Der Umzug durch Otterndorf zum 600-jährigen Stadtjubiläum im Jahr 2000 mit dem Wagen der Zimmerleute, die fröhlich Richtfest feierten. Foto: Nikolaus Ruhl
Der Umzug durch Otterndorf zum 600-jährigen Stadtjubiläum im Jahr 2000 mit dem Wagen der Zimmerleute, die fröhlich Richtfest feierten. Foto: Nikolaus Ruhl
Interview mit Heiko Völker

Otterndorfs Ortsheimatpfleger über die Feiern zum 625-jährigen Stadtjubiläum

von Ulrich Rohde | 31.05.2025

Das 625-jährige Otterndorfer Stadtjubiläum wird mit Feierlichkeiten begangen, die den Kern der Stadtgeschichte und den Gemeinschaftsgeist widerspiegeln. Welche Geheimnisse und Geschichten sich dabei entfalten, verrät unser Interview mit Heiko Völker.

Der gebürtige Osterbrucher Heiko Völker, ehemaliger Leiter der Polizeistation Otterndorf, begann Mitte der 1980-er Jahre mit der Familienforschung. Seitdem ist er von der heimatgeschichtlichen Forschung infiziert. Seit 1990 ist er Ortsheimatpfleger Otterndorfs, hat zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt und auch über 200 heimatgeschichtliche Beiträge für diese Zeitung verfasst. Für seine Verdienste wurde Völker mit dem Ehrenring der Stadt ausgezeichnet. Mit Ulrich Rohde sprach er aus Anlass der Feierlichkeiten zum 625-jährigen Stadtjubiläum.

Herr Völker, als Ortsheimatpfleger Otterndorfs sind Sie eng vertraut mit der Geschichte der Stadt. Was bedeutet Ihnen das 625-jährige Jubiläum der Verleihung der Stadtrechte persönlich?

Nach 1900, 1950, 2000 ist es in diesem Jahr das vierte Mal, dass dieses Jubiläum von der Otterndorfer Bevölkerung groß gefeiert wird. Ich sage ganz bewusst Otterndorfer Bevölkerung, denn es haben mit den Vereinen, hiesigen Handwerkern und vielen anderen nicht nur die Institutionen der Stadt an den Planungen zu diesen Feierlichkeiten teilgenommen, sondern es beteiligen sich zahlreiche Bürger mit Einzelaktionen. So entsteht ein Otterndorfer Stadtmodell und zwar wie die Stadt zwischen 1400 und etwa 1600 ausgesehen haben könnte. Grundlage dafür sind Stadtpläne aus dem 17. Jahrhundert. Über das ganze Jahr werden Aktionen wie eine Baumpflanzaktion geplant oder bereits durchgeführt. Bei diesem Vorhaben werden 625 Bäume überall im Bereich der Stadt gepflanzt. Jeder kann mitmachen. Und da ist da auch der große Jubiläums-Festumzug. Mit über 60 Bildern kann er eine beträchtliche Größe aufweisen. Auch hier haben sich Bürger der Stadt in oft wochenlanger Planung und Durchführung zur Schmückung der Wagen oder Ausstattung ihres Outfits auf diesen Umzug vorbereitet. Für mich ist es der Höhepunkt der gesamten Feierlichkeiten, vor allem weil ich vor 25 Jahren gemeinsam mit Hannelore Brüning, Harald Zahrte und Manfred Ahrens für den damaligen Festumzug verantwortlich gewesen bin. Dem gesamten Organisationsteam um lmke Lütjen und Alexander Meyer wünsche ich, dass alles ohne besondere Vorkommnisse vonstatten geht - und dass das Wetter mitspielt.

Was war das Geheimnis, dass Otterndorf über einen so langen Zeitraum zu Wohlstand gelangen konnte?

