
Morde im Kreis Cuxhaven: Steckt ein Serientäter dahinter?
KREIS CUXHAVEN. Bis heute wird vergeblich nach dem Mörder von Jutta Schneefuß, Irene Warnke und weiterer junger Frauen aus dem Elbe-Weser-Raum gesucht.
Jutta Schneefuß war 23 Jahre alt, als sie verschwand. Sie lebte in Loxstedt und hatte eine Tochter. Am 13. Juni 1986 trampte sie an der Bundesstraße 6 von Stotel nach Bremerhaven. Seitdem fehlt von ihr jede Spur. Wurde sie entführt, ermordet? Ist sie, was wenig wahrscheinlich ist, noch am Leben? Es ist nicht einmal klar, ob sie Opfer eines Verbrechens wurde. Es gibt so gut wie keine Hinweise darauf, was mit Jutta Schneefuß geschehen ist.
Etwas mehr als zwei Monate später, am 24. August 1986, ging die 19-jährige Abiturientin Irene Warnke aus Ringstedt zu Fuß auf einem abgelegenen Feldweg nach Bederkesa zur Diskothek "Momo". Sie kehrte nicht nach Hause zurück. Am 1. September wurde die junge Frau tot aufgefunden. Bei einer großen Suchaktion wurde sie bei der Landesstraße 120 hinter einer Böschung in einem Wassergraben in der Nähe einer Brücke über den Bederkesa-Geeste-Kanal bei Lintig gefunden.
Nach der Obduktion der Leiche stand fest: Irene Warnke fiel einem Gewaltverbrechen zum Opfer. Der Täter schlug ihr mit einem stumpfen Gegenstand, wahrscheinlich einem Knüppel, auf den Hinterkopf. Möglicherweise hatte die 19-Jährige noch versucht zu flüchten. Doch nicht der Schlag führte zu ihrem Tod. Sie stürzte - vermutlich bewusstlos - in den Graben, wo sie zwischen Schlamm und Entengrütze ertrank. Es ist aber auch möglich, dass der Täter sie in den Graben geschleift hat.
Der gerichtsärztliche Dienst der Gesundheitsbehörde Hamburg schloss nach der Obduktion ein Sexualdelikt aus. Auch Raub kam nicht in Frage, weil die Ringstedterin so gut wie nie eine Handtasche bei sich getragen hatte, wie der Leiter der 14-köpfigen Sonderkommission, der Stader Kriminalpolizist Fritz John, damals erklärte. Bei der Toten war zudem Geld gefunden worden. Befragungen im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis hatten zudem ergeben, dass auch ein Rache- oder Eifersuchtsmotiv für die Tat so gut wie ausgeschlossen werden konnte. Denn anscheinend hatte Irene Warnke keine Feinde.
Die Beamten tappten bei der Tätersuche im Dunkeln. Noch während Irene Warnke als vermisst galt, hatte sich ein Zeuge gemeldet, der an einem frühen Sonntagmorgen ein Mädchen allein auf der Rückbank in einem geparkten grasgrünen Auto mit Cuxhavener Kennzeichen bei Köhlen gesehen haben wollte. Das Auto mit größerem Stufenheck soll einen breiten roten Streifen an den Fahrzeugseiten und auf der Motor- und der Kofferraumhaube gehabt haben.
Ein anderer Zeuge hatte an einem Sonntagabend beobachtet, dass in der Nähe von Roes‘ Gasthof in Lintig ein roter, viertüriger Opel Rekord stand, der aus Richtung Moorausmoor gekommen sein musste. Aus der geöffneten hinteren Wagentür ragte ein Fuß heraus. Der Zeuge berichtete, dass er aus dem Auto eine Mädchenstimme hörte, die "Lasst mich raus! Lasst mich raus!" rief. Dann sei die Tür von innen zugeschlagen worden.
Eine heiße Spur ergab sich aus diesen Hinweisen für die Ermittler jedoch nicht. Zwar hatten mehrere Zeugen einen roten Opel gesehen, aber die Beobachtungen waren nicht deckungsgleich. Federführend bei der Suche nach der Vermissten war die Kriminalpolizei unter der Leitung von Eckhard Neupert in Schiffdorf. Hier gingen fast pausenlos Hinweise ein. Mehr als 80 wurden weiterverfolgt. Darunter waren allerdings auch einige sonderbare. So hatten offenbar mehrere "Hellseher" angerufen, die vom Verschwinden der 19-Jährigen geträumt haben wollen.
