Ein Blindenstock hilft dabei, spezielle Bodenleitsysteme, auch Blindenleitsysteme genannt, zu erkennen. Der Stock ist für viele blinde Menschen ein wichtiges Hilfsmittel im Alltag. Foto: Patrick Pleul/dpa
Ein Blindenstock hilft dabei, spezielle Bodenleitsysteme, auch Blindenleitsysteme genannt, zu erkennen. Der Stock ist für viele blinde Menschen ein wichtiges Hilfsmittel im Alltag. Foto: Patrick Pleul/dpa
Sehtag im Kreishaus

Im Kreis Cuxhaven blind, aber selbstbestimmt durchs Leben gehen

von Denice May | 27.09.2025

Selbstbestimmt durchs Leben gehen, ohne sehen zu können? Das funktioniert. Ob es  besser mit einem Hund oder Blindenstock klappt und welche Hilfsmittel es noch gibt, darüber klärte der Sehtag im Kreishaus in Cuxhaven auf.

Sehende und nicht sehende Besucherinnen und Besucher erkunden die Informationsstände, hören den Vorträgen zu und probieren Hilfsmittel aus. Ein Mann tastet sich vorsichtig mit dem Blindenstock durch den Raum. Er hebt den Stock, tippt auf den Boden, biegt behutsam ab und achtet genau auf jede Veränderung unter seinen Füßen. Man sieht ihm an, wie konzentriert er ist - und wie ungewohnt die Orientierung ohne Augen ist.

Dann fällt der Blick der Besucher auf einen anderen, erfahrenen Wegbegleiter: einen grauen Königspudel, der ruhig neben Nuray Gürler sitzt. Anders als der Mann mit dem Stock navigiert Joshi seine Halterin seit Jahren sicher durch den Alltag. Vorbeigehende Besucherinnen und Besucher beobachten ihn neugierig und bleiben stehen, um zu sehen, wie Hund und Halterin harmonisch als Team agieren.

Nuray Gürler und ihr Blindenführhund Joshi demonstrieren beim Sehtag im Kreishaus Cuxhaven, wie sie gemeinsam den Alltag meistern. Foto: May

Joshi ist kein gewöhnlicher Hund - er ist ein Blindenführhund. Seit 2018 bildet er mit Nuray Gürler ein eingespieltes Team. "Wir verbringen 24 Stunden, sieben Tage die Woche zusammen", sagt sie. Der neunjährige Hund führt seine Halterin sicher durch den Straßenverkehr, zeigt Bordsteine und Treppen an, erkennt Hindernisse und bleibt zuverlässig vor jeder Ampel stehen. Doch so unersetzlich er für Nuray Gürler ist - die Beziehung hat auch ihre Grenzen. "Ins Fußballstadion oder auf ein Rockkonzert würde ich ihn nie mitnehmen. Aber in der Elbphilharmonie war er schon mit dabei."

Und dann sagt sie einen Satz, der den Kern des Themas trifft: "Es muss auch ohne ihn gehen." Denn wer einen Führhund bekommen möchte, muss zuvor beweisen, dass er auch mit einem Blindenstock zurechtkommt.

Hund gegen Stock - zwei Welten der Orientierung

Auf den ersten Blick wirkt der Hund wie die komfortablere Wahl. Nuray Gürler bestätigt das: "Mit Hund ist es angenehmer, weil man mit dem Stock viel mehr herumfummelt." Doch ganz so eindeutig ist es nicht. "Man ist mit einem Hund wie ein Tunnelläufer unterwegs", erklärt sie. Bedeutet: Der Hund filtert Informationen. Bordsteine, Treppen, Hindernisse - all das zeigt er an. Aber kleine Details der Umgebung bleiben verborgen.

Mit dem Stock hingegen tastet man sich aktiv durch die Welt. Jede Unebenheit, jeder Mülleimer, jede Bordsteinkante wird spürbar. Das kostet Konzentration und erfordert Übung - aber es erweitert auch die Wahrnehmung.

