Gegen das Vergessen: Im Cuxland erinnern 57 Stolpersteine an die Opfer der Nazis
Man findet sie in vielen deutschen und europäischen Städten: Stolpersteine - Messingtafeln am Boden mit den Namen von NS-Opfern. Im Cuxland erinnern 57 Stolpersteine an Menschen, die dem Terror des Nazi-Regimes ausgesetzt gewesen sind.
Gunter Demnig hat eine Mission. Überall dort, wo die Nationalsozialisten gewütet haben, will der Künstler an ihre Verbrechen erinnern. Und er möchte den Opfern des Holocaust ihre Namen und ihre Würde zurückgeben, denn wie heißt es im Talmud: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist."
Deswegen reist Gunter Demnig tagaus, tagein von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf, um seine Stolpersteine zu verlegen: zehn mal zehn Zentimeter kleine Messingplatten, die in die Gehwege vor den Wohnhäusern eingelassen werden und auf das Schicksal der früheren Bewohner aufmerksam machen.
Die ersten Stolpersteine verlegte der gebürtige Berliner Anfang der 1990er-Jahre inoffiziell und ohne Genehmigung vor dem Kölner Rathaus. Seitdem hat sich Demnigs Projekt längst zur weltweit größten dezentralen Gedenkstätte entwickelt. Inzwischen gibt es Stolpersteine in mehr als 1200 deutschen Städten und Gemeinden und in 31 Ländern Europas. Jedes Mal reist Gunter Demnig mit Schlagbohrer, Stemmeisen und Kelle an, zersägt eine Gehplatte und setzt den metallbeschichteten Stein mit der Inschrift ein.
Wer sind die Menschen, an die die goldenen Steine erinnern?
Im Landkreis Cuxhaven gibt es bislang 57 Gedenkplatten, die Namen, Geburts- und Todestag der Nazi-Opfer zeigen. Die ersten Stolpersteine wurden im Oktober 2012 in der Stadt Cuxhaven verlegt. Weitere Steinverlegungen erfolgten in Beverstedt, Ihlienworth, Osten, Loxstedt und Hagen. Wer sind die Menschen, an die die goldenen Stolpersteine erinnern? Stellvertretend für die vielen Opfer der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nazi-Diktatur stellen wir vier Schicksale vor.
Oskar Dankner: Oskar Dankner, Kinobesitzer und Betreiber eines Wäsche- und Strumpfgeschäftes, war einer der ersten Juden in Cuxhaven, der den antisemitischen Terror des Hitler-Regimes am eigenen Leibe zu spüren bekam. Die gegen ihn gerichtete Hetzkampagne gipfelte am 27. Juli 1933 in einer öffentlichen Anprangerung, bei der Dankner zusammen mit seiner angeblichen "Mätresse" Adele Edelmann, einer Nichtjüdin, mit einem Schild um den Hals durch die Straßen der Stadt getrieben wurde. Das dabei entstandene Bild ging um die Welt und wurde in vielen Schulbüchern abgedruckt. Dankner wurde 1937 verhaftet und starb 1938 im Gefängnis Glatz. Vor dem ehemaligen Gloria-Kino an der Deichstraße 20 wurde am 13. Oktober 2012 für Oskar Dankner ein Stolperstein verlegt.
Betty Grünefeld: Betty Grünefeld, geborene Rosenberg, war eine fürsorgliche Frau. Das sagt Inge Pomerin, ihre älteste noch lebende Enkelin. Sie hat Grünefeld noch persönlich kennengelernt und viel Zeit bei ihr in Stotel (heute Einheitsgemeinde Loxstedt) verbracht. Betty Grünefeld wurde im Jahr 1865 geboren. Ihr Ehemann Gottlieb Ferdinand kam aus Berlin. Seine Eltern waren gegen seine Heirat mit einer Jüdin. Trotz der Widerstände bauten die beiden in Stotel ein Haus, bekamen Kinder, die sie protestantisch erzogen und mit denen sie in die Kirche gegangen sind. Als Betty Grünefeld deportiert wurde, war sie fast 80 Jahre alt. Sie starb 1943 in Theresienstadt. Seit November 2019 erinnert ein Stolperstein vor dem Haus "An der Kirche 10" in Stotel an Betty Grünefeld.
Georg Arp: An der Hauptstraße 38 in Ihlienworth betrieb Georg Arp zusammen mit seiner Frau Erna eine Gastwirtschaft. Beim NS-Regime machte er sich erstmals unbeliebt, als er einer jüdischen Arbeitsgruppe, die 1939/1950 an der Emmelke schwere Entwässerungsarbeiten verrichtete, mit Essen versorgte. Daraufhin wurde er als "Judenfreund" beschimpft. Anfang 1943 sagte Arp in seiner Gastwirtschaft den folgenschweren Satz: "Wenn ihr wüsstet, wofür ihr kämpft, hättet ihr die Gewehre schon lange umgedreht." Daraufhin wurde er verhaftet und in das Cuxhavener Gefängnis gebracht. Im November 1944 kam er erneut hinter Gittern. Am 26. Januar 1945 wurde er ohne Gerichtsurteil im Gefängnis Berlin-Moabit erhängt. Auf Initiative des Heimat- und Kulturvereins verlegte Gunter Demnig im Juli 2014 einen Erinnerungsstein für Georg Arp in Ihlienworth.
Adolf Leo Philippsohn: Adolf Leo Philippsohn wurde 1899 in Osten geboren. Er betrieb ein Geschäft mit Fellen, gehörte dem Gemeinderat an und traf sich mit Freunden regelmäßig zum Kegeln. Seit 1926 war er mit Irmgard Philippsohn verheiratet und hatte eine Tochter. Sie lebten zusammen im Haus Deichstraße 39. Der Versuch einer Flucht in das Ausland nach den Novemberpogromen scheiterte an einem fehlenden Stempel. Am 17. November 1941 verließ Familie Philippsohn über die Schwebefähre den Ort zur Deportation nach Bremen. Von dort wurde die Familie am 18. November 1941 in das Ghetto Minsk deportiert und gilt seitdem als verschollen. Vier Stolpersteine, die im November 2011 verlegt wurden, erinnern in Osten an die Familie Philippsohn.
