"Tante Enso" in Ihlienworth: So ist es nachts allein im 24-Stunden-Supermarkt
Wer nachts nicht schlafen kann, geht shoppen: Der "Tante Enso"-Markt in Ihlienworth hat rund um die Uhr geöffnet. Wie funktioniert das Einkaufen ganz ohne Personal? Und wie schützt sich Enso vor Diebstahl? Ein Ortstermin zu nachtschlafender Zeit.



Kurz vor Mitternacht in Ihlienworth. Verlassen liegt die Hauptstraße da. Kein Auto fährt vorbei. Nur eine schwarze Katze schleicht gemütlich über die Fahrbahn. Tote Hose im Sietland-Dorf? Von wegen, in der alten Sparkasse brennt noch Licht. Vor etwa sechs Stunden, um 18 Uhr, haben die Mitarbeiter des "Tante Enso"-Marktes Feierabend gemacht. Geschlossen hat der Laden dennoch nicht. Er ist rund um die Uhr geöffnet. Nachts ist Selbstbedienung - und das will ich heute mal testen.
Ich hole meine Tante-Enso-Karte aus dem Portemonnaie. Sie ist mein "Sesam öffne dich!" für die Eingangstür. Zugeschickt bekommen hatte ich das EC-Karten-große Ticket, nachdem ich auf der "Tante Enso"-Webseite ein Formular mit meiner Adresse und den Kontodaten ausgefüllt hatte. Zehn bis 14 Tage dauert es von der Bearbeitung bis zum Versand.
Im Hintergrund summen die Kühlaggregate
Ich halte die Karte vor den Türöffner - und schon schnellen die Pforten auf. Ich komme mir doch ein bisschen wie ein Einbrecher vor. Kein Mensch ist hier. Im Hintergrund summen die Kühlaggregate. Ansonsten ist es still, nichts rührt sich. Wer auf einen freundlichen Plausch hofft, ist hier falsch. Es sei denn, man verabredet sich zum Nacht-Shopping. Auf der anderen Seite: Keine Schlangen an der Kasse, kein dichtes Menschengewühl, keine nervigen Durchsagen - das hat schon was. Einkaufen als Kontemplation.
Mein erster Eindruck: Der Laden ist sehr sauber und aufgeräumt. Tomaten, Milch und Brot, Duschgel und Müsli, Rotwein und Gesichtscreme, frisches Obst und Gemüse - es ist so ziemlich alles da, was man mal eben ganz gut gebrauchen könnte, aber leider gerade nicht im Hause hat. Neben den allseits bekannten Waren fallen mir vor allem die "Foodpioniere" ins Auge, Produkte von Start-ups und kleinen Manufakturen, die man in den großen Discountern und Märkten eher selten sieht. Die Hochzeitssuppe im Glas fällt in diese Rubrik. Sieht lecker aus. Ich nehme mal ein Gläschen mit.
Eine Packung mit Eiern, Shampoo, ein Blumenkohl, Couscous und eine Zeitschrift landen nach und nach in meinem Einkaufskorb. Die Ungestörtheit, das komplette Fehlen von anderen Kunden scheinen meine Einkaufslust noch zu beflügeln. Ich bin frei! Ich könnte jetzt in den Gängen tanzen oder turnen, singen oder hysterisch lachen - niemand würde sich daran stören. Aber halt, hier hängen ja überall Kameras. Vielleicht sollte ich mich doch benehmen.
Mal abgesehen von nächtlich recherchierenden Reportern: Was sind das eigentlich für Menschen, die nachts bei "Tante Enso" einkaufen gehen? "Das ist tatsächlich sehr bunt gemischt", sagt Pressesprecherin Jessica Renziehausen. "Von der älteren Dame in der Nachbarschaft, die nachts einen Jieper auf Süßigkeiten bekommt, über Schichtarbeitende oder, gerade am Wochenende, jüngere Menschen auf der Suche nach Snacks und Getränken." Viele Spontanbesuche seien zu beobachten, erzählt Jessica Renziehausen, "wenn zu Hause bei irgendwas der Nachschub zur Neige geht".
Apropos Nachschub: Ich brauche noch Schokolade. Auch hier hat "Tante Enso" ein paar außergewöhnliche Marken im Sortiment. Ich entscheide mich für eine belgische Vollmilchschokolade mit Brezel- und Karamellstücken. Was würde eigentlich passieren, wenn ich diese Schokolade jetzt nicht im Einkaufskorb zur Kasse brächte, sondern unauffällig in meine Jackentasche gleiten lassen würde? Birgt das 24/7-Konzept mit Zeiten ohne Personal nicht ein Sicherheitsrisiko? "Nein", sagt Jessica Renziehausen. "Durch den Zutritt mit der Tante-Enso-Karte wissen wir, wer in den Laden gekommen ist." Außerdem gebe es im Laden viele Kameras. "Da wir täglich digital Inventur machen, wird bei Fehlen von nicht bezahlten Artikeln auf dem aufgezeichneten Material nachgeschaut, wo es geblieben ist", erklärt die "Tante Enso"-Sprecherin. Im Falle eines Diebstahls werde die betreffende Person kontaktiert, bekomme eine Strafzahlung und werde gegebenenfalls auch gesperrt.
Nicht jeder Diebstahl passiert absichtlich
Aber nicht jeder Diebstahl passiert absichtlich. Hin und wieder komme es vor, dass beim Scannen ein Artikel "vergessen" werde, weiß Jessica Renziehausen. "Dem gehen wir nach. Häufig gibt es aber ehrliche Kunden, denen zu Hause auf dem Bon ein Fehler auffällt, und sie kommen dann am nächsten personalbesetzten Tag in die Filiale, um ihre Schulden zu begleichen." Die Pressesprecherin warnt: Letztendlich beklaue sich der Ort mit jedem Diebstahl selbst. "Wenn die Filiale zu schlecht läuft, werden wir sie wieder schließen - und die Einkaufsmöglichkeit ist weg."
Nein, das wollen wir nicht. Ich gehe brav zur Selbstbedienungskasse und packe meine Waren aus dem Korb. Ich lege meine Tante-Enso-Karte aufs Lesegerät. Ein grünes Licht erscheint. Jetzt darf ich mit der "Pistole" spielen: Mit dem Handscanner werden die Strichcodes auf den Waren von der Kasse erfasst. Und was mache ich mit dem Blumenkohl? Hier muss ich mich ein wenig durchs Menü klicken und die passende Kategorie auswählen. Auch kein Problem. Das war's, jetzt wird bezahlt. Das System bietet mir zwei Möglichkeiten: Entweder lasse ich den Einkauf mit meinem Guthaben auf der Tante-Enso-Karte verrechnen oder ich wähle "Auf Rechnung". Dann werden die Einkäufe von meinem Bankkonto abgebucht. Ich entscheide mich für die zweite Variante. Fertig. Die Maschine spuckt eine Quittung aus und der Nacht-Einkauf ist erledigt.
Fazit: Wer die Ruhe liebt beim Einkaufen, dem wird der nächtliche Bummel bei "Tante Enso" gefallen. Kein Stress, kein Gedränge, kein Warten. Ein fast meditatives Einkaufserlebnis.