
"Heiße Schau": Als die Beat-Welle in Cuxhaven vor 60 Jahren ihren Höhepunkt erreichte
Als in den 1960er-Jahren die Beatwelle nach Deutschland schwappte, gab es auch im Kreis Cuxhaven viele Bandgründungen und denkwürdige Konzerte. Höhepunkt war die "Heiße Schau" im Gasthaus "Zur Sonne" im August 1965 - vor genau 60 Jahren.
Das Publikum tobt, der Saal platzt aus allen Nähten. Rund 700 überwiegend junge Menschen drängen sich vor der Bühne, der Lautstärkepegel des Publikums beim Erlöschen der Saallichter erreicht eine ohrenbetäubende Stufe. Schauplatz dieses besonderen Musikabends am 30. August 1965 ist das Hotel und Gasthaus "Zur Sonne" an der Nordersteinstraße in Cuxhaven. Für Wilhelm Friedrich ist das Konzert ein Experiment. Statt auf Schlager, Walzer und Bossa Nova setzt der Gastwirt der "Sonne" nun auf knallharten Beat, die neue Musikrichtung aus Großbritannien, die durch die Beatles und die Rolling Stones eine unglaubliche Sogkraft entwickelt hat und die Teenager massenweise zum Kreischen bringt.

Keine Frage, 1965 ist für die Beat-Fans ein besonderes Jahr. Im September startet die erste Deutschland-Tournee der Rolling Stones, der Beat-Club, die erste speziell für Jugendliche konzipierte Musiksendung des Deutschen Fernsehens, geht auf Sendung und im Kino läuft der zweite Beatles-Film "Hi-Hi-Hilfe!" ("Help!"). Der Beat ist - zumindest in jugendlichen Kreisen - allgegenwärtig und sorgt auch in Cuxhaven und umzu für einen wahren Konzertmarathon. "The Vampyrs" im Club 99, "The Cracks" im Altenwalder Hof oder "The Dynamits" im Lokal "Stadt Hamburg" - fast jeden Abend spielt irgendwo eine Band.
Gleich vier Musik-Acts stehen auf der Bühne
Und nun also "Die heiße Schau" in der "Sonne", die auch als "Bomben-Beat-Schau" beworben wird. Gleich vier Musik-Acts, wie man heute sagen würde, stehen auf der Bühne des Hotels und Gasthauses: Die "The Soul Beats" aus Bremerhaven geben den "Einheizer". Der "Star Club"-erprobte Sänger Tony Sheridan sorgt mit den Bremerhavener "Black Stars" als Begleitband für Stimmung. Tony Sheridan kann zu dieser Zeit schon einige Hits verbuchen, unter anderem "My Bonnie" und "The Saints", die er mit den Beatles in Hamburg aufgenommen hat.

Höhepunkt aber ist der Auftritt der "Lords", die mit ihren Hits "Shakin' All Over" und "Poor Boy" nach Cuxhaven kommen. Die Musiker mit den Prinz-Eisenherz-Frisuren sind 1965 neben den "Rattles" die bekannteste und erfolgreichste Beat-Band in Deutschland. Der Cuxhavener Bernd Zamulo wird dort später den Bass zupfen.
Die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer sind völlig aus dem Häuschen. Für sie ist der Beat der ersehnte Soundtrack, mit dem sie sich von all dem alten Mief des Spießbürgertums abgrenzen können. Die Pressevertreter und der Chef der "Sonne" sind dagegen verstört. "Nie wieder" soll Gastwirt Wilhelm Friedrich nach der Veranstaltung gesagt haben, was ihn aber nicht davon abhält, später weitere nationale und internationale Beat-Größen in die "Sonne" zu holen. Drafi Deutscher und die "Magics" kommen im November 1965, gefolgt von der Schottin Isabella Bond (Motto: "Cuxhaven im Bondfieber") und den "Rattles".
Und die Presse? Die Cuxhavener Medienvertreter sind entsetzt. Mit Musik habe diese Veranstaltung nichts mehr zu tun, tippt der Reporter der "Cuxhavener Presse" am nächsten Tag in seine mechanische Schreibmaschine: "Das ist schlicht und einfach ein pervertiertes Aufbegehren der Jugend." Unter der Überschrift "In der Hölle der haarigen Affen" spuckt das Blatt Gift und Galle. Der Beat habe es geschafft, "halbgare Teenager zu einer kochenden Hysteriesuppe aufzuwärmen". Von "infernalischem Lärm" ist in dem "Presse"-Artikel die Rede, von "verzückten Halbidioten" und "epileptischen Anfällen". Das Beweismaterial schiebt die "Presse" gleich hinterher: Zwei Stühle seien zu Bruch gegangen.

Auch die "Cuxhavener Zeitung" schießt sich auf die Beat-Gemeinde ein und knöpft sich dabei insbesondere die Akteure auf der Bühne vor: "Sie wirbelten ihr bis auf die Schulter hängendes Haar durch die Luft, als litten sie unter Schüttelfrost, sie stampften auf dem Fußboden herum, sie schrien, sie kreischten, sie jammerten. Eine wahrhaft sportliche Leistung! Was die Ersatz-Beatles in wenigen Minuten an Kalorien verlieren, das schafft nicht einmal ein Hafenarbeiter."

Die Wurzel des Übels ist schnell ausgemacht: "Das Phänomen des Beat ist nur so zu erklären, dass sich Rudimente der Urzeit des Menschen mit den Errungenschaften der Technik zu einer gefährlichen Mischung verquicken, die eine betäubende Wirkung auf die Kräfte des Verstandes ausübt."
Aufhalten können die selbst ernannten Sittenwächter die Bewegung indes nicht. Der Beat hat die junge Generation gepackt und lässt sie nicht mehr los.