Blick vom Neuenfelder Fährdeich auf das Gelände der Pellas-Sietas-Werft. Viele Mitarbeiter werden bald in Kurzarbeit gehen müssen. Foto: Beneke
Blick vom Neuenfelder Fährdeich auf das Gelände der Pellas-Sietas-Werft. Viele Mitarbeiter werden bald in Kurzarbeit gehen müssen. Foto: Beneke
Jetzt juristische Schritte

Pella Sietas verliert Ausschreibung: Hamburger Werft bangt um Existenz

09.01.2021

NEUENFELDE. Pella Sietas, Deutschlands älteste Werft, geht nach einer verlorenen Ausschreibung juristisch gegen Hadag vor. Die Belegschaft ist fassungslos.

Die Pella-Sietas-Werft hat eine Ausschreibung der Reederei Hadag über den Bau von drei Fähren mit einem innovativen Elektro-Hybrid-Antrieb, der auf einen späteren Betrieb mit Wasserstoff vorbereitet ist, verloren. Geschäftsführerin Natallia Dean zweifelt das Vergabeverfahren an und leitet juristische Schritte ein.

"Wir sehen uns im Recht", betont die Werft-Chefin. Die Hadag ist ein Tochterunternehmen der Hamburger Hochbahn. Diese befindet sich wiederum über die Hamburger Gesellschaft für Vermögens- und Beteiligungsmanagement vollständig im Eigentum der Freien und Hansestadt Hamburg. Deshalb hat sich Dean bei der Hamburger Wirtschaftsbehörde beschwert. Wirtschaftsstaatsrat Andreas Riekhof (SPD) erklärte daraufhin, er sei nicht zuständig. In das Verfahren seien weder die Wirtschaftsbehörde noch die Hafenbehörde involviert gewesen.

Politiker reagieren nicht

Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) und Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), an die das Schreiben aus Neuenfelde ebenfalls ging, reagierten bisher gar nicht. Auch auf Nachfrage erklärte sich die Wirtschaftsbehörde für nicht zuständig, verwies ans Verkehrsressort. Die Verkehrsbehörde teilt auf eine Anfrage zur Kritik an der Ausschreibung mit, dass die Hadag die Vergabeverfahren "eigenverantwortlich" durchführe, wie Sprecher Dennis Krämer sagt. "Selbstverständlich" werde die Behörde von der Hadag gleichwohl "über maßgebliche Sachverhalte informiert". Über noch laufende Vergabeverfahren könne die Verkehrsbehörde keine Auskünfte erteilen. Hadag-Vorstand Dr. Tobias Haack lässt ein ähnlich dürres Statement übermitteln: "Die Hadag ist gesetzlich dazu verpflichtet Neubauaufträge EU-weit auszuschreiben. Zu laufenden Ausschreibungsverfahren äußern wir uns nicht."

Dabei gibt es viele Fragen. Etwa, wie Angebote für einen Auftrag mit einem Volumen im mittleren zweistelligen Millionenbereich binnen weniger Tage umfassend geprüft und verglichen werden können. Die Pella-Sietas-Werft hatte ihr Angebot am Dienstag, 15. Dezember, abends abgeschickt. Bereits am Freitag, 18. Dezember, teilte die Hadag am Vormittag mit, dass die Neuenfelder Werft nicht zum Zuge gekommen ist.

Dean ist fassungslos, dass die SET Schiffbau- und Entwicklungsgesellschaft Tangermünde aus Sachsen-Anhalt wegen eines günstigeren Angebotes den Zuschlag erhalten soll. Deswegen hat die Pella-Sietas-Werft eine Anwaltskanzlei damit beauftragt, ein sogenanntes Vergabenachprüfungsverfahren anzustrengen. Das Ziel: Die Ausschreibung soll neu ausgeführt werden.

