Lilly Bajema macht Selfies mit Schülern der Cadenberger Partnerschule in Akwatia. Foto: Bolowski
Lilly Bajema macht Selfies mit Schülern der Cadenberger Partnerschule in Akwatia. Foto: Bolowski
Schulpartnerschaft

Eine Woche im Schulalltag in Ghana: Cadenberger Schüler erleben die Realität

von Redaktion | 07.11.2024

Schülerinnen und Schüler aus Cadenberge, Lehrerinnen und Vertreter des Rotary Clubs Otterndorf-Land Hadeln reisten nach Ghana, um die Partnerschule der Schule Am Dobrock in Akwatia zu besuchen und das Schulleben eine Woche lang kennenzulernen.

"Schule gegen Rassismus" ist das Leitmotiv der Schule Am Dobrock in Cadenberge. Eine Gruppe aus sechs Lehrerinnen, Schülerinnen und einem Schüler hatte Gelegenheit, das Motto umzusetzen: Bei einer Reise nach Ghana konnten sie im Kontakt mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen, Mitschülerinnen und Mitschülern das Leben und den Schulalltag eine Woche lang hautnah kennenlernen und miterleben.

Es begann im Jahr 2006 mit einem Kuchenverkauf der Klasse 5c und ihrer Klassenlehrerin Sabine Wöpking zugunsten aidskranker Kinder im St. Dominic's Hospital in Akwatia. Sabine Wöpking und die Schule generierten regelmäßig weiter Gelder. 2012 gingen die Schule Am Dobrock und die St. Domenic's School eine Schulpartnerschaft ein. Ende 2023 war klar, dass eine kleine Delegation nach Ghana reisen solle. Der Rotary Club Otterndorf-Land Hadeln unterstützte das Vorhaben  finanziell. Mit allem ausgestattet starteten die Schüler Lilly Bajema und Jeronimo Kampmeier, die Lehrkräfte Cornelia Gaßman und Katja Bolowski, die pädagogische Mitarbeiterin Sandra Brede, die Schülerin des Gymnasiums in Otterndorf Leonie Gaßmann sowie die Clubmitglieder Dr. Klaus-Gerrit Gerdts und Dr. Hubert Gründing zu ihrem außerschulischen Lernort.

Nach einer Übernachtung in Ghanas Hauptstadt Accra ging es weiter nach Akwatia zum St. Domenic‘s Hospital und der Partnerschule. Für die Strecke von etwa 120 Kilometern benötigte der Bus auf Sandstraßen mit tiefen Schlaglöchern vier Stunden. Es ging vorbei an Motorrädern, die mit mehreren Personen besetzt waren, dazwischen wenige mutige Radfahrer und mobile Shops: Ghanaer, die auf dem Kopf tragend ihre Waren wie gekühlte Getränke, Snacks, Brot oder Pinsel direkt am Auto verkaufen.

Jahrelanger Kampf gegen AIDS

In Akwatia traf die Gruppe auf die Leiterin des Krankenhauses Dr. Maite Alfonso Romero, die 2010 die Schule Am Dobrock besuchte. Mit ihr legte Dr. Gerdts den Grundstein für das Projekt in Ghana, bei dem es Ziel war, Babys von HIV-positiven Müttern vor der AIDS-Erkrankung und dem Tod zu retten. Mittlerweile stecken die HIV-positiven Mütter ihre Babys nicht mehr an und können dank guter Medikation ihre Kinder noch einige Jahre aufwachsen sehen.

Die Schulleiterin der St. Domenic‘s School, Sister Victoria, wurde kürzlich als beste Schulleiterin Ghanas ausgezeichnet. Gemeinsam mit ihrem Kollegium und allen Schülern begrüßte sie die Gäste aus Deutschland mit ihrem Morgenritual: Jeden Morgen treffen sich alle nach dem Putzen der Klassenräume zur Versammlung zum Singen der Nationalhymne und zum Beten. Musikalisch werden sie von ihrer Band unterstützt. Die Kinder stehen nach Klassen sortiert in geraden Reihen. Alle Schüler tragen eine gelb-weiße Schuluniform. Die Schulleiterin und zwei der Gäste halten kurze Reden. Es wurden Geschenke ausgetauscht und bevor die Schüler klassenweise zurück in ihre Unterrichtsräume marschierten, gab es eine Tanzvorführung, bei der das Rhythmusgefühl der Kinder beeindruckte.