Ich bin nun 81 Jahre. Ich hätte in keinem anderen Zeitalter als in diesem leben mögen. Der Mangelwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg folgte ein steter Anstieg der Lebensqualität bis heute. Das war nicht immer so. Denken wir an das 16. Jahrhundert. Zweimal ist die Stadt abgebrannt, 1525 von den Kriegsvölkern des Bremer Erzbischofs gebrandschatzt worden. Denken wir an die zahlreichen Überflutungen der Stadt - 1717 stand das Wasser bis an die oberste Stufe der Rathaustreppe - und dann der 30-jährige Krieg. Kluge Verhandlungen des Otterndorfer Rates mit den verschiedenen Kriegsherren verhinderte zwar eine kriegerische Auseinandersetzung mit sicherlich vielen Toten und zerstörten Häusern, aber der Feind ließ sich das teuer bezahlten. Das gesamte Vermögen der Stadt ging dabei verloren. Es mussten Gelder in den Hansestädten Hamburg und Bremen aufgenommen werden. Noch lange nach dem Krieg musste die Stadt an die Gläubiger das Geld mit Zinsen zurückzahlen. Zusätzlich war jeder einzelne Bürger durch Einquartierung von Söldnern betroffen. Welche schrecklichen Drangsale viele dabei erleiden mussten, will ich hier nicht weiter ausführen. Ein weiterer Rückschlag bedeutete die Besetzung unserer Heimat durch die Franzosen Anfang des 19. Jahrhunderts. Aber von all diesen Rückschlägen und den beiden Weltkriegen hat sich die Stadt Dank einer klugen Politik immer relativ schnell erholt. Zur klugen Politik gehörte und gehört, dass erfahrene Stadtkämmerer später auch Chef der Verwaltung wurden, siehe Schmitz, Schroerschwarz, Vockel und Zahrte. Gemeinsam mit dem Ehrenbürger der Stadt und langjährigen Bürgermeister Hermann Gerken und dem Rat haben sie die Stadt langsam, aber stetig vorangebracht. Ausreißer wie zum Beispiel der Bau von zwei Hochhäusern im Bereich des Norderteiler Sees Mitte der 1960er Jahre oder Luxusunterkünfte im Bereich des Kinderspielplatzes auch am Norderteiler See wurden zum Teil nach Protesten aus der Bevölkerung nicht vollzogen. Der umsichtige Umgang mit den zur Verfügung stehenden Geldern ist ein Teil des Geheimnisses, dass Otterndorf über Jahre zu Wohlstand gelangt ist. Auch darum haben sich die Gemeinden des Sietlands und Am Dobrock der Samtgemeinde Hadeln angeschlossen. 

Als Heimathistoriker beschäftigen Sie sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der Stadt. Welches waren aus Ihrer Sicht die prägendsten Ereignisse in der Geschichte Otterndorfs?

Aus der älteren Geschichte sind das der Überfall des Bremer Erzbischofs auf Wursten und Hadeln 1525, die Sturmflut 1717, der Schleusenbau Mitte des 16. Jahrhunderts, der Bau der Stader Ritzebütteler Chaussee um die 1860-er Jahre und der Anschluss an die Eisenbahn im Jahr 1892.

Gibt es nach Ihrer Einschätzung eine rote Linie, die sich von 1400 unter den Lauenburger Herzögen über die Zeit unter den Welfen und später den Preußen bis heute ziehen lässt? Gibt es einen Fixpunkt, an dem sich der eigentümliche Charakter der Stadt Otterndorf festmachen lässt?

Von 1400 an bis zur heutigen Zeit kann gesagt werden, dass das Selbstverständnis des Bürgers, das wir heute auch beobachten können, sich schon frühzeitig entwickelt hat. Die Lauenburger Herzöge waren weit entfernt und ließen die Stadt mehr oder weniger sich in Ruhe entwickeln. Die Bürger haben das auch weitgehend ausgenutzt. Sie haben Handel getrieben, sind wohlhabend geworden. Und der Herzog musste jedes Mal, wenn er Steuern haben wollte, auf dem Warningsacker erscheinen und um die Steuer bitten. Zum Beispiel die Prinzessinnensteuer zur Ausstattung seiner Töchter, die heiraten sollten. Dafür gab es nicht einfach Geld. Darum musste er die Meinheit von ganz Hadeln einberufen, unter anderem auch den Magistrat der Stadt, und musste um diese Steuer bitten. Ihre Rechte ließen sich die Hadler, und damit auch der Magistrat, jedes Mal von einem neuen Herrscher bestätigen. Das hat sich durchgehend fortgesetzt wie ein roter Faden. Auch zu hannoverscher Zeit wurden diese Rechte bestätigt. Unter den Preußen war es dann schon anders. Da kam eine Verwaltungsreform. Aber trotzdem bestanden die Hadler auf ihre althergebrachten Rechte. Zum Beispiel wollten sie schon in hannoverscher Zeit keine Heerfolge leisten, was sie auch nicht brauchten, weil die Lauenburger ihnen zugestanden hatten, die Heerfolge nicht leisten zu müssen, weil sie dem Deichschutz verpflichtet waren. Dieser rote Faden hat sich bis heute durchgezogen. Selbstbewusste Kaufleute stehen im Rat heute mit Rat und Tat zur Seite. Und natürlich versuchen sie ihre Interessen zu wahren. Das ist natürlich im Rahmen einer modernen Verwaltung heute schwerer möglich als damals, als die Herrscher weit weg waren.

Worauf freuen Sie sich im Hinblick auf die anstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten am meisten?

Ich freue mich wirklich, in diesem Jahr dem Umzug durch Otterndorf ganz entspannt zusehen zu können. Im Gegensatz zum letzten Mal vor 25 Jahren, als ich Mitverantwortung getragen habe. Und ich hoffe natürlich auf gutes Wetter.

Otterndorfs Ortsheimatpfleger Heiko Völker freut sich auf den Umzug zum 625-jährigen Stadtjubiläum. Foto: Völker

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Cuxhavener Nachrichten/Niederelbe-Zeitung

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