Tausende Arbeitsstunden

Schließlich hätten alle 71 Ingenieure von Pella Sietas an dem Angebot mitgearbeitet, Tausende Stunden investiert. Viel Herzblut und Know-how seien in das Angebot geflossen, zig Mal hätten Vertreter von Pella Sietas zusammengesessen und über die Spezifikationen der Fähren beraten. Die Neuenfelder seien auf jede Forderung der Hadag eingegangen. "Ich weiß, dass unser Mitwettbewerber dieses Know-how nicht hat", sagt Dean selbstbewusst. Ihr Angebot sei "an der äußersten Schmerzgrenze" kalkuliert worden, es sei stets um Beschäftigungssicherung und nicht um Profitmaximierung gegangen. Das Angebot der SET könne nicht seriös kalkuliert worden sein. "Wir wollen die Innovationen in der Stadt Hamburg halten", sagt Dean. "Wir wollen diesen Standort für den Schiffbau erhalten." Bis zu einer Entscheidung im Vergabenachprüfungsverfahren können jedoch Monate ins Land gehen.

Für die im Jahr 1635 gegründete und 2014 von Pella Shipyard aus St. Petersburg (Russland) übernommene Werft geht es um die Existenz. Dean gibt sich kämpferisch. "Wir glauben hier an eine Zukunft", sagt die Geschäftsführerin. "Deshalb werden wir weiter um den Standort Neuenfelde kämpfen. Das sind wir unseren Kollegen schuldig." Sie ärgert es, dass in Hamburger Zeitungen vom "Zoff" zwischen der streitbaren Neuenfelder Werft-Chefin und der Hadag zu lesen war. Dabei gehe es hier um keine Privatfehde, sondern um die Benachteiligung eines Traditionsunternehmens. "Ich kann diese Entscheidung einfach nicht nachvollziehen", sagt Dean. "Deswegen sehe ich hier keine andere Möglichkeit, als juristisch dagegen vorzugehen." Es sei unverständlich, dass eine stadteigene Reederei eine Hamburger Werft derart abserviere. Der Auftrag für die drei Hadag-Fähren mit der Option auf drei weitere Fähren hätte die Werft über Jahre ausgelastet - unabhängig von der Schlick-Problematik, die seit Jahren die Existenz der Werft bedroht.

Mitarbeiter in Kurzarbeit

Jetzt muss Dean ihre Mitarbeiter erst einmal in Kurzarbeit schicken. "Dabei hätten wir im Januar sofort loslegen können", sagt die Werft-Chefin. 350 eigene Mitarbeiter und rund 1000 Mitarbeiter von Zulieferern sind betroffen. Für sie alle sei der Start ins neue Jahr von Ungewissheit geprägt. Eigentlich hätte Pella Sietas in diesem Jahr 70 Mitarbeiter zusätzlich einstellen wollen, doch die Ungewissheit in der Schlickfrage und der Streit um die Ausschreibung der Hadag-Fähren lassen dies aus Sicht der Geschäftsführung auf absehbare Zeit nicht zu. Hinzu kommen als Folge der Pandemie teilweise massive Lieferprobleme bei Zulieferbetrieben. Die Corona-Krise könne aber auch eine Chance werden - wenn deutsche Reeder sich besönnen, nicht nur in China oder Südostasien nach Werften zu schauen, die ihre Schiffe fertigen. Nicht nur die Kosten dürften im Fokus stehen. Einige Sietas-Schiffe seien seit 60 Jahren auf dem Wasser unterwegs. "Es kurbelt die deutsche Wirtschaft an, wenn deutsche Reeder ihre Schiffe in Deutschland bauen lassen", unterstreicht Dean. Pella Sietas sei in Hamburg schon jetzt die letzte verbliebene Werft, die zivile Schiffe baut.

In der Belegschaft ist die Enttäuschung groß. Von Fassungslosigkeit und Entsetzen ist die Rede. "Die Werft braucht neue Aufträge, das ist klar", sagt der Beauftragte für den Raum Hamburg bei der Industriegewerkschaft Metall, Emanuel Glass.

Schlick-Lösung rückt näher

Bewegung ist in die Lösungsfindung zur Schlick-Problematik gekommen. Wie berichtet, verschlickt die Estemündung als Folge der Elbvertiefung zusehends, auch der Hafen der Pella-Sietas-Werft ist betroffen. Im September durfte mit einer Ausnahmegenehmigung ein Spülverfahren angewandt werden, um den Schlick aus der Estemündung zu bekommen. Die Kosten musste die Pella-Sietas-Werft tragen. Aber noch immer war im Werft-Hafen nicht genug Tiefgang, um Schiffe in Neuenfelde auszudocken. Ein Saugbagger musste mitsamt Arbeitsplattform von zwei Schleppern in den Dradenauhafen verholt werden, um dort ins Wasser gelassen und zum Innenausbau zurück zu Pella Sietas geschleppt zu werden.