Nach dem Auffinden der Leiche Irene Warnkes meldete sich ein weiterer Zeuge, der in der fraglichen Nacht ihres Todes einen Mopedfahrer auf der Strecke zwischen Bederkesa und Lintig gesehen hatte, der womöglich in dem Fall eine Rolle gespielt haben könnte. Die Frage, die sich aufdrängte, lautete: War hier ein Serientäter am Werk? Für den damaligen Schiffdorfer Kripochef Neupert liegt es auf der Hand, dass Irene Warnke und Jutta Schneefuß Opfer desselben Täters geworden sind. Er ist bis heute fest davon überzeugt, dass der Täter für eine ganze Reihe Verbrechen verantwortlich ist, die sogenannten "Disco-Morde". Bewiesen ist das nicht. Die Morde begannen mit der 16-jährigen Anja Beggers aus Midlum. Sie verschwand in Bremerhaven am 7. Oktober 1977 nach einem Disco-Besuch. Es folgte die 18-jährige Angelika Kielmann aus Cuxhaven, die seit einem Kneipenbesuch am 7. Juni 1978 vermisst wird. Die Cuxhavenerin Anke Streckenbach (19) ist seit einem Kneipenbesuch am 16. Mai 1979 verschwunden. Weitere, ähnlich gelagerte Fälle im gesamten Elbe-Weser-Raum folgten.
Erst 1987 endete diese Serie bis heute unaufgeklärter Verbrechen an jungen Frauen. Am 23. August 1987 wurde die 16-jährige Sonja Ady aus Ostendorf auf einem Feldweg bei Bevern tot aufgefunden. Sie lag nackt auf dem Boden, die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden, die Füße mit einer Wäscheleine an die Hände gefesselt. Ihr Körper war mit Einstichen übersäht, 60 zählte später der Gerichtsmediziner. Sonja Ady hatte zuvor die Diskothek "Ta-Töff" verlassen. 2011, Jahrzehnte nach der Tat, wurde Michael B. von dem Vorwurf freigesprochen, Sonja Ady erstochen zu haben. Er war nach einem DNA-Vergleich ins Visier geraten, hatte aber mit ihrem Tod nichts zu tun. Es könnte also nach wie vor ein Serienmörder frei herumlaufen.
"Neu aufgerollt":
Im Landkreis Cuxhaven gibt es zahlreiche Kriminalfälle, die auch nach jahrelangen Ermittlungen immer noch Rätsel aufgeben. Es sind ebenso schreckliche wie aufsehenerregende Fälle, mit denen sich die Ermittler in der Region befasst haben. Einige sind inzwischen geklärt, bei anderen tappt die Polizei nach wie vor im Dunkeln. Vielen sind die unfassbaren Taten noch in Erinnerung. In der CN/NEZ-Serie "Neu aufgerollt" wollen wir an diese spektakulären Kriminalfälle erinnern.
Bisher erschienen: "Das Rätsel der verschwundenen Mädchen" Angelika Kielmann und Anke Streckenbach vor 40 Jahren (26. Juni).
"Auf den Spuren von Swantjes Mörder", der fast 30 Jahre nach dem Mord an Swantje S. in Neuenkirchen gefasst werden konnte (10. Juli).
"Brutale Gewalttat verstörte die Cuxhavener Fischbranche" über den Doppelmord an einem Cuxhavener Ehepaar im Neuen Fischereihafen 1986 (24. Juli).
"Zehn Jahre später: Von Nancy Köhn fehlt weiterhin jede Spur" über das rätselhafte Verschwinden einer damals 26-Jährigen aus Hechthausen im Jahr 2009 (7. August).
"Der Mörder von Wally Sch. kam zum Kaffeekränzchen vorbei" über den bis heute unaufgeklärten Mord an der 76-jährigen Wally Sch. in Cuxhaven-Döse (21. August).
"Nicht ermittelte Täter sind eine lebenslange Belastung", ein Interview mit dem Otterndorfer Psychologen Prof. Dr. Lothar Wittmann (4. September)
Alle Teile dieser Serie können unter dem Themenspecial "Cold Case: Alte Mordfälle neu aufgerollt" auch auf dem Internetportal www.cnv-medien.de abgerufen werden.