Der Empfang der Gäste war herzlich, Tränen der Rührung flossen. Die Cadenberger Schüler Lilly und Jeronimo überreichten im Namen ihrer Schule Sister Victoria 2000 Euro, die aus "Arbeiten für Ghana", Pfandflaschen-Spenden, Geldspenden von Freunden, Kollegen und Sterneverkauf zusammengekommen sind.

Jeronimo Kampmeier musste in Akwatia viele Fragen beantworten. Foto: Bolowski

Unterricht mit großer Disziplin

Nach dem Essen wurde im Unterricht hospitiert: 46 bis 59 Kinder saßen in einem Klassenraum. Vor dem scheibenlosen Fenster spielten die Kindergarten-Kinder. Trotzdem waren die Schüler konzentriert. Oftmals waren die Fragen so gestellt, dass alle gleichzeitig antworteten. Es gab ein Klatsch-Ritual, um eine gute Antwort anzuerkennen. War die Antwort weniger gut, wurde leiser geklatscht. Bei Gruppenarbeiten saßen zehn Kinder zusammen und teilten sich die Aufgaben. Anschließend kam einer aus jeder Gruppe nach vorn und trug vor. Nach dem Unterricht hatten die ghanaischen Kinder viele Fragen an die deutschen Jugendlichen, bevor die Gruppe die Fahrt nach Amasaman antrat. 

Nach dreistündiger Fahrt erreichte der Kleinbus das Waisenhaus mit Internat in Amasaman, in dem die Cadenberger untergebracht wurden. Waisenhaus, Internat, Kindergarten, Primar- und Sekundarschule werden von den Ordensschwestern der Handmaids Of The Divine Redeemer geleitet. Die Kinder hatten die Gäste erwartet und begrüßten sie mit deutschen Worten: "Willkommen! Guten Abend!" und sangen und tanzten. Schulleiterin Sister Kizita empfing die Ankommenden wie ihre eigene Familie. Die Unterbringung erfolgte im Internatsgebäude. Jeronimo und Lilly bekamen jeweils ein Bett im Zimmer der "Prefects". "Prefects" sind Schüler und Schülerinnen, die sich vorbildlich verhalten und besondere Verantwortung tragen. Lilly hatte einige schöne Nächte bei den Mädchen: Manchmal gab es nachts eine spontane Tanzparty oder einen Kurs, wie man Gegenstände auf dem Kopf trägt.

Ghanaische Hymne, Schulhymne und die deutsche Nationalhymne

An den nächsten Tagen erwarteten die Reisegruppe viele Einblicke in den Schulalltag in Amasaman: Jeden Morgen stehen die ersten Schüler um 4.30 Uhr auf, um die Klassen und das Gelände zu reinigen. Nach dem Morgengebet und dem Frühstück kommen die Kinder aus den umliegenden Dörfern in der Schule an. Der Schultag startet mit einer Assembly (Versammlung) im Schatten unter Bäumen. Zum Morgen-Ritual gehören neben der ghanaischen Hymne die Schulhymne und die deutsche Nationalhymne. Dabei werden Fahnen gehisst - die ghanaische, die Schulflagge und die deutsche Flagge.

Beeindruckend war die Abakus-Stunde, bei der die jüngeren Schüler im Kopfrechnen trainiert wurden. Alle Kinder antworteten gleichzeitig und sehr schnell. Kürzlich hat die Klasse erstmals an einem Abakus-Wettbewerb teilgenommen - und gewonnen.

