
Häusliche Pflege in Gefahr: Dienste im Kreis Cuxhaven senden SOS
Pflegedienste im Kreis Cuxhaven stehen vor dem Aus, da Krankenkassen die Vergütungen kürzen. Die Versorgung von Patienten ist akut gefährdet, warnt Carmen Lüke, die Pflegedienste in Cadenberge und Altenwalde betreibt. Es droht Versorgungsnotstand.
Pflegedienste in Niedersachsen senden SOS. Sie sehen akute Gefahr für die häusliche ambulante Pflege. Carmen Lüke betreibt die Pflegedienste Pflegeengel und Zeitkreis mit Sitz in Cadenberge beziehungsweise Altenwalde. Sie beschreibt eine dramatische Situation: "Die Frage ist, ob wir die medizinische Pflege in Zukunft noch leisten können, denn wir zahlen dabei zurzeit in vielen Bereichen drauf." Dazu zählten Leistungen wie das fachgerechte Spritzen von Insulin, eine adäquate Wundversorgung oder das Anziehen von Kompressionsstrümpfen. "Wenn wir das nicht mehr machen können, müssen die Patienten für solche Leistungen in die Hausarztpraxen oder Kliniken. Man stelle sich das einmal nur vor …", beschreibt Carmen Lüke den Ernst. Sie prognostiziert eine Existenzbedrohung: "Für viele Pflegedienste wird es das Aus bedeuten."
Auf dem Rücken der Pflegebedürftigen
Hintergrund der Kostenexplosion ist neben den zu Jahresbeginn gestiegenen Personalkosten vor allem die Haltung der niedersächsischen Krankenkassen. In einem offenen Brief hat sich die Landesarbeitsgemeinschaft der Verbände der privaten Pflegeeinrichtungen in Niedersachsen (LG PPN) bereits an Ministerpräsident Weil, Landesgesundheitsminister Philippi und Bundesgesundheitsminister Lauterbach gewandt. In einem gemeinsamen Schreiben stellt sie mit Bedauern und Unverständnis fest, dass die niedersächsischen Krankenkassen den Kampf auf dem Rücken der pflegebedürftigen Menschen und der ambulanten Pflegedienste im Land austragen und kündigen rechtliche Schritte an.
Ihr Vorwurf: Die Krankenkassen hätten die Vergütungsverhandlungen zu den Leistungen der häuslichen Krankenpflege einseitig scheitern lassen und gefährdeten damit die Versorgung der Pflegebedürftigen in Niedersachsen. In anderen Bundesländern würden die Leistungen durch die Kassen eins zu eins refinanziert - nur in Niedersachsen nicht. Intensive Verhandlungen auf Landesebene seien an dieser Blockadehaltung der Krankenkassen gescheitert, kritisiert der Zusammenschluss der privaten Pflegedienste. Obwohl die Gehaltserhöhungen nach dem regional üblichen Entgelt seit Jahreswechsel mehr als 10 Prozent betragen, sehe das Angebot seitens der Krankenkassen weiterhin lediglich eine Vergütungserhöhung auf Höhe der Grundlohnsummensteigerung um 4 Prozent an.
Die Auswirkungen müssen Arbeitgeber wie Carmen Lüke wirtschaftlich kompensieren. Sie beschäftigt zahlreiche Kräfte in Stadt und Landkreis Cuxhaven. Insgesamt rund 70 Angestellte kümmern sich momentan in ihren Pflegediensten sowie den beiden Wohngemeinschaften in Otterndorf um 400 Patientinnen und Patienten. Das Einzugsgebiet liegt in ganz Cuxhaven und dem nördlichen Kreisgebiet. Von Nordholz bis Freiburg (Elbe) sind ihre Pflegekräfte unterwegs.
"Wir haben immer weniger Zeit, auf die Bedürfnisse der Patienten einzugehen", sagt Carmen Lüke und bedauert: "Aber es geht hier doch um Menschen und nicht um Zahlen." Beispiele gibt es einige: In der Wundversorgung sind den Kassen einige Verbände zu teuer, eine vorherige Blutzuckerbestimmung vor Insulingabe oder die Medikamentengabe seien nicht mehr im Leistungskatalog vorgesehen.
"Das belastet auch die Pflegekräfte psychisch"
Jörg Schwarzer, Leitung der beiden Otterndorfer Pflege-Wohngemeinschaften und Palliativ-Fachkraft kritisiert, dass so die fachgerechte Umsetzung von Pflege ausgebremst werde, weil sie schlichtweg am Geld scheitert. "Das belastet auch die Kräfte psychisch, die dies den alten Menschen erklären müssen", weiß Schwarzer. Fachlich könnten die Pflegekräfte nicht umsetzen, was der Patient eigentlich benötigt. Die Folge sei Improvisation. So etwas erzeugt nicht nur Frust beim Personal. "Das weckt auch Wut" weiß Schwarzer. Jahrelang seien Pflegekräfte unterbezahlt worden, aber jetzt, wo eine angemessene Bezahlung erfolge, könnten es die Arbeitgeber nicht auffangen, weil es nicht entsprechend durch die Kassen refinanziert werde. Carmen Lüke jedenfalls möchte sich nicht geschlagen geben und kämpft für angemessene Finanzierung durch die Kassen. Landrat und Politik hat sie bereits eingeschaltet, um auf die Missstände deutlich zu machen.