Der Große Specken in Otterndorf war nicht nur Hafen, sondern auch Gerichtsstätte
Am Großen Specken lag einst der Hafen der Stadt Otterndorf. Wenig bekannt ist, dass er in der Vergangenheit auch als Gerichtsstätte von Bedeutung war. Zankende Männer und Frauen wurden zum Gespött der Bevölkerung stundenlang an den Pranger gestellt.
Am Großen Specken lag einst der Hafen der Stadt. Hier wurden die kleinen Flöten und Kähne beladen und gelöscht. Für den Binnenländer, aber auch für den Küstenbewohner sei erklärt, dass Flöten kleinere Holzkähne sind. Im Gegensatz zu den Kähnen hatten sie keine flache Kajüte im Bug des Schiffes, in der der Kahnfahrer nicht gerade komfortabel einmal eine Nacht verbringen konnte. Heute verkehrt dieser Schiffstyp nicht mehr auf der Medem, genau wie die klobigen Torfbullen. Auch der im 19. Jahrhundert noch häufige Beruf des Kahnfahrers ist in unserer Heimat vollkommen ausgestorben.
Nicht nur Flöten, Kähne und Bullen, auch seetüchtige Ewer sah man hier. Die transportierten Waren über die Elbe hauptsächlich von und nach Hamburg; seltener nach Bremen und zu den holländischen Häfen. Die Elbfischer löschten hier den Granat (Krabben), den begehrten Stint und die Aale. Kaum hatten sie ihr Fischerboot am Großen Specken festgemacht, schickten sie den Utröper, den Ausrufer, los, der mit Gebimmel auf sich aufmerksam machte und den neugierigen Bürgern verkündete, dass zum Beispiel Fischer Harms mit frischem Granat am Specken lag. Eine Bronzefigur auf dem Kirchplatz erinnert an den letzten Otterndorfer Utröper.
Um besser aus dem Schiff oder dort hinein kommen zu können, baute man um 1900 eine Kaimauer, ein Bollwerk, wie man es damals nannte. Natürlich diente diese Steinmauer auch der Befestigung des Medemufers. Ursprünglich verlief das Medemufer aber flach zum Wasser hin, und die Schiffer bekamen in dem weichen Erdreich nicht selten nasse Füße. Um das zu verhindern, befestigte man das Ufer mit Reisigbündeln. Noch um die Jahrhundertwende herrschte hier am Großen Specken täglich ein lebendiges Treiben. Die Kai-Mauer hat im Laufe der Jahrzehnte ihre Standfestigkeit verloren und so entschied sich der Rat der Stadt Otterndorf für einen Neubau, der in diesem Jahr vollendet wurde.
Den Namen "Großer Specken" verbindet man heute nahezu ausschließlich mit einer Anlegestelle für Schiffe. Wenig bekannt ist, dass er in der Vergangenheit auch als Gerichtsstätte von Bedeutung war. Hier trat noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts das Hadelner Oberlandes- beziehungsweise Kriminalgericht unter freiem Himmel zusammen und brach den Stab über zum Tode verurteilte Verbrecher. Zuletzt in den 20er-Jahren des 19. Jahrhunderts über zwei Männer der berüchtigten "Hilgen oder Hadler Bande". Kurze Zeit stand dort sogar der Galgen.
Größere Diebstähle wurden mit einer Leibesstrafe bestraft
Ein weiteres Instrument der Rechtsprechung in Otterndorf war der Pranger. Kleine Vergehen, die man jetzt seitens des Gerichts ungeahndet lassen oder höchstens verwarnen würde, zogen in jener Zeit oftmals eine langjährige Karrenstrafe nach sich. Zankende Männer und Frauen wurden zum Gespött der Bevölkerung stundenlang an den Pranger gestellt. Für unbedeutende Diebereien erkannte der Richter nicht selten auf eine Schädigung an der Gesundheit (wie Wangen einritzen, Ohren oder Finger abschneiden), während größere Diebstähle bereits mit einer Leibesstrafe - dem Galgen - geahndet wurden.
Am 20. August 1615, also drei Jahre vor Beginn des Dreißigjährigen Krieges, erließ Herzog Franz II. eine Verordnung in der es unter Ziffer 2 heißt: "… dass auf der von der Landschaft (das sind die Kirchspiele Oster- und Westerende Otterndorf, Altenbruch, Lüdingworth, Nordleda, Neuenkirchen und Osterbruch), Viergericht (Ihlienworth, Wanna, Steinau und Odisheim) und dem Weichbilde (Stadt Otterndorf) des Landes Hadeln zum Nothgerichte (Galgen) erkauften Stelle von Magnus Senffeln für 550 Mark, weil sie dazu zu klein, sollte ein Pranger aufgerichtet" werden. Dieser Pranger stand etwas zur Seite vor dem Schloss, etwa in der Nähe eines heutigen Rechtsanwaltsbüros am Großen Specken.
Chronist Scherder berichtet über einige wenige Bestrafungen mittels Ausstellung am Pranger. Mehr erfahren wir aus den Akten des niedersächsischen Staatsarchiv Stade, wo man unter der Signatur Rep 4 Otterndorf über zahlreiche Verurteilungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert nachlesen kann. Im Jahre 1666 wurde Claus Dene zu Otterndorf am Pranger wegen verschiedener Schelmereien ausgestrichen (ausgepeitscht) und des Landes verwiesen. Als er aber die Verbannung nicht achtete, sondern wieder nach Otterndorf kam, wurden ihm am 6. März 1667 zwei Finger abgehauen und mit einer Krampe am Pranger zu Otterndorf befestigt.
Am 10. März 1703 wurde Jürgen von Duhn vom Sandweg in Altenbruch wegen liederlichen Lebenswandels und unanständigen Briefeschreibens zu Otterndorf mittels Halseisen zwei Stunden an den Pranger gestellt, darauf durch den Scharfrichter des Landes verwiesen. Im gleichen Jahre wurde Claus Schult, der seine Stieftochter geschwängert, das Kind aber in einem Bündel einem anderen vor das Haus gelegt hatte, für ewig des Landes verwiesen.
1706 wurde die Ehefrau des Diebes Peter Böhme am Otterndorfer Pranger ausgestrichen (ausgepeitscht) und danach mit ihren sieben Kindern in ein Boot gesetzt und über die Elbe an den Strand ausgesetzt und ins Elend verwiesen.
Am 9. August 1706 brach der verurteilte Dieb Peter Böhme aus dem Kriminalgerichtsgefängnis zu Otterndorf aus und entkam. Daraufhin wurde der Gerichtsdiener Hans Quast, weil er Böhme hatte entwischen lassen, am Pranger ausgestrichen und des Landes verwiesen. Peter Böhme wurde etwa zwei Monate später, am 30. September 1706 in Hamburg aufgegriffen und an Hadeln ausgeliefert. Er traf am 10. Oktober in Otterndorf ein und wurde am 4. November wegen seiner Diebereien gehenkt.
Es gibt noch viel über den Großen Specken zu erzählen, denn er ist für Otterndorf ein wahrhaft geschichtsträchtiger Ort.
Von Heiko Völker
