
Stadt Cuxhaven ohne Handhabe: Was dürfen Vermieter sich erlauben?
Ist das überhaupt erlaubt? Kann die Kommune wirklich nichts tun? Das fragten sich 2023 viele Mieter in Cuxhaven, deren Vermieter durch Nichtstun glänzten. NRW ist 2021 mit einem Gesetz vorgeprescht, das diesen Machenschaften Einhalt gebieten soll.
Bei den Betrachtungen zur Restrukturierung des auch in Cuxhaven aktiven insolventen Immobilien-Spezialisten Alpha Real Estate zeichnet sich ein Graben ab: Die Einschätzung des Sachwalters Jens Lieser zum Geschäftsmodell der Alpha Real Estate dürfte die Mieter in vielen Wohnanlagen in tiefes Erstaunen versetzen.
Vom Wohlergehen der Mieter ist nicht die Rede
Das Wohlergehen der Bewohnerinnen und Bewohner kommt nicht vor auf Wirtschaftsportalen und in offiziellen Verlautbarungen, vielmehr wird dort die Alpha Real Estate als "weiteres Opfer der Immobilienkrise" bezeichnet. Ihr Geschäftsmodell, ein "Full-Service-Konzept für die Privatisierung von großen ausschließlich privaten Wohnungsbeständen", schätzt Jens Lieser grundsätzlich als "tragfähig" ein: Das Unternehmen erwerbe ganze Wohneinheiten in mittleren sowie günstigen Lagen in ganz Deutschland, verwalte diese mit einer eigenen Haus- und Mietverwaltung, führe Modernisierungsmaßnahmen durch und verkaufe die Bestandswohnungen oft mit Finanzierungsangeboten von Partnerbanken an Anleger.
Anleger sollten zur Investition bewegt werden
Mieter und Privatanleger sollten so zur Investition verlockt werden, denn Bestandsimmobilien böten als Kapitalanlage steuerliche Vorteile bei der Abschreibung und dienten als langfristiges Investment.
Sanierung im großen Stil blieb aus
In schönen Bildern wird auf der Homepage gezeigt, wie solche Wohnungen nach der Sanierung aussehen können. In Cuxhaven, wo die Alpha Real Estate die 281 Wohnungen im November 2022 von der TAG Immobilien GmbH bereits mitten in der Immobilienkrise erwarb, kam es offensichtlich gar nicht erst dazu: Gestiegene Zinsen, keine Investitionsbereitschaft, hohe Baukosten und wohl auch nicht genügend eigene Leute bedeuteten statt dessen Notbetrieb.
Regenwasser läuft innen an der Wand herunter
Der Vermieter ging auf Tauchstation, Hinweise auf bauliche und technische Mängel wurden ignoriert oder zögerlich bearbeitet. Es soll Gebäude geben, in denen das Regenwasser sich in der Innenwand des Wohnzimmers seinen Weg bahnt; in einem Hochhaus kam das Wasser in der Küche einer 93-Jährigen hoch, sobald die Mieter in den Etagen über ihr die Waschmaschinen anwarfen.
Zweites Negativbeispiel beim Trinkwasser
Ist so etwas überhaupt erlaubt? Kann die öffentliche Hand wirklich nicht eingreifen? Diese Frage stellten sich im vergangenen Jahr in Cuxhaven nicht nur Alpha-Real-Estate-Mieter in Süderwisch, sondern auch die der Wohnungen in der Hermann-Allmers- und der Gorch-Fock-Straße, bei denen der Vermieter Nord Wohnen Portfolio 1 GmbH, Teil eines in München ansässigen Unternehmensgeflechts, einfach die Zahlungen für die Trinkwasserversorgung an die EWE Netz einstellte. Oberbürgermeister Uwe Santjer öffnete die Tür des Rathauses für Informationsveranstaltungen, hatte aber keine Handhabe, das Unternehmen in die Schranken zu weisen.
NRW prescht mit Wohnraumstärkungsgesetz voraus
Wie machen andere das? In Nordrhein-Westfalen versetzt das im Jahr 2021 in Kraft getretene Wohnraumstärkungsgesetz jetzt Gemeinden in die Lage, Vermieter an die Kandare zu nehmen. Wohnraum muss sich demnach zu jeder Zeit in einem Zustand befinden, der seinen Gebrauch zu Wohnzwecken ohne erhebliche Beeinträchtigungen zulässt.
Im Gesetzestext heißt es: "Die Gemeinden haben die Aufgabe, auf die Instandsetzung, die Erfüllung von Mindestanforderungen und die ordnungsmäßige Nutzung von Wohnraum oder Unterkünften hinzuwirken und die dazu erforderlichen Maßnahmen zu treffen (Wohnungsaufsicht)."
Mindestanforderungen dürfen nicht ignoriert werden
Mindestanforderungen sind unter anderem Heizung, Wasser- und Stromversorgung, Anschlussmöglichkeiten für Beleuchtung und E-Herd, benutzbare sanitäre Anlagen, Schutz gegen Witterungseinflüsse und Feuchtigkeit, ausreichend Belüftungsmöglichkeiten und Tageslicht; in allgemein nutzbaren Räumen zudem benutzbare Aufzüge, Treppen und funktionierende Beleuchtungsanlagen.
Nach einem Bericht der Siegener Zeitung, die sich ausführlich mit den Missständen in einer dortigen Alpha-Real-Estate-Wohnanlage beschäftigt, kann die Kommune nach Verstreichen etlicher Fristen selbst tätig werden und die Beseitigung von Missständen auf Kosten des Eigentümers in Auftrag geben. Die hierdurch anfallenden Kosten könne die Kommune mit Hilfe des neuen Wohnraumstärkungsgesetzes ins Grundbuch eintragen lassen.
Ultimaten der Städte zeigen Wirkung
Dieses Instrument werde noch unterschiedlich konsequent von den Kommunen angewandt, schrieb ein Redakteur der Siegener Zeitung, als im November sowohl in Siegen als auch im benachbarten Bergneustadt die Mieter eines anderen Immobilienriesen im Kalten saßen. Während der eine Vermieter auf das Ultimatum der Stadt Bergneustadt reagierte und mit einem mobilen Heizkraftwerk anrückte, sah die Stadt Siegen die Mieter am Zug. Aber nur konsequent angewandt sei das Wohnraumstärkungsgesetz ein "scharfes Schwert", so der Kommentator.
Auch in einer Alpha-Real-Estate-Wohnanlage in Wuppertal, bei der 180 Wohnungen wochenlang ohne Heizung waren, hat das inzwischen geklappt: Kurz bevor die Frist der Wohnungsaufsicht ablief, gab das insolvente Unternehmen die Heizungsreparatur bei einem örtlichen Unternehmen in Auftrag. Ein vergleichbares Instrument gibt es in Niedersachsen noch nicht.