Auf den Prospekten der Kreuzfahrtgesellschaften glänzen Sonnendecks. Werbeneutral heißt es dort: „Erleben Sie die Welt in einer Stadt auf dem Meer.“ Doch was auf den unteren Decks geschieht, bleibt den meisten Reisenden verborgen. Foto: Larschow
Auf den Prospekten der Kreuzfahrtgesellschaften glänzen Sonnendecks. Werbeneutral heißt es dort: „Erleben Sie die Welt in einer Stadt auf dem Meer.“ Doch was auf den unteren Decks geschieht, bleibt den meisten Reisenden verborgen. Foto: Larschow
Zwei Welten an Bord

"Oben Champagner, unten Maloche": Die Schattenseiten der Kreuzfahrtindustrie

von Tim Larschow | 27.09.2025

Mit dem Schiff neue Länder erkunden und in der Sonne auf dem Deck liegen, mit dem Champagnerglas in der Hand aufs Meer schauen - ein Traum für viele. Doch wie sieht der Alltag für die Arbeitskräfte aus? Das erforscht Dr. Katharina Bothe.

Auf den Prospekten der Kreuzfahrtgesellschaften glänzen Sonnendecks, gläserne Pools und luxuriöse Suiten. Werbeneutral heißt es dort: "Erleben Sie die Welt in einer Stadt auf dem Meer." Doch was auf den unteren Decks geschieht, bleibt den meisten Reisenden verborgen. Die Arbeitswelt derer, die den Urlaub der anderen erst möglich machen, ist eine andere: geprägt von Enge, langen Verträgen und geringer Bezahlung.

Über diese Schattenseiten sprach in der vergangenen Woche Dr. Katharina Bothe im Evangelischen Bildungszentrum in Bad Bederkesa. Rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörer, darunter zahlreiche Bundesfreiwillige der Seemannsmission Hamburg, verfolgten ihren Vortrag mit dem Titel: "Oben Champagner, unten Maloche".

Bothe ist stellvertretende Programmbereichsleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Schifffahrtsmuseum, Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven. Ihre Forschung gilt unter anderem den Arbeits- und Lebensbedingungen in der globalen Schifffahrt, mit einem besonderen Fokus auf die Kreuzfahrtindustrie.

Forschung zu einem schwimmenden Mikrokosmos

Bothe untersucht seit Jahren die Strukturen und Arbeitsbedingungen in der globalen Kreuzfahrtindustrie. Im Zentrum stehen soziale Dynamiken an Bord, Fragen von Migration und Mobilität sowie die Regulierung von Arbeitsverhältnissen.

Für ihre Forschung führt sie Interviews, nutzt direkte Beobachtungen an Bord und kulturwissenschaftliche Analysen. In Bremerhaven traf sie wiederholt Seeleute und sprach mit ihnen über ihren Alltag. Zudem unternahm sie eine Kreuzfahrt als Passagierin, um Eindrücke jenseits offizieller Informationen zu gewinnen.

In ihrem Vortrag spannte Bothe den Bogen von den Anfängen des Kreuzfahrttourismus mit der "Augusta Victoria" 1891 bis zu den schwimmenden Großstädten der Gegenwart. Als Beispiel nannte sie die "Star of the Seas" von Royal Caribbean International, die 2025 in Dienst gestellt wurde. Das Schiff ist 365 Meter lang, bietet Platz für bis zu 7600 Passagiere und hat eine Besatzung von rund 2350 Personen.

Zu den Anfängen der Kreuzfahrt kamen viele Arbeitskräfte aus den damaligen Kolonien - China, Indonesien oder Südwestafrika. Sie übernahmen Arbeiten, die in Europa kaum jemand machen wollte. Die Hierarchie an Bord war klar: Kapitäne und Offiziere stammten überwiegend aus Nordeuropa, die einfacheren Arbeiten unter Deck übernahmen Menschen aus Übersee. An dieser Struktur hat sich bis heute wenig geändert. Auf modernen Kreuzfahrtschiffen arbeiten Besatzungsmitglieder aus bis zu hundert Nationen, vor allem von den Philippinen, aus Indonesien oder Osteuropa.

Bothe schilderte die Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord, die sie in zahlreichen Gesprächen dokumentiert hat: lange Verträge von bis zu neun Monaten, geringe Bezahlung, wenig oder kein bezahlter Urlaub, geteilte Kabinen ohne Privatsphäre und teilweise monatelange fehlende Landgänge. Auch sexuelle Belästigung spiele an Bord eine wachsende Rolle. Diese Probleme seien jedoch nicht auf die Kreuzfahrtbranche beschränkt, sondern auch in der Handelsschifffahrt alltäglich. Dort höre man Sätze wie: "Es ist ein Gefängnis" oder "Es ist nie wirklich ruhig." Gemeint seien damit vor allem die Motorengeräusche, die umso lauter werden, je tiefer man sich im Schiff befindet.

Billigflaggen statt der deutschen Flagge

Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags war die Praxis des Ausflaggens. Beinahe alle deutschen Reedereien registrieren ihre Schiffe unter fremden, kostengünstigeren Billigflaggen - darunter Panama, Liberia oder die Marshallinseln. Auf diese Weise umgehen sie nationale Standards, sparen Steuern und Sozialabgaben und ermöglichen gleichzeitig niedrigere Löhne für die Crew. Das liegt unter anderem daran, dass der Flaggenstaat oft weder die Mittel noch den Willen habe, internationale Vorschriften durchzusetzen.

Bothe will in ihrer Forschung nicht nur Probleme sichtbar machen, sondern auch Lösungen entwickeln. Sie fordert Zusammenarbeit zwischen Reedereien, Gewerkschaften, NGOs, Aufsichtsbehörden und Seeleuten und möchte Handlungsempfehlungen erarbeiten, die eine sozial gerechtere und nachhaltigere Gestaltung der Arbeitsverhältnisse ermöglichen. Außerdem wirbt sie für Netzwerke, die Besatzungsmitgliedern das Melden von Mängeln und Sorgen erleichtern sollen. Im Vortrag betonte sie, dass in der Branche zwar viel für Nachhaltigkeit getan wird, die soziale Dimension der Kreuzfahrt jedoch weitgehend unbeachtet bleibt.

Der Abend in Bad Bederkesa machte deutlich, wie sehr Kreuzfahrtschiffe als Mikrokosmen globale Ungleichheiten widerspiegeln. Bothe konnte in einer Stunde nur einen Ausschnitt ihrer Forschung präsentieren. Die Mischung aus historischen Perspektiven, Zitaten von Seeleuten und eigenen Recherchen gewährte den Gästen dennoch einen seltenen Blick auf die unsichtbare Seite der Ozeanriesen.

Dr. Katharina Bothe ist stellvertretende Programmbereichsleiterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Schifffahrtsmuseum, Leibniz-Institut für Maritime Geschichte in Bremerhaven. Foto: Larschow
Hunderte Interessierte und Schiff-Fans verfolgen mit ihren Blicken die "Queen Mary 2", wenn der letzte Ozeanliner vor Cuxhaven vorbeizieht. Foto: Larschow

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Tim Larschow

Redakteur
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

tlarschow@no-spamcuxonline.de

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