte zahllose Auftritte im In- und Ausland. Nun, mit 76 Jahren, lebte sie allein in einem Haus hinter dem Seedeich in der Nähe des Kurparks. Und hier fand sie Ende August des Jahres 1971 ein Polizeibeamter, blutüberströmt, tot auf dem Boden ihres Schlafzimmers liegend. Sie war "bestialisch erschlagen" worden, wie die Cuxhavener Presse am 31. August titelte. Und schon bald kam die Polizei zu dem Schluss: Es war Mord, eine Tat, die bis zum heutigen Tag nicht aufgeklärt worden ist. Der Mörder von Wally Sch. könnte immer noch frei herumlaufen.

Einsames Haus im Wald

Das einsame Haus in dem kleinen Wäldchen hinterm Deich hatte eine Ausstrahlung wie Norman Bates Motel in Hitchcocks Thriller "Psycho". Bis zum Ende der 1960er-Jahre wohnten hier Familien. Wally Sch. war als letzte Bewohnerin des Gebäudes im Besitz der Bundesvermögensstelle übrig geblieben. Zwei Jahre vor ihrem gewaltsamen Tod hatten zwei Einbrecher versucht, in das Haus einzudringen. Aber sie machten einen derartigen Lärm, dass Wally Sch. aufwachte. Furchtlos trat sie den Eindringlingen entgegen und schlug sie in die Flucht. Nach dem Einbruch sagte sie zu einem Bekannten: "Ich nehme jetzt immer ein Beil mit ins Bett." Doch ihrem Mörder hatte sie nichts entgegenzusetzen.

18 Jahre Tänzerin

Wally Sch. war gutbürgerlich in Hamburg aufgewachsen. Schon mit 15 Jahren verließ sie ihr Elternhaus, um als Tänzerin aufzutreten. 18 Jahre lang war sie auf Bühnen in Deutschland, Russland, Finnland und Schweden zu Hause. "Als dann der Striptease in Mode kam, hörte ich auf mit dem Tanzen", erzählte sie vor ihrem Tod in einem Gespräch mit der Cuxhavener Presse. Sie heiratete, bekam eine Tochter, wurde Hausfrau. Von ihrem Mann lebte sie geschieden.

Wer konnte ein Interesse daran haben, Wally Sch. umzubringen? Sie galt als liebenswerte alte Dame, hortete keine Reichtümer. Und doch muss es ein Motiv für den offenbar geplanten, brutalen Mord gegeben haben.

Grausiger Fund

Am Montag, 30. August, machte ein Beamter der Cuxhavener Schutzpolizei den grausigen Fund. Die Leiche von Wally Sch. lag mit eingeschlagenem Schädel, halb entkleidet auf dem Boden vor ihrem Bett. Der Fußboden im karg eingerichteten Schlafzimmer war blutverschmiert. Neben der Toten lag ihre Brille. Dass die Leiche überhaupt entdeckt wurde, war Huberta Mraz zu verdanken. Die 70-Jährige hatte ihre Badesachen in dem Haus abgelegt. Als sie sie wieder abholen wollte, bemerkte sie, dass die Türen verschlossen waren. Das machte sie stutzig. Außerdem hatte sie die 76-jährige Seniorin schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Das meldete sie der Polizei.

"altes Teufel muss tod sein"

Bei der Untersuchung des Tatortes durch die Kriminalpolizei und das Fahndungskommando aus Stade fanden die Ermittler auf einem Tischchen eine aufgeschlagene Ausgabe der Cuxhavener Presse und darauf einen Zettel. Auf dem linierten Papier stand in krakeliger, ungelenker Kugelschreiber-Schrift "altes Teufel muss tod sein" und "alle Teufel muss sterben!!!!" War der Täter ein Geisteskranker, ein Irrer? Oder wollte er nur eine falsche Spur legen? Ein grafologisches Gutachten kam später zu dem Ergebnis: Bei dem Täter musste es sich um einen Mann handeln, der Deutscher und nicht älter als 35 Jahre alt war. Er war Rechtshänder. Als er die Worte kritzelte, war er nüchtern. Die Tat sei nicht im Affekt geschehen. Die Schriftzüge deuteten darauf hin, dass er sein Verbrechen geplant haben musste. Und: Die Schrift müsse von einem "sozial einfach gestellten Handarbeiter" mit geringer Bildung stammen.

Keine Chance

Wally Sch. hat sich gegen den Angreifer gewehrt. Sie hatte auch versucht, das Blut, das aus ihren Kopfwunden auf ihre Brillengläser getropft war, abzuwischen, um besser sehen zu können. Ihr Mörder ließ ihr aber keine Chance. Er schlug so lange auf sie ein, bis sie leblos zu Boden sank. Das Tatwerkzeug nahm er mit.