Einmal in der Woche treffen sich die Schülern in "Clubs". Alle Jahrgänge sind gemischt und finden sich nach Interessen zusammen: Es gibt einen Debattierclub, bei dem die Kinder zu Thesen eine eigene Meinung finden und begründen. Der Trommelclub sorgt für Rhythmus, die Schüler des Tanzclubs finden sich daneben ein. Im Science/MINT-Club gilt es, Flaschen zu Weihnachtsschmuck upzucyclen.

Für das Fach Creative Arts sitzen über 100 Kinder aus den Klassen 1 bis 6 im Halbkreis um den Versuchsaufbau herum. Der Lehrer führt das Experiment vor, ein weiterer Kollege assistiert und eine Kollegin behält die jüngsten Kinder im Blick. Alle Schüler sind konzentriert. Die Jüngeren schauen sich das disziplinierte Verhalten bei den Älteren ab.

Geburtstagskinder und auch die Gäste werden gesegnet

Beim Kadettentraining üben die Kinder das Marschieren und die Cadenberger ließen es sich nicht nehmen, daran teilzunehmen. Einmal in der Woche ist eine Heilige Messe, zu der ein Priester aus dem Dorf in die Schule kommt. Die Geburtstagskinder und auch die Gäste werden gesegnet. Der Unterricht endet um 15.30 Uhr. Dann machen die Kinder, die im Internat und im Waisenhaus leben, ihre Hausaufgaben. Anschließend haben sie Zeit, ihre Wäsche zu waschen oder zu spielen.

Die deutschen Gäste hatten den Eindruck, dass die Kinder und Jugendlichen wenig Zeit für eigene Freizeitgestaltung hätten. Schulleiterin Kizita: "Gib den Kindern Aufgaben, sonst verschwenden sie ihre Zeit." Nach dem Abendessen ist für alle "Prep" verpflichtend. Prepare bedeutet Vorbereitung. Die Schüler haben 90 Minuten Zeit, sich auf den nächsten Tag vorzubereiten. Die meisten sind schon im Pyjama - auch einige Lehrkräfte.

Einmal in der Woche treffen sich die Lehrkräfte für Besprechungen oder zur Fortbildung. Mit den Lehrkräften aus Cadenberge tauschten sie sich über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem deutschen und dem ghanaischen Schulsystem aus. Bei den Energizern (Konzentrationsspiele) gab es viel zu Lachen. In Ghana gibt es dreimal im Schuljahr Zeugnisse. Die Klassenbesten werden zum Mittagessen bei der Schulleiterin eingeladen.

Treffen mit HIV-positiven Müttern und ihren Babys in Akwatia. Foto: Bolowski

"Today it's Fun-Day!"

Am Freitag erschienen alle Kinder in bunter Sportkleidung. Eine Schülerin erklärte: "Today it's Fun-Day!" Der startete mit Aerobic. Bei 30 Grad im Schatten, lauten Beats und Motivation der Lehrkräfte verbreitete sich Partystimmung. Der Schulleiter tanzte mit den Kindergartenkindern. Auch als die Musik zu Ende war, tanzten die Lehrkräfte weiter, sangen und schlugen den Rhythmus auf den Trommeln.

Die jüngsten Schüler trugen ein Fußball-Match aus. In Deutschland nimmt man bei jüngeren Spielern kleinere Tore und stellt sie näher zusammen. In Ghana spielen einfach mehr Kinder in einer Mannschaft: 18 Kinder und zwei Lehrkräfte bildeten eine Mannschaft aus Kindergartenkindern, Erst- und Zweitklässlern. Ein Lehrer kommentierte alle Spiele mit Begeisterung, die Zuschauer folgten gebannt. Jedes Tor wurde bejubelt. Auch die drei Jugendlichen aus Cadenberge wurden unter Hallo in die Mannschaften der 8. und 9. Klassen integriert. Um 12 Uhr ertönte eine Klingel und alle standen auf, hielten inne, das Fußballspiel stoppte abrupt. Über die Lautsprecher sprach ein Lehrer das Gebet, alle beteten mit. Die Liebe zum Kind und zum Beruf ist bei den Lehrkräften allgegenwärtig spürbar, das Verhältnis untereinander ist herzlich und familiär.

