Sigrid Joost hat in ihrem Ehrenamt als Sterbebegleiterin ihre Erfüllung gefunden. Foto: Grell
Sigrid Joost hat in ihrem Ehrenamt als Sterbebegleiterin ihre Erfüllung gefunden. Foto: Grell
Interview am Sonnabend 

Mit Herz und Hingabe: Die Erfahrungen einer Otterndorfer Sterbebegleiterin 

von Vanessa Grell | 07.09.2024

Seit 2011 ist die 71-jährige Sigrid Joost ehrenamtlich als Sterbebegleiterin tätig. Bei der Hospizgruppe Land Hadeln fand sie eine Aufgabe, die sie erfüllt. Und entgegen vieler Vermutungen ist dieses Ehrenamt nicht von Trauer und Tod beschattet. 

Die Otterndorferin Sigrid Joost ist schon seit 13 Jahren ehrenamtlich bei der Hospizgruppe Land Hadeln und weiß ihre Tätigkeit zu schätzen. Sie begleitet pro Jahr etwa zwei bis drei Menschen, die im Sterben liegen, auf ihrem letzten Weg. Doch für Sigrid Joost ist der Tod ihrer Patienten nicht gleich ein Grund zur Trauer. Im Gespräch mit Redakteurin Vanessa Grell spricht sie über Höhen und Tiefen in der Sterbebegleitung und welche Bedeutung dieses Ehrenamt für sie und die Gesellschaft hat.

Wie kamen Sie dazu, Sterbebegleiterin zu werden?

Da muss ich etwas weiter ausholen. Ich war als Kind schon einmal drei Monate im Krankenhaus und wurde da wirklich ganz ganz toll umsorgt. Dadurch fand ich den Beruf Krankenschwester schon so interessant. Später lebte ich mit meinem Mann elf Jahre in El Paso, Texas. Dort durften wir Frauen nicht arbeiten, aber wir haben uns zusammengetan und nannten uns "Helping hands". Das haben wir ehrenamtlich gemacht und sind dann an die mexikanische Grenze gefahren und betreuten Waisenhäuser, Aids-Kranke und andere Hilfsbedürftige. Dieser Verein finanzierte sich durch Spenden. Es war eine schöne Zeit und ich hatte so viel Spaß daran, Leuten zu helfen und Gutes zu tun. 

Als wir dann nach Otterndorf gezogen sind, bin ich oft am ehemaligen Büro der Hospizgruppe vorbeigelaufen. Da dachte ich direkt: Das ist etwas für mich. Ich stellte mich dort vor und bekam direkt eine positive Rückmeldung. 

Wie wird man Sterbebegleiterin?

Ich ging dann ein Jahr zur Ausbildung nach Bad Bederkesa. Das waren vier Wochenendmodule, wo wir richtig gut eingestellt worden sind, auf das, was auf uns zukommt. Da wusste ich vom ersten Tag an schon: Das ist meins. Und so ist es auch immer geblieben. 

Während der Ausbildung hat man jederzeit die Möglichkeit, abzuspringen. Der Kurs ist für die Teilnehmer kostenfrei und wird von der Hospizgruppe übernommen. Es müssen insgesamt 160 Stunden geleistet werden, dazu zählt auch ein Praktikum. Dadurch verpflichten sich die Ehrenamtlichen, zwei Jahre für die Hospizgruppe tätig zu sein. Wer früher aussteigt, muss die Kosten selbst tragen. Allerdings gibt es nicht nur die Sterbebegleitung, sondern auch viele andere Sparten, in denen die Ehrenamtlichen nach der Qualifikation zum Sterbebegleiter tätig sein können. 

Was sind ihre Aufgaben in dem Ehrenamt?

Wenn die Patienten oder Angehörigen sich bei unserer Koordinatorin Birgit Meyer melden, werden wir zugewiesen. Sie kennt sich da am besten aus. Und wenn die Chemie mal nicht stimmen sollte, können das sowohl die Ehrenamtlichen, als auch die Patienten sagen. 

Ich bin während der Begleitung dann frei in meinen Entscheidungen. Ich kann kommen und gehen, wie ich möchte. Falls ein akuter Fall eintritt, bin ich aber sofort da. Ich bekomme da so viel Gutes zurückgegeben. Das erfüllt mich einfach.

Wie läuft die Sterbebegleitung ab?

