Ein Mitarbeiter der Fachfirma demonstriert den Einstieg ins System über die Brücke durchs Fenster. Gleich geht's senkrecht abwärts. Foto: Reese-Winne
Ein Mitarbeiter der Fachfirma demonstriert den Einstieg ins System über die Brücke durchs Fenster. Gleich geht's senkrecht abwärts. Foto: Reese-Winne
Reportage

Neuer Rettungsschlauch an Altenwalder Schule: Wie sicher ist die Flucht im Notfall?

von Maren Reese-Winne | 18.02.2025

Die Räume in der Geschwister-Scholl-Schule in Cuxhaven-Altenwalde sind verschachtelt. Über Jahrzehnte fehlte ein zweiter Fluchtweg aus dem 2. Stock. Das ist jetzt anders. Im Notfall geht es nun per Personenrettungsschlauch abwärts. Ein Selbstversuch.

Nach unten schaut man vor dem Einstieg besser nicht, auch wenn es sich nur um vergleichsweise harmlose acht Meter handelt und nicht um über hundert, für die dieses System auch eingesetzt werden kann. "Genießen Sie den Blick in die Ferne", empfiehlt Fachmann Sebastian Thoms und schon geht es abwärts in den Schlund des weißen Rettungsschlauchs, der an der Fassade der Geschwister-Scholl-Schule aus dem Fenster hängt.

Aufgefangen durch eine Spirale

Ein kurzes Schnappen im Moment des Loslassens, doch der freie Fall bleibt aus. Aufgefangen durch eine innere Spirale geht es mit ein bis zwei Metern pro Sekunde dem Boden entgegen. Die durch ein Kissen abgefederte Ausstiegskapsel endet etwa 50 Zentimeter über dem Boden.

Durch den Schlauch geht es dem Boden entgegen. Eine innenliegende Spirale bremst den Fall ab. Fotos: Reese-Winne

Auch für Kleinkinder, Ältere, Schwangere und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen sei das System ohne Training gefahrlos zu benutzen, versichert Sebastian Thoms den Lehrkräften, die sich im Klassenzimmer der 8b versammelt haben. Hier, in der zweiten Etage, ist einer von zwei durch den Landkreis Cuxhaven bestellten Personenrettungsschläuchen installiert worden; ein Evakuierungssystem zur Selbstrettung, wenn das Treppenhaus verraucht und die Feuerwehr noch nicht da ist.  

So ragt die Brücke aus dem Fenster. Foto: Reese-Winne

In einer Kiste neben dem Lehrerpult befindet sich das mit Gewindestangen und Injektionsankern fest im Betonboden verankerte Rettungssystem, bestehend aus einer "Brücke", die aus dem Fenster gekippt wird, und dem Rettungsschlauch. In weniger als 40 Sekunden soll es im Ernstfall einsatzbereit sein und bis zu zehn Personen pro Minute aus dem Raum befördern.

Raum geräumt in drei bis vier Minuten

"In drei bis vier Minuten ist der Raum geräumt", so die Erfahrung von Sebastian Thoms von der Axel Thomas GmbH in Bad Bramstedt. Nachdem eine Abordnung um den Schulleiter Arne Ohland-Schumacher das System getestet und für gut befunden hatte, wurden Kauf und Installation durch den Landkreis beauftragt.

Das Training für die Lehrkäfte mit Handhabung und Rutschtest verfolgten am Montag auch Ortsbürgermeister Ingo Grahmann sowie eine Abordnung der Feuerwehr, darunter der Leiter des städtischen Referats Brandschutz und Rettungswesen, Stefan Matthäus, Stadtbrandmeister Dennis Joost und Ortsbrandmeister Sven Ortmann.

Hier passt jede Körperform durch

Die Schuhe werden am besten ausgezogen und rutschen unter den Arm geklemmt mit. Foto: Reese-Winne
Ab hier geht's nur noch abwärts. Foto: Reese-Winne

Mit immer neuen Details beeindruckte der ebenso viel Souveränität wie Ruhe ausstrahlende Experte die Anwesenden; eine Qualität, die im Umgang mit Höhe wahrscheinlich unabdingbar ist: Bremsen ist nicht nötig, die Brille kann aufbleiben, Abstandregeln oder Beschränkungen durch Gewicht- oder Körperform gibt es nicht: "Der Schlauch würde auch alle hier im Raum zusammen tragen."

Am besten rutsche es sich ohne Schuhe - die könnten aber unter den Arm geklemmt mit nach unten genommen werden. Hohe Absätze sind gänzlich tabu, um ein Hängenbleiben zu verhindern. 

Sebastian Thoms weihte die Lehrkräfte und Gäste in die Anwendung und Funktionsweise ein. Foto: Reese-Winne

Durch Profis angeleitete Übungen für Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte wird es in Altenwalde künftig jedes Jahr geben; zwanglos, so Sebastian Thoms: "Es wird nie jemand zum Rutschen gezwungen." Für den Aufbau rät er: "Nicht so kompliziert denken." Piktogramme und Aufschriften zeigen, was zu tun ist. Und schon haben die ersten Freiwilligen mit einem Ruck die Brücke ausgeklappt und den Schlauch zu Boden gelassen. Das Einpacken  übernehmen - egal, ob Übung oder Ernstfall - immer die Fachleute.

Befreites Gekicher löst die Spannung

Durch den Schlauch geht es dem Boden entgegen. Eine innenliegende Spirale bremst den Fall ab. Fotos: Reese-Winne
Das Rettungssystem an der Fassade der Geschwister-Scholl-Schule. Foto: Reese-Winne

Nun aber naht erst mal der Rutschtest: Stufen zur Schlauchöffnung erklimmen, in die Waagerechte legen und über die Brücke abkippen. Kurz danach erklingt befreites Gekicher vom Boden zu denen hoch, die das Ganze erst mal durchs Fenster betrachtet haben. Kinder hätten die geringsten Probleme, sich zu überwinden, erzählt Sebastian Thoms. Das System werde sogar schon in Krippen eingesetzt. Erwachsene könnten dabei auch jeweils zwei Kleinkinder auf dem Arm mitnehmen.

Direktor Arne Ohland-Schumacher ist heilfroh, dass der Landkreis Cuxhaven mit der 25.000 Euro-Investition die Lücke im Brandschutz endlich geschlossen hat. Fluchtweg Nummer eins bleibt das (in diesem Trakt einzige) Treppenhaus - wenn das aber verraucht ist, ist jetzt die sichere Flucht ins Freie möglich. Je zwei Klassenräume können über die beiden Anlagen evakuiert werden. Dass das jemals nötig wird, hofft allerdings niemand.

Die Firma Axel Thoms GmbH mit ihrer 20-köpfigen Belegschaft vertreibt ihr System vom schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt aus weltweit - Wettbewerber gibt es nur in Asien. Das Funktionsprinzip ist seit fast 40 Jahren bekannt. Der längste Personenrettungsschlauch ermöglicht eine Rettung aus 116 Metern.

Das Firmenlogo zeigt unmissverständlich, worum es geht. Foto: Reese-Winne

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Maren Reese-Winne

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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