Mit dem Blindenstock die Welt erkunden

Braillezeilen erleichtern blinden Menschen den Zugang zu digitalen Informationen und ermöglichen eine selbstständige Nutzung von Computern. Foto: May

Wie man diese Technik erlernt, zeigt Nadine König. Die Reha-Lehrerin schult Kinder und Erwachsene im Umgang mit dem Blindenstock. "Die Handhabung ist nicht schwer", sagt Nadine König, "aber wer vorher optisch orientiert war, muss neue Strategien lernen."

Dazu gehen die Lehrkräfte mit den Schülerinnen und Schülern durch die Straßen, üben an Bordsteinabsenkungen, Ampeln und Bodenindikatoren. Wie lange es dauert, bis jemand sich sicher fühlt, ist sehr unterschiedlich. "Zwischen 20 und 100 Stunden ist alles möglich." Entscheidend sei nicht die Geschwindigkeit, sondern die Sicherheit: Wer den Stock beherrscht, gewinnt ein Stück Unabhängigkeit zurück.

Technik, die Freiheit und Selbstständigkeit schenkt

Eine Besucherin des Sehtages im Kreishaus Cuxhaven testet moderne Lesehilfen für sehbehinderte Menschen. Foto: May

Doch der Alltag besteht nicht nur aus Wegen und Straßen. Auch der Arbeitsplatz spielt eine zentrale Rolle. Patrick Polak, Medizinproduktberater, zeigt am Sehtag moderne Hilfsmittel wie die Braillezeile. Dieses elektronische Gerät übersetzt Texte in Blindenschrift und ermöglicht so, Computer ohne Sprachausgabe zu bedienen. "Man möchte ja nicht, dass der Kollege jede E-Mail mithört", erklärt Patrick Polak. Die Kosten für solche Geräte übernehmen übrigens Rentenversicherung oder Krankenkasse. Für Patrick Polak ist das mehr als eine technische Frage: "Barrieren am Arbeitsplatz zu überwinden bedeutet, ein Stück Freiheit zurückzuerlangen."

Ein taktiles Brettspiel für Blinde und Sehbehinderte: Spielerisches Lernen und Gemeinschaft fördern - das geht auch ohne volles Sehvermögen. Foto: May

Gemeinschaft und Freizeit fördern

Auch die sozialen Aspekte kommen beim Sehtag nicht zu kurz. Am Stand des Blinden- und Sehbehindertenverbands (zu dem auch die Ortsgruppe Cuxhaven gehört) erklärt Petra Wiegratz, warum Austausch so wichtig ist. "Viele Menschen werden nicht ausreichend aufgeklärt. Wir beraten, helfen bei Technikfragen - aber genauso geht es darum, Freizeit miteinander zu gestalten." Zur Demonstration stehen unter anderem eine barrierefreie Version von "Mensch ärgere dich nicht", mit Spielfiguren und einem tastbaren Spielfeld, sowie ein überdimensionales Kartenspiel bereit, Spiele für blinde oder sehbehinderte Menschen gibt es nämlich viele. 

Das Fazit: kein Entweder-oder

Blindenführhund oder Blindenstock? Der Sehtag im Kreishaus Cuxhaven macht deutlich, dass beides Vor- und Nachteile hat. Der Hund gibt Sicherheit und Komfort, der Stock eröffnet Eigenwahrnehmung und Flexibilität. Moderne Technik sowie Beratungs- und Freizeitangebote ergänzen diese Möglichkeiten. Es gibt also nicht den einen richtigen Weg. Entscheidend ist, dass blinde und sehbehinderte Menschen die Wahl haben, welcher Weg für die der richtige ist.

Ein überdimensionales Kartenspiel für sehbehinderte Menschen ermöglicht gemeinsames Spielen und fördert die Inklusion. Foto: May

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Denice May

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

dmay@no-spamcuxonline.de

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