Rechtsradikalismus beschränke sich keineswegs nur auf das Thema Integration. Die Palette der Feindbilder sei breit: Europa, Islam, Feminismus, Liberalismus, LGTBQI+, Kommunismus, erläuterte Dr. Bartek Pytlas. Foto: Brettschneider
Rechtsradikalismus beschränke sich keineswegs nur auf das Thema Integration. Die Palette der Feindbilder sei breit: Europa, Islam, Feminismus, Liberalismus, LGTBQI+, Kommunismus, erläuterte Dr. Bartek Pytlas. Foto: Brettschneider
Rechtsradikalismus Europa

Vortrag im Rathaus Hemmoor: "Sie behaupten, die echten Demokraten zu sein"

von Bengta Brettschneider | 24.11.2025

In Hemmoor erläutert Dr. Bartek Pytlas, wie rechtsradikale Parteien Europa verändern: von Randgruppen zu Akteuren in etablierten Parlamenten, wie sich Parteien nach rechts verschieben und welche Folgen das für Zivilgesellschaft und Demokratie hat.

Von Bengta Brettschneider

Hemmoor. Der Landkreis Cuxhaven und das Kranichhaus Otterndorf hatten im Rahmen des Themenjahres zu Erinnerungskultur und Demokratieförderung zu einer Lesung in den Ratssaal Hemmoor eingeladen. Dr. Bartek Pytlas referierte zum Thema "Wie Rechtsradikale Europa verändern: Vom Rand ins Herz der Politik". Die drei Schwerpunkte des Abends waren die Definition von Rechtsradikalismus, der Rechtsruck in Europa und die Bedeutung für die Zivilgesellschaft.

Dr. Bartek Pytlas ist habilitierter Politikwissenschaftler und forscht seit über 15 Jahren zu Rechtsradikalismus, Parteienpolitik und Demokratie. Zu Beginn seiner Forschungen seien die rechtsradikalen Parteien in Europa noch recht klein gewesen. Bei Vorträgen zeigte er zunächst eine Landkarte mit Parlamenten in Europa, in denen bereits rechtsradikale Parteien gesessen hatten. Später änderte er diese Karte und fügte hinzu, wo wieder welche in den Parlamenten saßen - und dann gab er auf, denn es gab fast kein Land mehr in Europa, in dem nicht rechtsradikale Parteien beteiligt waren. "Wie gehen wir damit um, dass wir nicht mehr über Randerscheinungen reden, sondern über Akteure, die auch in den abendlichen TV-Talkshows sitzen?", fragte er.

Strategien der Rechtsradikalen

Zu Beginn des Vortrags erläuterte der Referent Bartek Pytlas die Definition von "Rechtsradikal". Der Kern der rechtsradikalen Politik sei, die eigene Wirkungsgruppe als einheimisch darzustellen. Die "nicht Einheimischen" seien per se böse und eine Gefahr. "Im Rechtsradikalismus gibt es keine Grundlage, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben", betonte er. Dabei sei die Strategie nicht explizit, die Demokratie abzuschaffen. "Sie behaupten, sie seien die echten Demokraten, die für Sicherheit und Meinungsfreiheit stehen." Ziel sei, eine neue Art der Demokratie zu schaffen - im Einklang mit ihrer eigenen Definition und Auslegung der Gesetze. Rechtsradikalismus beschränke sich dabei keineswegs nur auf das Thema Integration. Die Palette der Feindbilder sei breit: Europa, Islam, Feminismus, Liberalismus, LGTBQI+, Kommunismus. So würden auch schnell Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zu dem Feindbild gehören.

Der Landkreis Cuxhaven und das Kranichhaus Otterndorf hatten im Rahmen des Themenjahres zu Erinnerungskultur und Demokratieförderung zu einer Lesung in den Ratssaal Hemmoor eingeladen. Dr. Bartek Pytlas referierte zum Thema "Wie Rechtsradikale Europa verändern". Foto: Brettschneider

Rechtsruck und Normalisierung

Für den oft benannten Rechtsruck reiche es jedoch nicht, dass nur eine rechtsradikale Partei, das "Original", stärker werde, erläuterte der Politikwissenschaftler im nächsten Schritt. "Eine einzige Partei kann von sich aus nicht die Verschiebung des Kurses bewirken", betonte Pytlas. In den letzten 40 Jahren seien christdemokratische, konservative und liberale Parteien europaweit messbar nach rechts gerückt. Empirische Daten zeigten eindeutig: Dies führt nicht zur Schwächung der rechtsradikalen Parteien, sondern das Gegenteil wird bewirkt - "es stärkt die Originale". Zudem führe es auch dazu, dass die Parteien häufig selbst zu einer rechten Partei werden. "Wenn man so spricht, fängt man an, so zu denken." Dänemark werde häufig als Positivbeispiel angeführt, weil dort die Übernahme rechter Ideologien die rechtsradikale Partei angeblich geschwächt habe. "Aber sie wurde nicht geschwächt. Mittlerweile gibt es drei rechtsradikale Parteien in Dänemark, nicht mehr nur eine." Bartek Pytlas hatte zur Verdeutlichung gleich mehrere, europäische, aber auch deutsche Beispiele mitgebracht. Fotos zeigten, wie sich etablierte Parteien bei rechtsradikalen Parteien an Wortwahl und Darstellung auf ihren Social-Media-Kanälen bedienen. 

Die Folgen von rechten Ideologien seien Diffamierungskampagnen, Kriminalisierung und Repression sowie bürokratische Hürden und Einschränkungen in der Finanzierung für zivilgesellschaftliche Gruppen. Foto: Brettschneider

Medienstrategien und Zivilgesellschaft

Die Übernahme des Sprachgebrauchs und der Bildsprache führe zu einer Normalisierung, welche unmittelbar von den "Originalen" zu ihrem Vorteil genutzt werde. "Wir halten, was die versprechen" war der Slogan eines Wahlplakats der AfD, unmittelbar neben einem Plakat der CDU. Mit einem Mythos wollte der Politikwissenschaftler jedoch aufräumen, der seine Zuhörer immer überrasche: "Die AfD ist schwach auf TikTok", betonte er. Neueste Forschungen aus Jena hätten ergeben, dass die reinen politischen Inhalte nicht bei den Nutzern ankommen. "Die Aufmerksamkeit anderer Medien und Plattformen führt zu den Klicks", erläuterte er.

Neben den Normalisierungsstrategien der rechtsradikalen Parteien, bei denen sie sich als neutral und vernünftig und die Gegner als extremistisch und ideologisch darstellen, nutzen diese Parteien bestimmte Themen, um ihre Ideologien zu stärken, etwa beim Thema Frauenrechte. "Dies wird mit dem Thema Migration verknüpft. Ansonsten setzen sich die Parteien nicht für Frauenrechte ein."

Hinzu kämen Diffamierungskampagnen, Kriminalisierung und Repression sowie bürokratische Hürden und Einschränkungen in der Finanzierung für zivilgesellschaftliche Gruppen. Ziel sei es, diese Gruppen als ideologisch darzustellen, um die eigene Zivilgesellschaft zu etablieren. "Die Verteidigung der Demokratie ist die Aufgabe von uns allen - auch im Alltag", betonte Pytlas. In Polen habe es keinen Putsch gegeben, keine Panzer, die zur Entdemokratisierung führten. Parteien sollten mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um die Demokratie zu verteidigen. "Es ist Arbeit. Jeden Tag. Aber wir machen das - und wir machen das gut", schloss er.

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Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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