Es gibt eine Mappe, in der die Personalien und Ansprechpartner stehen. In diese Mappe trage ich dann immer ein, was gerade ansteht und was gemacht wurde. Zum Schluss gebe ich die Mappe ab und dann wird die Sterbebegleitung von der Krankenkasse finanziert. Aber ich selbst bekomme kein Geld dafür - meine Arbeit ist rein ehrenamtlich. 

Während der Begleitung gebe ich gerne eine Handmassage, lese etwas vor oder höre leise Musik mit den Patienten. Und über die Jahre sammelt man Erfahrungen. Ich kenne mittlerweile die Anzeichen, wenn die Patienten kurz vor dem Tod sind und kann so alles viel besser einschätzen. 

Wie gehen Sie selbst mit den Themen Trauer und Tod um?

Es kommt immer auf den Fall an. Die Begleitung von Kindern stelle ich mir sehr schwer vor. Ich hätte zwar trotzdem Interesse daran, aber ich kann es gesundheitlich nicht leisten. Kinder wollen ja noch etwas aktiv sein. Mit dem Sterben und dem Tod komme ich an sich relativ gut zurecht. Denn sterben müssen wir alle irgendwann. Nur das "Wie" ist es, worum es geht. 

Und wenn dann doch mal etwas ist, womit wir nicht ganz zurechtkommen, können wir immer zu unserer Koordinatorin gehen. Außerdem haben wir unsere Aktiven-Treffen und die Supervision. Da sitzen wir in Kleingruppen von sechs bis acht Ehrenamtlichen. Hier kann jeder ansprechen, welches Problem vielleicht gerade da ist und wir versuchen dann gemeinsam eine Lösung zu finden. 

Was halten Sie von dem Klischee, dass Hospize immer mit Trauer verbunden sind?

Das sagt ja eigentlich jeder so. Damals, als ich anfing, wurde ich oft gefragt, wieso ich mir das antun möchte. Aber ich finde es einfach gut, für Menschen da zu sein. Das ist meine Erfüllung.

Die 71-Jährige weiß, dass die Arbeit bei der Hospizgruppe nicht immer nur traurig ist. Foto: Grell

Welche Bedeutung hat dieses Ehrenamt für Sie?

Mir selbst gibt es unheimlich viel. Ich fühle mich einfach immer gut, wenn ich alles gegeben habe. Die Patienten und Angehörigen sind mir so dankbar für meine Arbeit.

Was fällt Ihnen bei der Sterbebegleitung schwer?

Ich muss immer sehen, dass es zeitlich passt. Aber man kann es ja schlecht verschieben, also wird es passend gemacht. 

Außerdem denken manche Angehörige, dass wir Konkurrenz bei der Begleitung sind. Aber auch dieses Problem löste ich bis jetzt immer.

Was bereitet Ihnen daran Freude?

Ich empfinde Freude und Dankbarkeit. Ich finde es schön, etwas Gutes getan zu haben. Wenn ich dann mit den Familienangehörigen in Kontakt komme, sind sie auch immer so dankbar. Auch wenn ich einfach nur da bin, aber es ist eben die Zeit, die man schenkt. Das ist heutzutage leider selten. Aber ich habe die Zeit, mache die Sterbebegleitung und es kostet nichts.

Wie gehen Sie damit um, wenn einer Ihrer Patienten dann stirbt?

Manchmal macht es mich dann schon traurig, aber bei anderen bin ich mir sicher, dass es eine Erlösung ist, wenn sie etwa schwer krank waren. Ich bin da auch sehr christlich eingestellt und bin mir sicher, "da oben" geht es irgendwie weiter. 

Warum ist dieses Ehrenamt so wichtig?

Wir schenken Zeit und Einfühlungsvermögen. Und die Fälle, dass die Kinder der Patienten weiter weg wohnen, werden immer mehr, aber genau dann sind wir für unsere Patienten da. 

Tag der offenen Tür zum 25. Jubiläum

Die Hospizgruppe Land Hadeln feiert am 8. September ihr 25-jähriges Jubiläum mit einem Tag der offenen Tür. Hier werden die Hospizarbeit, die palliative Versorgung sowie Aromaöle und ihre Anwendung vorgestellt. Die Veranstaltung findet von 15 bis 17 Uhr in den Räumlichkeiten der Hospizgruppe, Cuxhavener Straße 5, in Otterndorf statt. 

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Vanessa Grell

Redakteurin
Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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