Süderwischschule Cuxhaven hat Erfolgsrezept für weniger Aggression und Vandalismus
CUXHAVEN. Die Süderwischschule Cuxhaven hatte lange mit einem schlechten Image zu kämpfen. Doch inziwschen herrscht eine andere Atmosphäre - nicht nur in der Schule. Der Grund dafür sind die Jugendlichen selbst.
Platz für ein Nickerchen in der Schule, ein extra Handy-Raum, Verabredungen zum Musikhören und Tanzen in der Pause, Schülerinnen und Schüler als Aufsicht, Lehrkräfte, die sich auch als Coaches verstehen - so etwas entsteht, wenn man sich entscheidet, Mitbestimmung und Selbstverantwortung zur Haltung in der Schule zu machen. In Süderwisch hat das Einfluss auf das gesamte Schulleben, wenn nicht sogar auf das ganze Viertel.
Zweijährige Fortbildung
Von außen macht nur eine kleine Plakette darauf aufmerksam, was seit drei Jahren an der jetzt offiziell als "Buddy-Schule" zertifizierten Süderwischschule passiert. Die Lehrerinnen Antje Goltermann und Johanna Zahrte haben parallel zu ihrer zweijährigen Fortbildung Schülerinnen und Schüler mit ins Boot geholt.
"Es begann im Jahr 2018 mit einer Befragung", erzählt Antje Goltermann, "dabei kam heraus, dass sich die meisten ein Frühstück und neue Ideen für die Mittagspause wünschten." Heute führt der erste Weg des Tages viele Grund- und Hauptschüler in die Mensa, wo mit Unterstützung der Cuxhavener Tafel und des Nordholzer Rewe-Marktes täglich ein Frühstück auf den Tisch kommt.
Empathie kommt von selbst
Das kostenlose Angebot organisieren die Neunt- und Zehntklässler eigenständig. "Wie von selbst registrieren unsere Großen dabei zum Beispiel, wenn ein Kind immer alleine sitzt, und kümmern sich darum. Plötzlich entstehen Sachen von ganz alleine", so die Lehrerinnen.
Als nächstes wurden 15 Schülerinnen und Schüler dank einer Kooperation mit dem Kreissportbund zu Schulsportassistenten ausgebildet. Dabei ging es um Themen wie Konfliktbewältigung, Aufsicht, Regeln und Rechte. Mit dieser offiziell anerkannten Befähigung, deren Stellenwert dem der Jugendgruppenleiterausbildung (Juleica) entspricht, dürfen die Assistenten Angebote allein organisieren und beaufsichtigen - etwa Spiele in der Sporthalle, Nachhilfe oder die Aufsicht in der zum Handyraum ernannten Aula.
Flüstern in der Aula
Und weil dort dann sowieso das Licht gedimmt ist, entstand auch noch eine Sitzecke, in der dann tatsächlich auch mal die Augen zufallen dürfen. "Die Schülerinnen und Schüler haben die Regeln aufgestellt und festgehalten - und daran halten sich alle", hat Schulleiterin Sandra Marczyschewski festgestellt. "In der Aula wird wirklich auch nur geflüstert."
Zwei andere hatten die Idee zu einem täglichen Musikangebot für die Grundschülerinnen und Grundschüler: "Nachdem die halbe Grundschule dort mitsingen und -tanzen wollte, haben wir sie darauf aufmerksam gemacht, dass das sehr anstrengend werden könnte", erzählen Antje Goltermann und Johanna Zahrte. "Das haben sie dann tatsächlich auch festgestellt und den Rhythmus auf zweimal pro Woche umgestellt."
Begleitete Selbstorganisation
"Begleitete Selbstorganisation" nennen sie das. "Wir fragen: ,was kannst du dir vorstellen?‘. Die Verantwortung dann den Jugendlichen zu übertragen, gehört zum Buddy-Konzept."
Selbstwirksamkeit, Partizipation (Beteiligung und aktive Gestaltung), Lebensweltorientierung (Bezug zum Alltag) und die so genannte "Peergroup-Education" (Kleine und Große lernen von-, für- und miteinander) sind die vier Säulen des Programms, das sich auch in Patentprojekten, Lesetrainings, bei Streitschlichtern und Schulsanitätern widerspiegelt.
Greifbare Erfolge
"In einem Viertel wie unserem kann Schule nur funktionieren, wenn man die Schülerinnen und Schüler mit ins Boot holt und deren Wünsche ernst nimmt", ist die Überzeugung der Schulleiterin und der Lehrerinnen. Sie sind stolz auf ihre Schülerinnen und Schüler, das ist zu spüren. Die Schule sei dabei, das Etikett, das ihr über Jahre angehaftet habe, abzustreifen. "Der Schulalltag ist viel entspannter geworden. Es gibt weniger Vandalismus und weniger Aggression. In den Pausen gibt es weniger Konflikte, das Lehrerzimmer und das Sekretariat sind deutlich weniger frequentiert."
Für viele Schülerinnen und Schüler ist es nicht selbstverständlich, auch zu Hause mit ihren Bedürfnissen, aber auch ihrer Verantwortung wahrgenommen zu werden. Umso wichtiger sei es, ihnen in der Schule die besten Startbedingungen mitzugeben, so die Überzeugung der Lehrkräfte: "Wir wollen, dass sie ihre Rolle in der Gesellschaft finden können."
Argument in der Bewerbung
Ein Zertifikat, etwa über die Qualifikation zum Schulsportassistenten - das sei schon ein Alleinstellungsmerkmal in den Bewerbungsunterlagen. Wichtiger noch als der Besuch im Jump House (Trampolinlandschaft), mit dem der erste Lehrgang belohnt worden war. Alles vor Corona, versteht sich. Die Pandemie hat die Schulsportassistenten-Ausbildung und die anderen Projekte natürlich zum Erliegen gebracht. Corona erfordert Isolation statt Begegnung, Musik und Sport gehen schon gar nicht.
"Unsere Zehntklässler hätten gerne ihre Nachfolger selbst mit ausgebildet", erzählt Johanna Zahrte, "das hat leider nun nicht funktioniert."
Aber sobald das Virus im Zaum sei, solle an die Erfolgsmodelle angeknüpft werden - dann ganz offiziell als Buddy-Schule mit Zertifikat und Plakette.