
Cuxhaven diskutiert: Können Geflüchtete die Lücke beim Fachkräftemangel schließen?
Politiker, Wirtschaft, Ehrenamtliche und Geflüchtete diskutierten darüber, wie Integration gegen den Fachkräftemangel helfen kann. Zwischen Sprachhürden und Bürokratie wurde klar: Ohne Geflüchtete wird es nicht gehen - doch der Weg ist noch steinig.
Volle Reihen, leere Lehrstellen: Als die Flüchtlingsinitiative Offenes Herz Altenwalde (OHA) am Dienstagabend in den Gemeindesaal der Kirchengemeinde Altenwalde zur Podiumsdiskussion "Vielfalt leben? - Dafür!" lud, trafen zwei Realitäten aufeinander. Betriebe suchen händeringend Nachwuchs, Geflüchtete wollen arbeiten - doch Sprachhürden, Bürokratie und veraltete Strukturen bremsen.
Moderator Ulrich Rohde, Redaktionsleiter der Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung, brachte die Ausgangsfrage gleich zu Beginn auf den Punkt: Können Geflüchtete helfen, den Fachkräftemangel abzufedern?
Sprache als das größte Integrationshindernis
Rasch rückte ein Thema ins Zentrum: Sprache. "Alle Chancen sind da, aber ohne Deutsch geht nichts", erklärte Enak Ferlemann (Abgeordneter der CDU im Stadtrat und Kreistag). Integrationspolitik müsse schneller ansetzen: Sprachkurse frühzeitig anbieten, Qualifikationen zügig prüfen.
Auch Kreishandwerksmeister Jörg Itjen bestätigte aus der Praxis: "Wir hatten Auszubildende, die fachlich stark waren, aber an der Sprache scheiterten." Gleichzeitig klagte er: "Wir finden überhaupt keine Auszubildenden mehr."
Eva Viehoff (Landtagsabgeordnete der Grünen) forderte mehr Flexibilität: "Warum ist eine Führerscheinprüfung in verschiedenen Sprachen möglich, eine Ausbildungsprüfung aber nicht?" Oliver Lottke (SPD-Landtagsabgeordneter) kritisierte die Strukturen: "Unsere Sprachkurse sind wie aus den 60ern. Junge Leute könnten längst digital lernen, mit Apps oder Onlinekursen - doch das setzt sich kaum durch."
Erfahrungen aus Ausbildung und Praxis
Zwischen den Wortmeldungen auf dem Podium gaben auch Fachleute Redebeiträge. Annelie Jung von der IHK schilderte Hürden beim Übergang in Ausbildung und Bewerbung. Elke Oellerich vom Offenen Herz wies auf den Engpass beim Spracherwerb hin. Swetlana Neuendorf, Praxisanleiterin an der Helios-Klinik, berichtete aus der Bildungsakademie: "Wir brauchen mehr Ausstattung und Begleitung für unsere Auszubildenden - das System lässt uns oft allein."

Gesichter hinter den Zahlen vor Ort
Besonders eindrücklich war der Beitrag von Mirza Sayafi, der vor rund zehn Jahren unter dramatischen Umständen aus Afghanistan floh und als Podiumsteilnehmer sprach. In den ersten Monaten hielt er sich mit Aushilfsjobs in der Spülküche über Wasser, später gelang ihm der Einstieg in eine Ausbildung in der Gastronomie.
Die Forderung nach einer zentralen Behörde, die Ausländeramt und Jobcenter zusammenführt, kam aus dem Publikum von einem anderen Geflüchteten - als Appell, die Zersplitterung der Zuständigkeiten zu beenden und das Tempo voranzutreiben.
Eine Ehrenamtliche erzählte von einem Geflüchteten, der dringend arbeiten wollte, aber keinen Sprachkursplatz erhielt. Andere schilderten, wie Jugendliche direkt nach ihrem 18. Geburtstag Abschiebebescheide erhielten, trotz jahrelanger Integrationsarbeit. "Das ist verzweifelnd", hieß es aus dem Publikum. Viehoff griff das auf: "Wir dürfen junge Menschen, die bleiben wollen und Leistung bringen, nicht fallen lassen." Lottke wurde noch deutlicher: "Wenn wir diejenigen, die arbeiten wollen, nicht unterstützen, schaufeln wir uns unser eigenes Grab."
Zahlen, die die Dimension zeigen
Dass es nicht um Einzelfälle geht, machen die Zahlen deutlich: In Niedersachsen wurden 2024 fast 20.000 Asylanträge gestellt. Die meisten Antragsteller kamen aus Syrien, gefolgt von der Türkei, Kolumbien, dem Irak und Afghanistan. Heute leben rund 277.000 Geflüchtete mit anerkanntem Status im Land - etwa zehnmal so viele wie vor 2015. Hinzu kommen mehr als 110.000 Menschen aus der Ukraine mit befristetem Aufenthaltsstatus.
Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt: Mit der Aufenthaltsdauer steigen die Erwerbsquoten der Geflüchteten deutlich. Entscheidend sind jedoch die Rahmenbedingungen: Wohnsitzauflagen oder lange Unterbringung in Aufnahmeeinrichtungen wirken stark negativ auf die Integration.
Dabei ist der Bedarf enorm. Im Bereich der Agentur für Arbeit Stade waren Ende August über 4500 Stellen unbesetzt, im Bereich der Stadt Cuxhaven 679, im Geschäftsbezirk Cadenberge 118.
Ohne das Ehrenamt geht es nicht
Einig waren sich Podium und Publikum über die Rolle der Freiwilligen. "Ohne Ehrenamt stünde die Integration still", hieß es mehrfach. Jobcenter und Behörden arbeiteten an der Grenze ihrer Möglichkeiten, zusätzliche Mittel gebe es kaum. Vorschläge aus dem Saal reichten von Teilzeitausbildungen über Verbundmodelle mit gemeinsamen Ausbildungsräumen bis hin zu mehrsprachigen Prüfungen.
Ein Ukrainer, der vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland kam, fasste seine Erfahrung zusammen: "Lesen, lernen, weitermachen - das ist der Schlüssel." Zugleich äußerten viele den Wunsch, dass auch Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak dieselben Chancen erhalten wie Ukrainerinnen und Ukrainer.
Die zentrale Frage, ob Geflüchtete den Fachkräftemangel lösen können, ließ sich nicht mit Ja oder Nein beantworten. Klar wurde aber: Ohne sie wird es nicht gehen. Entscheidend ist, wie schnell Sprachhürden fallen, Qualifikationen anerkannt und bürokratische Blockaden beseitigt werden. Oder, wie es eine Bürgerin formulierte: "Wir brauchen weniger Misstrauen und mehr Empathie. Denn wer arbeiten will, sollte auch dürfen."