Die Musiker nach einem mitreißenden Konzertabend im Schloss Ritzebüttel: ein unvergessliches Klangerlebnis zwischen Jazz und Bach. Foto: Potschka
Die Musiker nach einem mitreißenden Konzertabend im Schloss Ritzebüttel: ein unvergessliches Klangerlebnis zwischen Jazz und Bach. Foto: Potschka
Klangerlebnis im Schloss

Wenn die Mandoline Bach neu erfindet

von Jens Potschka | 24.12.2025

Ein Konzertabend im Schloss Ritzebüttel, der mit einer spontanen Rettungsaktion beginnt und mit stehenden Ovationen endet. Ein Dialog zwischen Bach und Jazz entfaltet sich, der die Grenzen der Musik neu definiert.

Es sind Momente wie diese, die ein Konzert unvergesslich machen: Yonathan Avishai sitzt mit nach oben geöffneten Händen vor dem Flügel im großen Festsaal von Schloss Ritzebüttel. Er sammelt Energie - vielleicht von oben, vielleicht aus der Stille selbst. Dann beginnt sein bravouröses Spiel, und wenn er endet, streichen seine Finger noch einmal sanft über die gesamte Klaviatur, als verabschiede er sich von den Tönen. An diesem vierten Adventssonntag bildet das Abschlusskonzert der stadtKlang-Reihe 2025 "Classic meets Jazz" den krönenden Höhepunkt einer außergewöhnlichen Saison.

Das Programm an sich ist bereits ein Wagnis: Kompositionen von Omer Avital, jüdische Folklore aus Jemen und Marokko, eine eigene Komposition des Mandolinisten und mittendrin Johann Sebastian Bachs d-Moll-Partita für Violine. Avi Avital interpretiert sie auf der Mandoline, die Yonathan Avishai zwischen den Sätzen mit Jazz-Improvisationen beantwortet. Ein hörenswerter Dialog über die Jahrhunderte hinweg.

Als die Folklore ihren Zauber entfaltet

Der Nachmittag im Schloss beginnt mit Omer Avitals "Zamzama". Ein Stück, das die gemeinsamen marokkanischen Wurzeln der beiden Musiker Avi und Omer Avital hörbar macht. Avital, der sympathische Mann mit der dunklen Lockenmähne, moderiert charmant und mit einem Lächeln an. Seine Mandoline singt, tanzt, weint. Gespielt mit Plektrum, entwickelt sie eine Klangfülle, die man diesem zierlichen Instrument kaum zutrauen würde. Mit "Lonely Girl in New York" folgt eine Ballade von berührender Zartheit.

Besonders die folkloristisch anmutenden Stücke entfalten eine Intensität, die ihresgleichen sucht. Avitals Spiel ist von beeindruckender Leidenschaft geprägt. Gelegentlich entfährt ihm ein spontanes Juchzen, das Temperament dieses Musikers ist nicht zu bändigen. Als mitten im Konzert ein auf dem Boden geparktes Weinglas hörbar zerbricht, ruft Avital lachend "Masel tov!" in den Saal. Das Publikum lacht erleichtert mit.

Nach "Homeland" und Avitals eigener Komposition "Avi's Song" - ein Stück, das so schnell entstand, dass nur der Arbeitstitel blieb - wartet die Pause.

Bach trifft auf Jazz-Improvisation

Der zweite Teil wird zum eigentlichen Höhepunkt des Abends. Bachs d‑Moll-Partita für Solo-Violine, ursprünglich für Jascha Heifetz' Geige gedacht, erklingt auf Avitals Mandoline - und klingt dabei erstaunlich organisch. Der für einen Grammy nominierte Solist, der mit Andrés Segovia und eben jenem Heifetz verglichen wird, erweist sich als kongenialer Bach-Interpret. Allemanda, Corrente, Sarabande, Giga - zwischen den Sätzen improvisiert Avishai am Flügel über Bachs Themen, spinnt sie in die Gegenwart weiter.

Diese Improvisationen sind das Herzstück des Konzerts. Avishai, der eigentlich mit dem Trompeter Avishai Cohen tourte und bei ECM Records veröffentlichte, beweist eindrucksvoll, warum Kritiker über sein Trio Modern Times schrieben, es spiele keinen Jazz, sondern Kammermusik auf höchstem Niveau. Seine poetischen Qualitäten mit eindringlichen Überraschungsmomenten verbinden sich nahtlos mit Avitals virtuos, aber nie selbstverliebtem Mandolinenspiel.

Ein Notfall wird zum Glücksfall

Dass dieser Konzertnachmittag im Advent überhaupt stattfinden kann, grenzt an ein kleines Wunder. Omer Klein, der ursprünglich angekündigte Pianist, musste wegen einer schweren Influenza absagen. Mathias Christian Kosel, musikalischer Leiter der stadtKlang-Reihe, reagierte blitzschnell: Yonathan Avishai, der gerade in Siena weilte, wurde von Avital persönlich angerufen - und kam direkt aus dem Unterricht heraus an die Nordseeküste geflogen. Ein wahrer Glücksfall für das Cuxhavener Publikum.

"Ana Maghebi" von Avi und Omer Avital beschließt das offizielle Programm, doch das Publikum lässt die beiden Weltklassemusiker nicht gehen. Die energiegeladene Zugabe "Shalom Aleichem" von Ehud Manor und Matti Caspi steigert die Stimmung im Festsaal abermals. Stehende Ovationen. Die beiden Musiker verneigen sich tief, sichtlich bewegt.

Ein schöneres Weihnachtsgeschenk, wie Kosel in seiner Einführung sagte, kann man sich für stadtKlang kaum wünschen. Dass rund um Schloss Ritzebüttel der Cuxhavener Weihnachtsmarkt stattfindet, trägt zur adventlichen Atmosphäre bei, auch wenn bei den leiseren Passagen gelegentlich etwas Markttrubel in den Festsaal dringt. Doch das tut der Magie dieses Nachmittags keinen Abbruch. "Classic meets Jazz" - in dieser Begegnung lag pure Virtuosität, tiefe Musikalität und jene explosive Charismatik, von der die New York Times einst schrieb.

Zwei Musiker in harmonischem Dialog: Avi Avital (r.) und Yonathan Avishai beim Musizieren ihrer energiegeladenen Zugabe im großen Festsaal von Schloss Ritzebüttel. Foto: Potschka

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Jens Potschka

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Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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