Bewegend war die Begegnung von Dr. Gerdts mit den Zwillingen Isabella und Gabriella, die er vor zwölf Jahren kennengelernt hat. Ihre Mutter nahm am Programm teil und rettete damit das Leben ihrer Kinder. Heute sind beide ehrgeizige Schülerinnen, mit klaren Zielen vor Augen, Ärztin und Juristin zu werden.

Die Kinder gehen gern in die Schule und verstehen Bildung als einzige Chance auf ein besseres Leben. Ohne Schulabschluss droht ein Leben auf der Straße in Armut. 

Kakao ist die wirtschaftliche Grundlage Ghanas

Gemeinsam mit zehn Jugendlichen und drei Lehrkräften aus Amasaman unternahm die deutsche Reisegruppe einen Ausflug in ein Dorf in der Nähe. Die Schulleitung und die Dorfältesten begrüßten die Gruppe. Zunächst wurde eine staatliche Schule besucht. Die Ausstattung war spärlich und in einem erbärmlichen Zustand. Die Kinder in blauer und beiger Schuluniform hatten noch nie "Obronis" ("Weiße") gesehen und fanden es spannend, die Hand zu geben oder abzuklatschen. Auf einer Kakaofarm wurden gesunde und kranke Pflanzen in verschiedenen Stadien gezeigt, die Kakaobohne gekostet und die wirtschaftlichen Hintergründe beleuchtet. Zweimal im Jahr wird Kakao geerntet. Ghana produziert zusammen mit der Elfenbeinküste die Hälfte des weltweiten Kakaos. Die Kleinbauern haben durch überalterte Plantagen, Viruserkrankungen der Pflanzen und zunehmender Trockenheit durch den Klimawandel zu kämpfen.

Am letzten Tag in Amasaman war die Assembly festlich und emotional. Die Gäste waren vom ersten Moment an "Familienmitglieder" und wurden auch so verabschiedet, im Gefühl der Dankbarkeit unter Tränen. Die Jugendlichen hatten eine enge Verbundenheit aufgebaut.

Sklavenfestung erinnert an ein dunkles Kapitel der Geschichte

Bedrückend war für die Reisegruppe die Führung durch Elmina Castle, eine ehemalige Sklavenfestung. In Westafrika wurden früher Dörfer überfallen und die Bevölkerung versklavt. Diese wurden dann nach Elmina gebracht, um sie in die USA, nach Südamerika und in die Karibik zu verkaufen und zu verschiffen. In dunklen, schlecht belüfteten Kerkern wurden je 150 Frauen und Männer getrennt für drei Monate untergebracht. Sie lagen in ihren Exkrementen. Die Frauen kamen nur ans Tageslicht, um vom Gouverneur vergewaltigt zu werden. Elmina Castle wurde von den Portugiesen erbaut, später von Niederländern erobert und ging schließlich in britischen Besitz über. Die westafrikanische Bevölkerung habe von offizieller Seite nie Entschuldigungen erfahren. St. George's Castle ist heute eine der touristischen Hauptattraktionen Ghanas und seit 1979 Weltkulturerbe. Es kommen viele Nachkommen der Sklaven hierher, um ihrer Vorfahren zu gedenken.

Beim Rotary Club werden die Schülerinnen und Schüler mit ihren Lehrerinnen einen Vortrag halten. Für die interessierte Öffentlichkeit wird es am Mittwoch, 13. November, um 18 Uhr in der Schulaula Gelegenheit geben, mehr über die Reise zu erfahren. Der Eintritt ist frei, Spenden fließen direkt ins Projekt. (Von Katja Bolowski)

Geschenkübergabe in Amasaman. Foto: Bolowski

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