
Transporter aus Nordleda soll Menschen im Kriegsgebiet versorgen
Ein Renault Master aus dem Cuxland wird in diesen Tagen in die Ukraine überführt. Mit dem Fahrzeug wollen Helfer Lebensmittel in ein Gebiet unweit der Frontlinie bringen.
Äußerlich macht der blaue Kastenwagen nicht mehr viel her. "Aber darauf kommt es nicht an", sagt Marco Weber, der geholfen hat, das Gefährt aufzutreiben. Neben der Maschine ("Der Motor ist gut") zählt vor allem der Stauraum. Auf der Ladefläche des auf einem Parkplatz in Nordleda stehenden Renault Master sollen bald Lebensmittel dorthin gebracht werden, wo es der Bevölkerung derzeit am Nötigsten fehlt. In ein Gebiet unmittelbar hinter der Front, im Osten der Ukraine.
Was sich dort abspielt, kann unsereiner - gewöhnt an Frieden, Stabilität und Sicherheit - höchstens erahnen. An einem Tisch im Dorf-Imbiss von Nordleda wischt Dmytro Kostyrko mit dem Zeigefinger über sein Handy-Display, zeigt im Schnelldurchlauf Aufnahmen von zerstörten Gebäuden und von Menschen, die sich um einen Transporter drängen. Der Wagen hat Waren gebracht: Nahrung und Hygieneartikel für die verbliebenen Bewohner einer Stadt in der Nähe von Bachmut - zehn, vielleicht 15 Kilometer entfernt von der Front.
Alle zwei Wochen zweieinhalb Tonnen Lebensmittel
Nach Beginn des russischen Angriffskrieges liegt das Gebiet immer wieder unter Beschuss, Freiwillige wie Kostyrko sind es, die sich bemühen, eine Versorgungskette aufrechtzuhalten: Alle zwei Wochen kommt eine Lieferung mit zweieinhalb Tonnen an Lebensmittel.
"Die Leute", darunter viele alte Menschen, Kinder und Frauen, "warten auf uns", betont der Militär-Seelsorger, der einen Kurzbesuch bei seiner ins Cuxland geflüchteten Familie genutzt hat, um einen für die Unterstützungsfahrten geeigneten Wagen zu finden. Einen bislang genutzten Transporter mussten die Helfer offenbar aufgeben, nun hängt vieles an dem Ersatzfahrzeug, das am Dienstag über die Cuxhavener Zulassungsstelle ein Überführungskennzeichen erhielt. Dmytro Kostyrko wird den über Spenden finanzierten Renault in die Ukraine bringen, wo er den aus der Not geborenen Pendelverkehr aufnehmen soll. Eine Tour (aus dem Landesinneren ins Zielgebiet und zurück) erstreckt sich nach Angaben des Familienvaters über 1500 Kilometer. Ein Durchkommen ist fraglich, Beschuss möglich, Luftalarm wahrscheinlich. Ein Himmelfahrtskommando?
"Die Situation ist sehr gefährlich", bestätigt Kostyrko und meint damit die Gesamtlage in dem kriegsgebeutelten Land. Ständig gebe es Raketenangriffe - das gelte inzwischen für beinahe jede Stadt in der Ukraine. Dazu kämen die Kamikaze-Drohnen, die bewusst in großen Radien bewegt würden - sei es, um die ukrainische Luftabwehr zu beschäftigen, sei es, um einen möglichst großen Teil der Zivilbevölkerung in Angst zu versetzen. Besonders heikel ist die Lage nach Kostyrkos Worten in den Oblasts Charkiw, Donezk oder Cherson.
Parteinahme als Frage der Moral
Was der Westen in dieser Situation tun sollte, ist die naheliegende Frage an einen Gegenüber, der aus dem Kriegsgebiet kommt. "Gerade jetzt brauchen wir mehr Unterstützung", antwortet der 44-Jährige und meint damit auch militärisches Gerät, ganz konkret: Waffen, einschließlich Marschflugkörper. Die bereitzustellen, sollte eine freiwillige Entscheidung sein, ergänzt der Kaplan, der dabei auf eine über die Belange der Ukraine hinausgehende und alle demokratischen Staaten vereinenden Interessenlage verweist: Putin werde nicht aufhören, so warnt er; "wer wird der nächste sein?", laute die Frage, sofern man dem russischen Präsidenten nicht Einhalt gebiete.
Ob das gelingt, könne niemanden gleichgültig lassen, "der sich für einen moralischen Menschen hält", bekräftigt Kostyrko, der kurz innehält und dann erneut in die Übersetzungs-App des vor ihm liegenden Smartphones spricht. Er wolle sich bedanken, für rund 900 Euro, die Bürger in Deutschland für den Ankauf des Transporters beigesteuert haben. Man sei auf solche Spenden angewiesen, sagt er und blickt dabei quer über den Tisch zu Marco Weber. Der Kiosk-Betreiber aus dem Lotsenviertel hatte bereits in der Vergangenheit unterstützt und ist vor Ort inzwischen so etwas wie die personifizierte Anlaufstelle in Sachen Ukraine-Hilfe. Einen Freund nennt ihn Dmytro Kostyrko.