Immer nur auf Ausnahmegenehmigungen zu hoffen und auf ein intaktes Sperrwerk zu setzen, sei aber aus unternehmerischer Sicht auf Dauer untragbar. So schaut sich das Management nach einem "Plan B" um, wie es Werft-Chefin Natallia Dean nennt. Gemeint ist ein zweiter Standort.

Im Namen seines Rates hatte Jorks Bürgermeister Matthias Riel (parteilos) einen Protestbrief an die zuständigen Hamburger Behörden geschickt, auch im Stader Kreistag kam das Thema zur Sprache. Land- und Bundestagsabgeordnete aus der Region kamen zum Schlick-Gipfel in Neuenfelde zusammen.

Dauerhafte Lösung?

"Um die Situation der Werft in Bezug auf die Sedimentation in der Zukunft zu verbessern, erarbeiten Hamburg, die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes und Pella Sietas gemeinsam ein tragfähiges Konzept", teilt Sprecher Christian Füldner von der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Innovation jetzt auf Nachfrage mit. Dean bestätigt regelmäßige Gespräche, sieht die Zusammenarbeit mit den Behörden in dieser Sache auf einem guten Weg. "Eine Lösung zu finden ist nicht unmöglich, aber sehr langwierig", gibt sich die Werft-Chefin vorsichtig optimistisch. "Es lohnt sich in jedem Fall dranzubleiben."

Gleichwohl sei unklar, ob es im nächsten Jahr zu einer dauerhaften Lösung kommt. Im Frühjahr müsse noch einmal kurzfristig der Schlick beseitigt werden, damit das Saugbaggerschiff - ein Auftrag einer Bundesbehörde - ausgeliefert werden kann, sagt Dean. Die Mitarbeiter unterstützen den Protest, haben im Herbst Tausende Unterschriften für den Erhalt der Werft an Staatsrat Andreas Riekhof (SPD) überreicht. "Wir halten zusammen", sagt Dean. "Denn wir können das nicht hinnehmen, wir brauchen hier endlich eine Perspektive."

Von Daniel Beneke

CNV-Newsletter

Hier können Sie sich für unseren CNV-Newsletter mit den aktuellen und wichtigsten Nachrichten aus der Stadt und dem Landkreis Cuxhaven anmelden.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

(1 Stern: Nicht gut | 5 Sterne: Sehr gut)

Feedback senden

CNV-Nachrichten-Newsletter

Hier können Sie sich für unseren CNV-Newsletter mit den aktuellen und wichtigsten Nachrichten aus der Stadt und dem Landkreis Cuxhaven anmelden.

Die wichtigsten Meldungen aktuell


Lesen Sie auch...
Filialnetz schrumpft weiter

Commerzbank schließt 50 Filialen: Sprecher äußert sich zum Standort Cuxhaven

CUXHAVEN. Die Commerzbank gibt weitere 50 Filialen auf. Die bisher 450 Niederlassungen der Commerzbank sollen auf 400 reduziert werden. Wie steht es um den Standort Cuxhaven?

Windenergie und Wasserstoff

Welche Rolle spielt Wasserstoff zukünftig in Cuxhaven?

von Tim Larschow

HAMBURG/ CUXHAVEN. In Hamburg fand das weltweit größte Branchentreffen der Windindustrie statt. Über 1350 Aussteller aus 40 Ländern kamen zu der Weltleitmesse - darunter auch mehrere wichtige Cuxhavener Unternehmen aus der Hafenwirtschaft.

Umwelt 

Wurster Nordseeküste: Grüne Energie ein zentrales Thema in der Politik

WURSTER NORDSEEKÜSTE. Bei der Sitzung des Umweltausschusses der Gemeinde Wurster Nordseeküste waren Erzeugung von grüner Energie und Energiesparen im Fokus.

Personaloffensive

Cuxhavener Siemens Gamesa-Werk sucht weitere Kräfte - und schafft neue Arbeitsplätze

von Kai Koppe

CUXHAVEN. "Weil‘s läuft", braucht der Windkraftturbinenhersteller am Standort Cuxhaven mehr Personal und will eine dreistellige Zahl an Neueinstellungen vornehmen.