Hatte Wally Sch. ihren Mörder gekannt, hatte sie ihn sogar selbst in ihre Wohnung eingeladen? Die Polizei entdeckte eine zertrümmerte Scheibe am Kellerfenster, die jedoch von innen eingedrückt worden war. Vermutlich floh der Täter durch das Fenster nach draußen oder er schlug das Fenster ein, um den Tatverdacht von sich abzulenken. In der Küche fanden die Beamten zwei benutzte Tassen mit kaltem Kaffeesatz, einen vollen Aschenbecher und eine große Schachtel mit Pralinen, "Trumpf Wappenklasse". Hatte sich der Unbekannte mit den Pralinen bei der 76-Jährigen eingeschlichen? Hatten sie gemeinsam Pralinen genascht und ungefilterten Bohnenkaffee getrunken?

Was war das Motiv?

Ein Mord aus Habgier war es jedenfalls nicht, dem Wally Sch. zum Opfer fiel. Der Täter ließ ihr Sparbuch und kleinere Wertgegenstände unberührt. Auch ein Sexualverbrechen konnte von der Polizei so gut wie ausgeschlossen werden. Der Mörder hatte zwar sein mit einem Nachthemd bekleidetes Opfer ausgezogen, dennoch fanden sich keine eindeutigen Hinweise auf eine Sexualtat. Es wurden keine Spermaspuren gefunden. Offenbar hatte der Mörder auch hier versucht, die Polizei in die Irre zu führen und einen Mord zur Verschleierung einer Vergewaltigung vorgetäuscht.

Hass oder Rache?

Was übrig bleibt, sind zwei mögliche Motive: Hass und Rache. Und das deutet darauf hin, dass sich Wally Sch. und ihr Mörder gekannt haben. Doch ist der Polizei bis heute kein entscheidender Fortschritt gelungen, auch nur einen Verdächtigen aus ihrem damaligen Umfeld mit der Tat in Verbindung zu bringen. Wer hatte ein Motiv, wer hatte eine Gelegenheit? Fragen, die bis heute unbeantwortet geblieben sind. War der Unbekannte tatsächlich der simpel gestrickte Hilfsarbeiter mit Rechtschreibschwäche, als den ihn das grafologische Gutachten darstellte? Zweifel sind durchaus angebracht. Oder diente der bekritzelte Zettel mit der schaurigen Botschaft "altes Teufel muss tod sein" ebenfalls nur dazu, eine falsche Fährte zu legen? Angesichts der entsetzlich brutalen Tatumstände muss der Mörder äußerst kaltblütig vorgegangen sein. In aller Ruhe und Abgebrühtheit täuschte er sowohl einen Einbruch, als auch einen Sexualmord vor. Offenbar hatte er noch kurz vor der Tat gemütlich Kaffee mit Wally Sch. getrunken und sie in Sicherheit gewiegt. Das spricht für ein lange geplantes Verbrechen, das ohne jedes Mitleid mit dem Opfer ausgeführt worden ist.

Fast 50 Jahre danach ist vieles nur noch Spekulation. Die Ermittler hatten damals längst nicht die Möglichkeiten ihrer heutigen Kollegen. Fest steht nur eins: Mord verjährt nicht. Und der Mörder von Wally Sch. könnte immer noch unter uns sein.

"Neu aufgerollt":

Im Landkreis Cuxhaven gibt es zahlreiche Kriminalfälle, die auch nach jahrelangen Ermittlungen immer noch Rätsel aufgeben. Es sind ebenso schreckliche wie aufsehenerregende Fälle, mit denen sich die Ermittler in der Region befasst haben. Einige sind inzwischen geklärt, bei anderen tappt die Polizei nach wie vor im Dunkeln. Vielen sind die unfassbaren Taten noch in Erinnerung. In der CN/NEZ-Serie "Neu aufgerollt" wollen wir an diese spektakulären Kriminalfälle erinnern.

Bisher erschienen: "Das Rätsel der verschwundenen Mädchen" Angelika Kielmann und Anke Streckenbach vor 40 Jahren (26. Juni).

"Auf den Spuren von Swantjes Mörder", der fast 30 Jahre nach dem Mord an Swantje S. in Neuenkirchen gefasst werden konnte (10. Juli).

"Brutale Gewalttat verstörte die Cuxhavener Fischbranche" über den Doppelmord an einem Cuxhavener Ehepaar im Neuen Fischereihafen 1986 (24. Juli).

"Zehn Jahre später: Von Nancy Köhn fehlt weiterhin jede Spur" über das rätselhafte Verschwinden einer damals 26-Jährigen aus Hechthausen im Jahr 2009 (7. August).

Von Eberhard Wendt und Ulrich Rohde

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Ulrich Rohde

Redaktionsleiter
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