Hilferuf von Arzt im Kreis Cuxhaven: Tausende Familien ohne festen Kinderarzt
Mit seinem Versorgungsgrad von unter 80 Prozent in der Kinder- und Jugendmedizin gilt der Kreis Cuxhaven offiziell noch nicht mal als unterversorgt - in der Praxis bedeutet das aber für viele Eltern im Notfall blanken Horror. Was tun?
Ein Kinderarzt, der das erste Mal in seiner Karriere einen Annahmestopp für Neupatienten aussprechen muss, wütende und verunsicherte Eltern, die nicht mehr wissen, wohin mit ihren fiebernden Kindern: Was gerade im Kreis Cuxhaven passiert, könnte überall im Lande sein - und ist es auch: "Das Thema bewegt in ganz Niedersachsen - wenn nicht in ganz Deutschland - Eltern, Bürgermeister und Landräte", sagt Detlef Haffke, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) in Hannover.
Der Versorgungsgrad mit Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten im Kreis liegt aktuell bei 77 Prozent; vier weitere Sitze könnten noch besetzt werden, so Haffke. 77 Prozent gelten nach offizieller Lesart noch nicht als Unterversorgung (die tritt erst bei unter 50 Prozent ein). Eine Überversorgung wird beim Überschreiten der 110-Prozent-Marke festgestellt.
Noch keine offizielle Unterversorgung
Davon ist der Landkreis Cuxhaven weit entfernt. Neun kreisweit niedergelassene Kinderärztinnen und -ärzten sind für die Versorgung von 33.484 Kindern und Jugendlichen im Landkreis Cuxhaven zuständig. Laut Bedarfsplanung so Haffke, soll ein Kinderarzt 2865 Kinder und Jugendliche betreuen (theoretische Verhältniszahl laut Bedarfsplanung). Die sind natürlich nicht in jedem Quartal krank und viele werden auch in allgemeinmedizinischen Praxen versorgt.
Der Nordholzer Kinderarzt Michael Scheel spricht auf seiner Homepage www.kinderarzt-cuxland.de von weiteren drei in Kürze schließenden Kinderarztpraxen und rechnet bald mit dann mit insgesamt 6,5 unbesetzten Sitzen. Bei einer Patientenzahl von realistischerweise 1000 bis 1500 Kindern pro Quartal drohten mindestens 7000 Familien mit Kindern in diesem Winter und darüber hinaus ohne Versorgung zu sein.

"Die Prognose könnte stimmen", so die Einschätzung des KVN-Pressesprechers. Allerdings habe die Vereinigung bisher noch keine Kenntnis über demnächst aussteigende Kinderärztinnen oder -Ärzte im Kreis Cuxhaven.
Was die KVN tun kann
Die Kassenärztliche Vereinigung könne zwar eingreifen und steuern, jedoch nur in bestimmten Grenzen: "Die KVN kann keine Ärzte delegieren (freie Berufsausübung) und auch keine zusätzlichen Ärzte ausbilden (dafür ist das Land zuständig)", erklärt Detlef Haffke. Die KVN-Bezirksstelle Stade sei bemüht, die vakanten Arztsitze zu besetzen. Pro Arztsitz könne eine finanzielle Förderung von bis zu 75.000 Euro gewährt werden.
Auf Wangerooge gibt es ein KVN-Praxismodell
Eine KVN-Eigeneinrichtung sei schließlich die ultima ratio zur Sicherstellung der Versorgung: Detlef Haffke erklärt, was das ist: "Finden sich zum Beispiel in einer strukturschwachen Region keine Ärzte, die eine Praxis eröffnen oder übernehmen wollen, können Kassenärztliche Vereinigungen sogenannte Eigeneinrichtungen zur unmittelbaren medizinischen Versorgung der Versicherten betreiben. Die KV stellt dabei die Räumlichkeiten, das Inventar (einschließlich medizinischer Geräte und das Praxispersonal) und stellt eine Ärztin oder einen Arzt an, der ein festes Honorar von der KV erhält."
Reizvolle Lösung für Einsteiger
Insbesondere für junge Ärztinnen und Ärzte hätten solche Eigeneinrichtungen den Vorteil, dass sie in einem Angestelltenverhältnis arbeiten könnten und nicht das wirtschaftliche Risiko einer eigenen Praxis tragen müssten."
Die derzeit einzige Eigeneinrichtung der KVN wird auf der Nordseeinsel Wangerooge im Rahmen einer Hausarztpraxis betrieben.
Das grundsätzliche Problem sei jedoch seit Jahren immer dasselbe: "Immer weniger Medizinerinnen und Mediziner wollen sich in ländlichen Regionen niederlassen." In die Röhre schauen hierdurch in immer mehr ärztlichen Disziplinen die Patientinnen und Patienten, die oft Monate bis Jahre auf Termine warten oder quer durchs Land zu den Praxen fahren müssen.
Und wenn Eltern nicht mehr wissen, wohin mit ihrem kranken Kind? "Über die Terminvermittlungsstelle (Telefon 116 117) können sich Eltern Termine bei Kinder- und Jugendmedizinern vermitteln lassen", so Haffke. Darüber hinaus behandelten auch Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin Kinder und Jugendliche.