In der vergangenen Woche gab es einen tödlichen Tauchunfall im Kreidesee Hemmoor: Der Taucher hatte vermutlich gesundheitliche Probleme.
In der vergangenen Woche gab es einen tödlichen Tauchunfall im Kreidesee Hemmoor: Der Taucher hatte vermutlich gesundheitliche Probleme.
"Anspruchsvoll, nicht gefährlich"

Nach Tauchunfall in Hemmoor: Experte warnt - "Nicht der See ist das Problem"

von Tim Larschow | 16.10.2025

Nach dem tödlichen Unfall im Kreidesee (7. Oktober 2025) ist in den Medien wieder vom "Todessee" die Rede. Tauchmediziner und Taucher Dr. Kersten Freytag widerspricht. Er warnt vor Nachlässigkeit bei medizinischen Untersuchungen und Ausbildung. 

Am Dienstag, 7. Oktober, ereignete sich im Kreidesee Hemmoor (Kreis Cuxhaven) erneut ein tragischer Tauchunfall. Zwei Taucher gerieten während eines gemeinsamen Tauchgangs in Schwierigkeiten. Einer von ihnen konnte seinen Partner, der in rund neun Metern Tiefe offenbar gesundheitliche Probleme bekam, noch an die Oberfläche bringen. Trotz sofortiger Hilfe durch Notarzt und Rettungskräfte verstarb der Mann am Einsatzort.

Wieder stellt sich die Frage: Wie sicher ist der Kreidesee - und welche Rolle spielt die gesundheitliche Verfassung der Taucher? Hausarzt, Tauchmediziner und Tauchlehrer Dr. Kersten Freytag aus Hamburg hat darauf eine klare Antwort: "Der Kreidesee ist eines der sichersten Tauchgewässer, die ich kenne. Das Problem ist fast nie der See - sondern fehlende Ausbildung oder gesundheitliche Defizite."

Freytag weiß, wovon er spricht. Der Mediziner ist seit mehr als 40 Jahren aktiver Taucher, hat über 2000 Tauchgänge absolviert und ist Mitglied der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM). In seiner Praxis führt er regelmäßig Tauchtauglichkeitsuntersuchungen durch.

Diese Untersuchung sei, so Freytag, "der wichtigste Schutz für jeden Taucher". Die GTÜM gibt klare Richtlinien vor: Bis 18 Jahre sollte jährlich untersucht werden, bis 40 alle drei Jahre, danach wieder jedes Jahr. "Leider gibt es immer noch Menschen, die ohne jede Untersuchung tauchen", sagt er. Dabei erkenne man beim Belastungs-EKG häufig Herzrhythmusstörungen oder andere Probleme, die im Alltag unbemerkt bleiben würden - unter Wasser aber lebensgefährlich sein können.

Kontrollen in Hemmoor strenger als anderswo

Seit dem jüngsten Vorfall fordern Kritiker ein Tauchverbot für den Kreidesee. Das lehnt Freytag entschieden ab. Der Kreidesee sei in puncto Sicherheit vorbildlich. "Ich wurde nirgends so oft nach der Tauchtauglichkeit gefragt wie dort - und ich tauche seit 1981", berichtet Freytag. In Ägypten und an vielen anderen Tauchbasen in Deutschland werde leider häufig nicht kontrolliert. Dort dürfe man selbst einen Bogen ausfüllen - "aber das ist nicht dienlich, und es wäre schön, wenn sich das ändert." 

Er beschreibt die Bedingungen im See als anspruchsvoll, aber nicht gefährlich: "Wenn die Sonne scheint, hat man in 50 Metern Tiefe gute Sicht. Zieht eine Wolke vor, wird es plötzlich dunkel - das kann unerfahrene Taucher in Panik versetzen. Wer aber gut ausgebildet und psychisch gefestigt ist, kommt damit klar. Doch ich habe schon selbst Leute gesehen, die dann Panik bekommen haben und meinten, schnell aufsteigen zu müssen", berichtet der Experte.

Der Kreidesee ist kein Unfallschwerpunkt

Trotz einzelner Tragödien gilt der Kreidesee nicht als Unfallschwerpunkt. Der Betreiber der Hemmoorer-Tauchbasis Holger Schmoldt betont regelmäßig, dass die Sicherheitsvorgaben über internationalen Standards liegen. Laut seinen Angaben ereignet sich dort im Schnitt alle zwei Jahre ein tödlicher Unfall - bei bis zu 40.000 Tauchgängen pro Jahr.

"Statistisch gesehen sterben weltweit etwa einer von 10.000 Tauchern jährlich. Wir liegen deutlich darunter", sagt Schmoldt. "Was wirklich nötig wäre, ist eine Verbesserung der internationalen Ausbildungsstandards", so der Betreiber. Das bestätigt auch Freytag: "Der Kreidesee ist eines der sichersten Tauchgewässer - mit das sicherste, was man sich vorstellen kann."

Freytag appelliert an alle Taucher, sich regelmäßig untersuchen zu lassen - und zwar bei einem Arzt, der bestenfalls selbst Erfahrung mit dem Tauchsport hat: "Unter Wasser herrschen ganz andere Bedingungen. Stress, Kälte und Dunkelheit können körperlich und mental fordern. Wer da nicht fit ist, bringt sich und andere in Gefahr."

Der Arzt geht selbst mit gutem Beispiel voran: "Meine eigene Untersuchung lasse ich regelmäßig von einem Kollegen machen, den ich ausgebildet habe. Abschließend muss man sagen, dass der Kreidesee nicht das Problem ist."

Dr. Kersten Freytag. Foto: Freytag

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Tim Larschow

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

tlarschow@no-spamcuxonline.de

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