
Schneechaos im Cuxland: Wegen Fahrverbot Konzert verpasst
KREIS CUXHAVEN. Was München derzeit kann, konnte das Cuxland schon vor Jahrzehnten - im Schneechaos versinken. Im Winter 1978/79 kam im Kreis Cuxhaven das öffentliche Leben zum Erliegen.
Schnee, Eisglätte und starke Winde haben Busse, Züge, Autos und Fahrräder lahmgelegt. Die Straßen und Fußwege waren kaum passierbar. Viele Leser und Leserinnen haben uns Fotos und ganz persönliche Erinnerungen an die Wintermonate zugesandt, die wir in unserer Serie "Das weiße Chaos" veröffentlichen.
"Durch Ihre Serie sind plötzlich Erinnerungen wieder wach. Ja, er war heftig, dieser Winter", schreibt Familie Klause aus Cuxhaven-Döse. "Wir erinnern uns noch gut an den Morgen, als wir beim Blick aus dem Fenster nichts als Schnee sahen. Die Haustür war total zugeweht und wir mussten uns erst einmal freischaufeln. Der Familienvater hatte Stunden damit zu tun, die Schneemassen, die bis hoch an die Fenster langten, zu beseitigen." Große Freude herrschte dagegen bei der damals siebenjährigen Tochter, die sich für "Eiszapfenlutscher" und einen "Schneestrandkorb" begeisterte.
Dienst auf der Autobahn 27
Der Otterndorfer Arnulf Radecker stand im Winter 1978/79 in Diensten der Verkehrspolizeistaffel Langen und betreute die A 27 von Debstedt bis nach Bremen. "Im Februar begann es heftig zu schneien und zwar dermaßen, dass es mir nach Schichtende nicht mehr möglich war, mit meinem Pkw gefahrlos zu meinem Wohnort Otterndorf zu gelangen", berichtet Radecker.
"Kurz entschlossen wurden aus einer Schicht mehrere aufeinanderfolgende Schichten, da naturgemäß ablösende Kollegen keine Chance hatten, ihren Dienstort zu erreichen." Der stellvertretende Stationsleiter versorgte Radecker und seine Kollegen mit Zahnbürsten. "Und dann ging es mit unseren Streifenwagen auf die Autobahn. Hier galt es, zusammen mit Mitarbeitern der Autobahnmeisterei stecken gebliebene Fahrzeuge ausfindig zu machen und eventuell deren Insassen in Sicherheit zu bringen." Die dienstliche Kleiderordnung wurde weitgehend aufgelöst: "Die Stationsleitung ließ uns getreu dem Motto 'Gelobt sei, was warm hält' freie Hand. So tauschte ich meine Dienstmütze gegen meine private wärmende Kopfbedeckung. Die reflektierenden Ärmelstulpen funktionierte ich um zum Fußschutz, sodass kein Schnee in die Schuhe geriet. So ließ sich die Schneekatastrophe einigermaßen überstehen." Die Schichtverlängerung hatte auch etwas Gutes: "Der Vorteil waren die angefallenen Überstunden, die man später sinnvoll mit der Familie verbringen konnte", so Radecker.
Erika Semken war zur Zeit der Schneekatastrophe 28 Jahre alt und Referendarin an der heutigen Osteschule in Hemmoor. "Im Rahmen des Biologieunterrichts wollte ich mit einer sechsten Klasse Heringe sezieren, um den Schülern Kenntnisse über die inneren Organe von Fischen zu vermitteln", erinnert sich die Hemmoorerin. "Die Fische waren eingekauft. Über Nacht hatte es so stark geschneit und gestürmt, dass ich zu Fuß zur Schule gehen musste, die Fische in einem Korb." Doch als die Nachwuchslehrerin die Schule betrat, war von den Schülern keine Spur: Sie waren zu Hause geblieben, der Unterricht fiel aus. Erika Semken geht davon aus, dass ihre ehemaligen Schüler auch ohne die Fisch-Unterrichtsstunde erfolgreich durchs Leben gekommen sind. Und was passierte mit den Heringen? "Sie landeten in der Pfanne und wurden verzehrt", sagt Erika Semken. So eine winterliche Katastrophe habe sie danach nicht noch einmal erlebt.
Die "Dire Straits" verpasst
Für Dorothea Kittlitz, die damals in Krempel lebte, bleibt der Winter 1978/79 insofern unvergesslich, weil sie Eintrittskarten für das "Dire-Straits"-Konzert am 18. Februar 1979 in der Bremer Stadthalle hatte. Mit fünf Freunden wollte sie in die Hansestadt fahren, um die berühmten Briten zu hören. Doch daraus wurde nichts: "Es herrschte ja Fahrverbot", erinnert sich die Cuxhavenerin. Auf den Karten blieben die Rockmusik-Fans sitzen. Als das Fahrverbot aufgehoben wurde, hielt es Dorothea Kittlitz aber nicht mehr in ihren vier Wänden: "Wir konnten es nicht lassen und mussten sofort los." Dorothea Kittlitz fuhr damals einen roten Käfer - der musste zunächst einmal ausgebuddelt werden. "Und die Straßen waren von meterhohen Schneewänden umrahmt."
Ein komplettes Fotoalbum hat Dorothea Kittlitz dem Jahrhundertwinter gewidmet. Neben vielen Fotografien hat sie auch Zeitungsausschnitte aus dieser Zeit eingeklebt.
Harm Berends war im Winter 1978/79 Zeitsoldat im Flugabwehrraketengeschwader 37 in Altenwalde: "Es war schon reichlich Schnee gefallen und auch verweht, da bekamen wir den Auftrag, in der Raketenstellung Belum den Lagerplatz für die HAWK-Raketen frei zu räumen. Dazu fuhren wir mit zwei Mann und dem Feldarbeitsgerät durch eine wundervoll verschneite Landschaft nach Belum", blickt Berends zurück. Diesen besonderen Einsatz hat der Altenwalder in Schwarz-Weiß-Fotografien festgehalten.