
KOSTLICHE KUSTE 19
»Innereien sind Delikatessen,
bloß bei uns weiß
man es nicht«
WOLFRAM SIEBECK
Gastronomiekritiker, Journalist
und Buchautor. 1928-2016
sich inzwischen auch viele
deutsche Köche und Fleischerzeuger
mit diesem Thema
auseinandergesetzt und
praktizieren die möglichst
komplette Verwertung der
Tiere. Nicht nur aus ethischen
Gründen, denn es gibt auch
eine ganze Reihe „kulinarischer
Freuden“, die jenseits
des Filets zu finden sind.
EINE FRAGE VON KULTUR UND
SOZIALEM HINTERGRUND
Für die Zubereitung schmackhafter
Gerichte eignen sich
fast alle Teile des Schlachtkörpers.
Die Frage, welche Teile man
als „essbar“ deklariert, findet
ihre Wurzeln in den unterschiedlichen
Kulturen, sozialem
Hintergründen und –
nicht zuletzt in den individuellen
Vorlieben.
Zum Beispiel gelten Kutteln
in Frankreich und Italien als
Delikatesse (Kutteln sind in
Streifen geschnittene Pansen
aus dem Magen von Wiederkäuern).
Trauen Sie sich: Bestellen
Sie in ihrem nächsten
Frankreich- oder Italienurlaub
„Tripes à la mode de Caen“
oder „Trippa alla Romana“ –
ein kulinarischen Erlebnis der
Extraklasse!
INNEREIEN FORDERN DES
KOCHES GANZES KÖNNEN
In der Tat setzt ganzheitliches
Kochen viel mehr Wissen,
Erfahrung und Fingerspitzengefühl
voraus, als es braucht,
um ein Schnitzel zu braten. Je
„unedler“ ein Stück ist, desto
größer Aufwand und Zeit, die
es kostet, daraus eine genussvolle
Mahlzeit zu kreieren.
Kennt der Koch zum Beispiel
die richtige Garmethode für
Schweinsbäckchen, wird daraus
eine echte Delikatesse
mit zartem Schmelz und
unvergleichlichem Aroma ‒
kennt er sie nicht, macht er
daraus ein fades Stück Schuhsohle...
Mit ihrem Ganzheitlichkeit ist
die Nose-to-Tail-Küche auch
eine gute Antwort auf die
in den westlichen Ländern
grassierende Verschwendung
von Lebensmitteln – allein
in Deutschland 12 Millionen
Tonnen im Jahr.
Allerdings verlangt die Noseto
Tail-Küche ein wenig mehr
Flexibilität, denn auf den Tisch
kommt, was gerade da ist. Das
kann ein Steak sein, aber auch
Erbsensuppe mit Schweineohr,
gebackener Kalbskopf oder
Leber Berliner Art. Eins aber
ist sicher: Die neue Vielfalt
auf dem Teller erweitert das
persönliche Geschmacksspektrum
ungemein. (GA)
DAS REZEPT ZUM NACHKOCHEN:
GEPÖKELTE RINDERZUNGE
ZUTATEN FÜR 6 PORTIONEN: 1 Zunge vom Rind, frisch, nicht gepökelt,
ca. 1 kg, 1 Bund Suppengrün, (Lauch, Karotten, Sellerie),
½ Zwiebel(n), 5 Körner Pfeffer, 2 EL Mehl, 2 EL Butter, 3 EL Meerrettich,
(Glas) oder entsprechen frisch gerieben, 100 ml Sahne,
Salz, Pfeffer
ZUBEREITUNG (Arbeitszeit ca. 40 Minuten): Die halbierte Zwiebel
(incl. Schale) auf der Herdplatte oder einer Pfanne auf der
Schnittfläche dunkel und ohne Fett anrösten.
Die Zungen gründlich unter fließendem Wasser waschen und mit
dem Suppengrün, den Pfefferkörnern und der halben gerösteten
Zwiebel in ca. 3 Liter Wasser zum Kochen bringen und gar
kochen. Brühe durch ein Sieb geben und aufbewahren.
Die Zungen von der ledrigen, weißen Außenhaut befreien, sprich
„schälen“ und in Scheiben schneiden.
In einem Topf die Butter zerlassen und das Mehl hellgold anschwitzen
und mit der Zungenbrühe unter rühren mit dem
Schneebesen aufgießen, Menge je nachdem wie dick man die
Soße haben möchte.
Soße ca. 10 min leise köcheln lassen. Zum Schluss mit Salz,
Pfeffer, Sahne und Meerrettich würzig abschmecken. Evtl. eine
klitzekleine Prise Zucker beigeben (ist Geschmackssache).
Am Besten schmeckt das Ganze mit Salzkartoffeln mit viel frischer
Petersilie, evtl. Kartoffelpüree und Buttergemüse (Karotten
oder gemischt) oder Kohlrabi.